TU intern - Februar/März 2001 - Menschen
Können Sie in zwei Sätzen erklären ...?
Mathematische Forschung in der Öffentlichkeit - Leibniz-Vorlesung
von Günter M. Ziegler
Quasi über Nacht berühmt werden und im Anschluss daran
tagelang die Seiten der Zeitungen füllen - wer träumte
nicht davon? Einer, dem es so gerade ergangen ist, ist Prof. Dr.
Günter M. Ziegler vom Fachbereich
Mathematik der TU Berlin. Denn am 8. Dezember 2000 gab die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) die Preisträger im Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Programm
für das Jahr 2001 bekannt. Insgesamt werden elf Wissenschaftler
mit dem höchst dotierten deutschen Förderpreis ausgezeichnet
- unter ihnen auch Günter M. Ziegler. Am 31. Januar hielt er
an der TU Berlin seine Leibniz-Vorlesung, die wir in einer gekürzten
und leicht bearbeiteten Fassung abdrucken.
Die
ganze Sache kam für mich ja ziemlich überraschend, und
der dazugehörige Presserummel hat mich ordentlich überrollt.
Man ist ja als Mathematiker nicht unbedingt gewohnt, Interviews
zu geben und Schlagzeilen zu produzieren. Wenn's dann doch passiert
- und der Anlass ist allemal ein erfreulicher -, dann steht man
den Fragen eben relativ unvorbereitet und schutzlos gegenüber.
Aber es ist doch interessant, wenn jetzt plötzlich eben ein
Mathematiker im Rampenlicht steht, sich anzuschauen, welche Fragen
dem dann eigentlich gestellt werden.
Ich habe deshalb gedacht, es könnte lohnend sein, im Abstand
von einigen Wochen sich die damals gestellten Interviewfragen
noch einmal vorzunehmen. Nicht nur deshalb, weil man ohne Medienübung
"die richtigen Antworten" ohnehin nicht ordentlich parat
hat - auch deshalb, weil Mathematik eine Wissenschaft ist, die
üblicherweise im Verborgenen blüht.
Ich habe am Freitagnachmittag, dem 8. Dezember, von dem Leibniz-Preis
erfahren. Ich war an der ETH Zürich
auf einer Konferenz und fand in meiner E-Mail die dringende Aufforderung
vor, bei der DFG in Bonn anzurufen. Offenbar gab's am selben Abend
schon die Presseerklärung der DFG, einen Bericht im Deutschland-Radio
und am nächsten Morgen die erste Notiz im Tagesspiegel.
In der Presseerklärung der DFG hieß es, Ziegler beschäftige
sich mit mathematischen Fragestellungen über "geometrische
Strukturen mit endlich vielen Elementen". Das trifft's nicht
schlecht. In der Tagesspiegel-Meldung wurde daraus ein Mathematiker,
"der sich mit geometrischen Strukturen und mit endlich vielen
Elementen beschäftigt" - und nächstes Jahr ist
er mit ihnen fertig, ergänzte einer meiner Mitarbeiter.
"WIE IST DENN BERLIN SO ALS STADT?"
Am Montagvormittag ging's dann los mit dem Interviewrummel. Als
Ersten hatte ich Nils aus dem Moore am Telefon, der offenbar erst
seit kurzem in Berlin ist und für Die Welt
arbeitet. Nun war an dem Morgen gerade die Focus-Story
mit dem "Städtetest" erschienen, wonach Hamburg
die beste und liebenswerteste Stadt Deutschlands ist. Berlin landete
in der Rangliste auf den hinteren Plätzen. Aus dem Moore
wollte also wissen, was ich denn von Berlin als Standort halte.
Das ist natürlich eine Frage, auf die man sehr unterschiedliche
Antworten bekommt, je nachdem, ob man in Zehlendorf eine Wilmersdorfer
Witwe fragt oder in Neukölln einen Türken.
Berlin ist spannend, und Berlin war und ist für mich ein
exzellenter Standort, und Berlin hat mich hervorragend behandelt.
