TU intern - Februar/März 2001 - Vermischtes
Aschenputtel Technische Universität Berlin
Plädoyer für eine Neugestaltung des Campus - Auftakt
für eine Diskussion
Der Campus der TU Berlin wird heute von der Straße des
17. Juni zwischen Charlottenburger Tor und Ernst-Reuter-Platz
geprägt |
Die Technische Universität Berlin reformiert sich. An
Haushalt und Gliederung. Das erscheint notwendig und zukunftsträchtig.
Dennoch sei die Frage erlaubt: Ist eine solche Reform ausreichend?
Die Stadt, die die Technische Universität beherbergt, ist
einem harten Wandel ausgesetzt. Insbesondere die Zentren in West
und Ost sortieren sich neu - im Verhältnis zueinander und
in ihrem Inneren. Wohin dieser Wandel gehen wird, ist noch offen.
Ein schönes Wort aber ist schon gefunden: Stadt des Wissens.
Doch die Stadt des Wissens beschreibt keinen Ist-Zustand, sondern
einen Soll-Zustand. Sie ist mehr als eine Metapher, sie ist ein
konkreter Ort. Sie erfordert auch eine Antwort auf die Frage,
wie sich die TU Berlin in der sich verändernden Stadt darstellen
soll.
Das Bild der TU Berlin heute ist, mit Verlaub gesagt, etwas verstaubt,
in die Jahre gekommen, Ausdruck des Gestaltungswillens vor allem
der 50er und 60er Jahre, eines Willens, dem dann die Kraft verloren
gegangen ist, sich zu erneuern. Wir müssen endlich nüchtern
prüfen, ob und was gerade an diesem baulichen und stadträumlichen
Erbe eine Zukunft hat und wo möglicherweise Schwächen
liegen. Im Zuge der hoffentlich produktiven Schrumpfung wird sich
die Technische Universität auf das Stammgelände und
das Nordgelände konzentrieren. Das ist auch ein Vorteil:
Der Ort der Universität wird stadträumlich besser erfahrbar.
DAS TU-GELÄNDE HEUTE
Den bedeutendsten Stadtraum der TU Berlin bildet die Straße
des 17. Juni zwischen Charlottenburger Tor und Ernst-Reuter-Platz.
Dieser Raum vermittelt die beiden großen Geländebereiche
der Universität. Vermittelt? Er verbindet eigentlich nicht,
sondern trennt. Er ist kein öffentlicher Raum, sondern ein
riesiger Parkplatz, würdig eines Shoppingcenters an der städtischen
Peripherie. Das Problem hier ist der ruhende, nicht der fließende
Verkehr. Nichts entlang dieser Straße lädt zu irgendetwas
ein, kein Kiosk, kein Infostand, nichts. Lediglich die Universitätsbauten
selbst.
Aber auch diese verhalten sich oft abweisend, wie etwa der Franz-Fischer-Bau
mit seiner merkwürdigen Hochplattform, ja geradezu demonstrativ
abweisend wie das Erweiterungsgebäude, das keinen Eingang
zur Straße hin hat. Einladend sind eigentlich nur das Mathematikgebäude,
das sich geradezu vorbildlich zum Straßenraum orientiert,
und - mit Abstrichen - das Hauptgebäude. Doch wer erkennt
schon als Ortsfremder, dass er sich hier im Herzen einer der größten
Universitäten Europas befindet? Die Gebäude unterscheiden
sich wenig von beliebigen Bürobauten.
Das Hauptgebäude der TU - wer kann es schon als solches erkennen?
Einzig der schmale Schriftzug "Technische Universität
Berlin" über dem Eingang verrät etwas über
das Innere. Doch Hand aufs Herz: Stellen Sie sich so das Zentrum
einer großen Universität in einer großartigen
Stadt des Wissens vor?
Gehen wir weiter zum Ernst-Reuter-Platz, dem Universitätsplatz
par excellence. Immerhin werden alle architektonisch bedeutsamen
Gebäude durch die TU Berlin genutzt: das Gebäude für
Bergbau und Hüttenwesen, das Telefunken-Hochhaus und das
Architekturgebäude. Aber wer denkt hier schon an einen Universitätsplatz!
Erscheint der Ernst-Reuter-Platz nicht vielmehr als unverbesserliches
Zeugnis der Autobesessenheit der West-Berliner Stadtplanung der
50er Jahre, als man statt öffentlicher Plätze Autoverteilungsringe
bauen wollte?
Wenn man weiter um das Nordgelände die Marchstraße
und das Einsteinufer entlanggeht, wird man auch nicht gerade in
Begeisterung ausbrechen. Abstandsgrün, einige Autostellplätze,
abweisende Erdgeschosszonen, einige versteckte Zugänge, die
zu Gebäuden führen, die nicht immer den Charme von Schlichtbauten
der 60er Jahre vermeiden können. Alles ein wenig verlottert,
was aber dem Bilde eher zuträglich ist.
Und das Stammgelände südlich der Straße des 17.
Juni? Entlang der Fasanenstraße bis zum Gelände der
Hochschule der Künste
(HdK) präsentiert sich die TU Berlin mit einigen bescheidenen,
mehrfach um- und ausgebauten Gebäuden aus der Kaiserzeit,
die durch ihre Backsteinfassaden zwar recht überzeugend den
Charakter von Nebengebäuden einer Technischen Universität
unterstreichen, sich aber ebenfalls dem öffentlichen Raum
verschließen. Das ist zumindest zurzeit nicht sonderlich
tragisch, da sich die Fasanenstraße hier nicht gerade als
städtische Straße, als öffentlicher Stadtraum
darstellt.
Bleibt schließlich die Paradeflanke an der Hardenbergstraße.
Nach den großartigen architektonischen Paukenschlägen
der ehemaligen Hochschule für Musik aus den 50er Jahren und
des Hauptgebäudes der Hochschule der Künste aus den
Jahren 1898 bis 1902 präsentiert sich die TU Berlin mit dem
Mensagebäude aus den 60er Jahren, das trotz mancher Nachbesserung
hinsichtlich seiner stadträumlichen Wirkung den merkwürdigen
Vorgängerbau, das "Brandenburger Tor", nicht ersetzen
konnte. Nach der Mensa zeigt sich in allzu großer Bescheidenheit
ein Gebäude, das Berliner Geschichte geschrieben hat: das
Studentenhaus. Hier tagte erstmals der aus dem Sowjetsektor vertriebene
nicht-kommunistische Teil der Stadtverordnetenversammlung. Es
folgt der langgestreckte Neubau der Physik, der wiederum das ganze
gestalterische Register der Abschottung zur Straße hin zieht.
Antike Säule von Friedrich Schinkel |
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DAS HERZ DES CAMPUS
Drei wichtige Eingänge führen zum Inneren des Stamm-
und Nordgeländes: der Zugang östlich des Mathematikgebäudes
zum Nordgelände, der Durchgang durch das Hauptgebäude
und der Durchgang durch die Mensa zum Stammgelände. Alle
drei Eingänge orientieren auf den großen Nord-Süd-Transitweg,
der die Ost-West-Achse der Straße des 17. Juni in der Mitte
des Universitätsgeländes kreuzt. Alle drei Eingänge
erfüllen ihre Funktion, sind aber im öffentlichen Raum
als solche nicht erkennbar.
Neben den drei Hauptzugängen gibt es zahlreiche weitere Einschlupflöcher,
von denen derjenige östlich des Gebäudes für Bergbau
und Hüttenwesen und derjenige am ehemaligen Kesselhaus an
der Fasanenstraße eine gewisse Bedeutung haben. Sie begrenzen
nämlich die Trasse der Kurfürstenallee, jetzt Hertzallee,
eine der ältesten Straßen in diesem Stadtteil. Genauer
gesagt: Sie begrenzen weniger, sie verstecken die alte Allee,
und selbst wenn man die Eingänge passiert hat, wird dennoch
niemand den Eindruck haben, auf einer historisch bedeutsamen Straße
zu wandeln, da diese Trasse optisch in der Mitte gebrochen und
zudem als Autoparkplatz zweckentfremdet wird.