Natürlich steht die Berliner Wissenschaft, stehen die Berliner
Universitäten unter Druck. Trotzdem: Die Berliner Mathematik
lebt und gedeiht, auch in und aus der Zusammenarbeit zwischen
den vier Universitäten im Berliner Raum, dem Konrad-Zuse-Zentrum,
dem Weierstraß-Institut.
Und gerade auf meinem Gebiet, der Diskreten Mathematik, sind die
Zusammenarbeit, die Kommunikation und der Austausch vorbildlich
und eine große Freude.
Montagnachmittag dann über zwei Stunden lang ein Interview
mit Rico Czerwinski vom Tagesspiegel, der mich mit der alten Ballonfahrer-Geschichte
konfrontiert: Zwei Ballonfahrer haben sich in der Wüste verirrt,
sehen ein Lagerfeuer, rufen herunter: "Wo sind wir?"
Keine Antwort, der Ballon treibt weiter, bis schließlich
hinterhergerufen wird: "Im Ballon!" Daraufhin der eine
Ballonfahrer zum anderen: "Das muss ein Mathematiker gewesen
sein!" "Woher weißt Du das?"
Antwort: "Na ja, die Antwort kam viel zu spät, sie war
vollkommen richtig, und sie war völlig unbrauchbar!"
Eine alte Geschichte, wie gesagt, und wie alle alten Geschichten
enthält sie natürlich auch einen Funken Wahrheit.
Nun kann man als Mathematiker durchaus stolz darauf sein, einem
Berufsstand anzugehören, dem nachgesagt wird, dass er typischerweise
erst nachdenkt und dann antwortet. Jedenfalls waren in dem Interview
zahlreiche Klischees abzuarbeiten, eben auch das von dem versponnenen
und Birkenstock-Sandalen tragenden Mathematiker; dass ich bei
dem Interview natürlich meine schwarzen Birkenstock-Sandalen
(wie hier im Hause üblich) anhatte, passte nicht in das Bild,
das man zeichnen wollte. Also wurde das übergangen.
Der Journalist wollte nun von mir unbedingt eine Geschichte hören,
die aktueller und passender sei, um die Mathematiker zu charakterisieren.
Ich weiß immer noch keine wirklich treffende. Ich bot ihm
die Geschichte mit dem Nobelpreis für Mathematiker an. Die
Legende sagt ja, Alfred Nobel habe keinen Nobelpreis für
Mathematik gestiftet, weil er sauer war auf Mittag-Leffler, den
seinerzeit führenden Mathematiker Schwedens, der ihm die
Frau ausgepannt hatte. Ich finde das eine wunderbare Geschichte
- und die wird noch besser. Die Fortsetzung hat nämlich zwei
Varianten. Die eine ist die, dass historisch als gesichert gilt,
dass Alfred Nobel nie verheiratet war, also auch keine Frau hatte,
die mit einem Mathematiker hätte davonlaufen können,
und auch sonst an Frauen nicht sehr interessiert war. Die andere
Fortsetzung, historisch wichtiger, ist, dass in den 60er Jahren
durchaus Mathematiker von der Akademie in Stockholm gefragt wurden,
ob denn ein Nobelpreis für Mathematik wünschenswert
sei. Die Mathematiker haben einen solchen Nobelpreis abgelehnt.
Der würde das Fach nur spalten und Rummel erzeugen, aber
nicht wirklich helfen.
"WAS MACHEN SIE MIT DEM GELD?"
Das scheint eine wichtige und interessante Frage zu sein. Ich
selbst kann dazu gar nicht so viel sagen: Wir werden es zur Förderung
der mathematischen Forschung einsetzen, wofür es ja auch
gedacht ist, werden damit Gäste finanzieren, die Computerausstattung,
wenn nötig, ergänzen, gelegentlich einen Workshop abhalten,
Bücher für die Bibliothek anschaffen und uns letztlich
wundern, wie schnell das Geld weg ist.
Nun war in der Presseerklärung der DFG ja unter anderem von
der Björner-Ziegler-Methode und von den Ziegler-Zivaljevic-Formeln
die Rede. Also bietet es sich an, als Gäste, von denen wir
viel lernen können, u. a. Anders Björner aus Stockholm
und Rade Zivaljevic aus Belgrad einzuladen.