Wie steht es aber sonst mit den Innenräumen von Stamm- und
Nordgelände? Das Stammgelände gleicht etwas einem verwunschenen
Park mit großer Vergangenheit, die rätselhafte Spuren
hinterlassen hat - Säulen, Schienen, Denkmäler. Kaum
einer weiß mehr, dass hier wertvolle Architekturspolien
ihre letzte Ruhe gefunden haben - so etwa Säulen von Schinkel
und Stüler. Auch das Nordgelände birgt seine Geheimnisse
- Findlinge im Grünen, ein Pyramidenskelett, über das
Grün wuchert, zwei alte Reihenvillen aus der Kaiserzeit,
die schräg im Raum stehen. Beide Innenräume scheinen
irgendwie vergessen, lassen aber in ihrem gegenwärtigen Zustand
doch noch einiges von ihrer Großartigkeit erahnen.
EIN TRAUM VON DER TU IM JAHR 2029
Auch wer der hier entfalteten Sicht der Dinge nicht in allen Details
folgen möchte, wird zustimmen müssen: Der stadträumliche
Zustand der TU Berlin ist reformbedürftig, gerade in einer
Stadt, die sich neu sortiert und gestaltet wie Berlin. Auch und
gerade im direkten Umfeld der TU Berlin, etwa in der "Spreestadt
Charlottenburg" jenseits des Landwehrkanals und auf dem künftigen
Baublock um den Bibliotheksneubau hinter dem Bahnhof Zoologischer
Garten.
Was aber tun? Ich will mir überhaupt nicht anmaßen,
dafür eine Antwort zu wissen. Insbesondere angesichts der
womöglich fehlenden Kraft für solche Aufgaben an einer
sich reformierenden Universität. Ich will lediglich einen
kleinen Traum ausspinnen, nur einen Traum.
Die Straße des 17. Juni zwischen Stamm- und Nordgelände
ist zu einem öffentlichen Raum geworden, einem Universitätsforum,
auf dem der ruhende Verkehr drastisch eingeschränkt worden
ist und einigen Grünanlagen sowie universitären oder
privaten Dienstleistungseinrichtungen in kleinen, neuen Gebäuden
Platz gemacht hat. Hier präsentieren auch die Fakultäten
ihre aktuellen Angebote. Deutlich zu erkennen ist nunmehr die
Kreuzung mit dem Nord-Süd-Transitweg, der die beiden Geländebereiche
nördlich und südlich der Straße erschließt.
Selbst der Ernst-Reuter-Platz hat etwas von seiner automobilen
Dominanz verloren, die Gestaltung der Insel wurde um eine universitäre
Komponente erweitert. Das erneuerte Gebäude für Bergbau
und Hüttenwesen öffnet sich zum Platz. Und der U-Bahnhof
heißt jetzt Ernst-Reuter-Platz/Technische Universität
Berlin.
Moderne dreiteilige Großplastik von Friedrich Gräsel |
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ÖFFENTLICHE GEBÄUDE
Diejenigen Gebäude, die bereits früher stadtweiten Veranstaltungen
dienten und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt waren,
sind konsequent zu attraktiven Orten einer in die Stadt hineinstrahlenden
Öffentlichkeit ausgebaut worden: das Mathematikgebäude,
das Hauptgebäude (Audimax) und das Architekturgebäude.
Diese Gebäude dienen mehr und mehr internationalen Kongressen,
die auf Initiative von TU-Einrichtungen stattfinden. Das Architekturgebäude
hat zusätzlich ein modernes, allen Erfordernissen genügendes
Ausstellungsforum erhalten, ein Architektur- und Städtebauforum,
das über themenbezogene Präsentationen das Bild der
TU Berlin in der Öffentlichkeit wesentlich mitprägt.
Das Hauptgebäude zeigt stolz - ein schöner Vorschlag
eines Studenten - einen neuen, transparenten Eingangsbereich,
der zum einen die räumliche Ausweitung und standortadäquate
Optimierung eines Informations- und Service-Centers erlaubt, zum
anderen aber eine Wegeführung ermöglicht, die der Erschließung
des Gebäudes wie der erlebbaren Kontinuität des Nord-Süd-Transitweges
angemessen ist.
Zwischen den Hauptgebäuden der TU und der HU verkehrt jetzt
eine Buslinie, die die main street des Wissens - Straße
des 17. Juni und Allee Unter den Linden mit Ernst-Reuter-Haus
und Staatsbibliothek - bedient und der wachsenden Bedeutung eines
universitätsübergreifenden Studiums gerecht wird.