Ganz aktuell habe ich - persönlich und vertraulich - immerhin
Hilfe angeboten bekommen von einer kleinen Privatbank, die die
Leibniz-Millionen offenbar gerne für mich anlegen würde.
In dem Brief hieß es: "Als Privatbank hat sich unser
Haus auf das Anlagemanagement größerer Privatvermögen
ab DM 1 Mio konzentriert. Eine Vermögensverwaltung können
Sie bereits ab DM 200 000,- beginnen" ...
"KÖNNEN SIE IN ZWEI SÄTZEN ERKLÄREN?"
Die Frage hat natürlich eine einfache Antwort: Ich kann nicht.
Schade eigentlich. Das mit dem Mathematik-in-zwei-Sätzen-Erklären
ist einfach eine schwierige Sache; wenn das ginge, wäre vielleicht
aber auch die Mathematik nur halb so spannend. Was kann ich also
machen, wenn die Journalisten mich fragen? Ein weiser Mann hat
kürzlich in der ZEIT empfohlen,
man sollte gar nicht mehr versuchen, Mathematik zu erklären.
Man könne höchstens von Mathematik erzählen.
Nun sind die Objekte, mit denen ich mich beschäftige, für
mich durchaus lebendig. Da kommt dann immer die Journalisten-Frage,
ob man zu den vielen "abstrakten" Dingen nicht einen
Ausgleich brauche. Was haben Sie denn so für Hobbys? Einem
Reporter, der "zum Ausgleich" unbedingt ein interessantes
Hobby hören wollte, habe ich erzählt, dass mich das
Schnorcheln fasziniert, und dass das bisher auf Hawaii am tollsten
war. "Klar, kann ich verstehen", sagte der Reporter.
"Die Korallenriffe sind ja auch lauter geometrische Strukturen."
"Nein", habe ich geantwortet, "ich fand die bunten
Fische viel interessanter."
Nun, zunächst einmal muss ich und kann ich feststellen, dass
ich mit abstrakten Dingen nicht umgehen kann. Und das ist ja auch
nicht das Wesen der Mathematik oder zumindest nicht nur das einzige,
mit Abstrakta umgehen zu können und zu müssen. Für
mich sind die mathematischen Objekte und die mathematischen Probleme,
mit denen ich arbeite, mit denen ich mich beschäftige, durchaus
konkret. Mehr noch: Oft ist ein großer Teil der Arbeit eigentlich
der, sich die Objekte so zu erarbeiten, zu konkretisieren, zu
visualisieren, dass man sie letztlich "im Griff" hat,
sie beschreiben kann und dass einem die wesentlichen Eigenschaften
klar werden.
Was sind das für Objekte? Nun, in meinem Herzen bin ich trotz
Diskreter Mathematik, Optimierung und Topologie und anderer Gebiete
letztlich sicher Geometer, oder "Geometriker", wie's
die FAZ genannt hat. "Diskrete
Geometrie" war von der DFG schon ganz richtig als mein Arbeitsgebiet
angegeben worden. Die Zeitungsüberschrift mit dem "Diskreten
Charme der Geometrie" hat mich dementsprechend doch ganz
besonders gefreut. Dass die Welt der Geometrie aber sehr viel
größer und vielfältiger und spannender ist, als
das, was sich in zwei Sätzen erklären lässt, dürfte
natürlich klar sein. Wir können gerne anfangen bei den
platonischen Körpern, dem Tetraeder, dem Oktaeder, dem Ikosaeder
und dem Dodekaeder - den Brillanten der griechischen Geometrie.
Aber noch viel spannendere und faszinierendere Brillanten gibt
es in der vierdimensionalen Geometrie, unter ihnen das 24-Zell,
das 120-Zell und das 600-Zell: Die wurden alle von Ludwig Schläfli,
einem Schweizer Mathematiker, in der Mitte des 19. Jahrhunderts
entdeckt. Das sind zunächst einmal abstrakte Gebilde, von
denen man im Laufe der Zeit Bilder gewinnen konnte. Die so genannten
Schlegel-Diagramme zeigen dreidimensionale Projektionen, die Modelle
ergeben, die visualisiert werden können. Ich glaube, die
ersten automatisch generierten, beweglichen Schlegel-Diagramme
dieser wunderbaren Objekte gab es zuerst hier an der TU Berlin
in meiner Arbeitsgruppe zu sehen. Im Polymake-System, das Michael
Joswig und Ewgenij Gawrilow geschrieben haben, können Schlegel-Diagramme
von vierdimensionalen Polytopen am Bildschirm automatisch erzeugt,
gedreht und visualisiert werden. Das sind einige der Objekte,
mit denen wir spielen und aus denen sich immer noch neue Erkenntnisse
destillieren lassen.
"UND WOFÜR BEKOMMEN SIE DEN LEIBNIZ-PREIS?"
Auch so eine Frage - und warum sollte ich die beantworten können?
Nun, hier sind drei Versuche, von denen ich annehme, dass sie
relevant sind und in der offiziellen Laudatio der DFG in dieser
Form sicher nicht zu lesen sein werden.
Das Erste ist, dass ich mich in den letzten zwei Jahren als wissenschaftlicher
Bestseller-Autor profiliert habe: Die "Proofs from THE BOOK",
gemeinsam mit Martin Aigner von der FU Berlin
verfasst und 1998 im Springer-Verlag
Heidelberg erschienen, liegen jetzt schon in zweiter Auflage und
15 000 Druckexemplaren vor. Dies ist für ein wissenschaftliches
Buch ein sensationeller Erfolg.
In ganz anderer Richtung - zweiter Versuch - kann man wissenschaftliche
Leistung und Erfolg vielleicht an der Liste meiner Schüler
und Doktoranden ablesen. Ich habe in den vergangenen fünf
Jahren fünf Promotionen betreut und zwei Habilitationen verantwortet
- darunter die Promotion von Eva Maria Feichtner, die jetzt eine
Assistenzprofessur an der ETH Zürich hat; die Promotion von
Mark de Longueville, Assistenzprofessor an der University of Minnesota
in Minneapolis; die Promotion von Frank Hagen Lutz, der kürzlich
mit dem Promotionspreis der Fachgruppe Diskrete Mathematik
der Deutschen Mathematiker Vereinigung
ausgezeichnet wurde; und die Habilitation von Jürgen Richter-Gebert,
Professor für Informatik an der ETH Zürich und Träger
des European Software Award für sein Geometrie-Programm,
welches entscheidende Fortschritte auch an der TU Berlin im Rahmen
meiner Arbeitsgruppe gemacht hat.
Hier kommt der dritte Versuch - eine Zusammenfassung, die ich meinem Freund
Norbert Reck aus München verdanke, der mich charakterisiert
hat als "Sekttrinker und bedeutender Mathematiker".
Biographisches
Günter M. Ziegler wurde 1963 in München geboren. Von
1981 bis 1984 studierte er Mathematik und Physik an der Münchner
Ludwig-Maximilian-Universität, von 1984 bis 1987 Mathematik
am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in
Cambridge. 1987, mit gerade einmal 24 Jahren, wurde er zum Dr.
rer. nat promoviert. Von 1987 bis 1991 arbeitete er als Assistent
von Prof. Martin Grötschel an der Universität Augsburg,
von 1991 bis 1992 forschte er am Institut Mittag-Leffler in Djursholm,
Schweden. 1992 wurde er an der TU Berlin habilitiert. Anschließend
war er für zwei Jahre Leiter der Abteilung "Kombinatorische
Optimierung" am Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik
Berlin sowie Privatdozent an der TU Berlin. Von 1995 bis 1998
war er C3-Professor für "Diskrete Mathematik",
1998 wurde er auf eine C4-Professur berufen. Günter M. Ziegler
hat bereits zahlreiche Preise erhalten. 1980 und 1981 war er Bundessieger
im "Bundeswettbewerb Mathematik", 1981 ebenfalls Sieger
der Internationalen Mathematik-Olympiade. 1994 erhielt er den
mit einer Million Mark dotierten Gerhard Hess-Forschungsförderpreis
der DFG.
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