Das grüne Innere der beiden Geländebereiche ist aufgewertet
worden - durch eine die bisherigen Anlagen respektierende gartenarchitektonische
Gestaltung, aber auch durch die Fortsetzung einer abgebrochenen
Tradition: Beide Geländebereiche sind zum Standort weiterer
Architekturfragmente geworden, die im Zuge des Umbaus der Stadt
ihren Standort verlieren mussten und der TU Berlin gesponsert
wurden. Das Stammgelände ist - wie früher schon - Standort
vor allem älterer Fragmente, das Nordgelände Standort
von Fragmenten moderner Architektur. Beide Bereiche bilden einen
einzigartigen Architekturspolien-Park.
Im Inneren des Stammgeländes wurde die Tradition eines TU-Festes
begründet, das sich der Stadt öffnet, und zwar anlässlich
und in Verschränkung mit den Schülerinformationstagen.
In die Organisation der Feste wurden die ausländischen Studentengruppen
aktiv einbezogen - Zeichen der selbstbewussten Demonstration des
internationalen Charakters der TU Berlin. Die junge Generation
wird so nicht nur informiert, sondern auch durch ein Fest mit
der TU Berlin und ihren Menschen bekannt gemacht. Und: Wie andere
große Universitäten der Welt hat schließlich
auch die TU Berlin ein Universitäts-Museum erhalten.
An der Nordspitze des Nordgeländes ist die Kuppel des Heinrich-Hertz-Instituts für Nachrichtentechnik
zu einem Leuchtturm der TU ausgestaltet worden. Hier hat die stürmische
Entwicklung der "Spreestadt Charlottenburg" auf der
anderen Seite des Landwehrkanals auch die verschlafenen Verhältnisse
am Einsteinufer beendet. Neue Service-Einrichtungen beleben die
attraktive Wasserlage.
Die Hertzallee ist wieder als prägender linearer öffentlicher
Raum erlebbar, die Stellplätze für Autos wurden zurückgebaut.
Die Allee bleibt eine reine Fußweg- und Fahrradverbindung,
die mit der Neugestaltung des Baublocks um die Universitätsbibliothek
hinter dem Bahnhof Zoologischer Garten eine weit größere
Bedeutung gewonnen hat. Nach heftigen, kontroversen Debatten wurde
schließlich der als Riegel wirkende Flachbau des Gebäudes
für Bergbau und Hüttenwesen abgebrochen.
Nach dem Bau der Universitätsbibliothek wurde der Eingangsbereich
in das Stammgelände an der Ecke Fasanenstraße/Hertzallee
neu gestaltet. Die Bibliothek selbst war ein kaum zu unterschätzender
Motor der Neubestimmung des Verhältnisses zwischen der TU
Berlin und der Stadt. Sie öffnet sich symbolisch wie praktisch
zum öffentlichen Raum, sie vermittelt den Weg zwischen dem
Kernbereich der TU Berlin und dem Herzen der City West in völlig
neuer Weise - zusammen mit weiteren neuen Gebäuden des neu
geschaffenen Baublocks. Dieser neue Baublock erlöst schließlich
ein Gebäude der TU Berlin aus seiner etwas isolierten Position,
das unverkennbar als solches symbolisch erfahrbar ist, aber früher
trotz seiner einmaligen Außenwirkung viel zu wenig Beachtung
fand: die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau. Auch
sie dient nun Veranstaltungen, die in die Stadt hineinwirken.
Vielleicht könnte dieser Bau sogar eine technische Universität
insgesamt architektonisch repräsentieren.
Die Neugestaltung des Campus hatte allerdings eine unabdingbare
Voraussetzung: die Erschließung neuer Finanzierungsquellen,
die Lockerung der finanziellen Abhängigkeit von der öffentlichen
Hand. Das war ein schwieriger Balance-Akt.
So weit mein Traum. Wie gesagt - nur ein Traum. Ob ein schöner
Traum, ein lästiger oder gar ein Albtraum - das mag jeder
selbst entscheiden. Die TU Berlin erneuert sich an Haushalt und
Gliederung. Dass sie sich mittelfristig auch in ihrer stadträumlichen
Gestalt erneuern kann, bleibt im Interesse der Stadt wie der TU
Berlin zu hoffen.
Prof. Dr. Harald Bodenschatz
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