TU intern - Februar/März 2001 - Forschung
Positionen:
Wir brauchen ein Anreizsystem für interdisziplinäres
Arbeiten
Unsere langjährigen Erfahrungen hinsichtlich einer Zusammenarbeit
zwischen Ingenieur- und Humanwissenschaften (nachfolgend "interdisziplinäre
Zusammenarbeit") besagen, dass neben einer grundsätzlichen
Bereitschaft für eine gemeinsame Projektbearbeitung auch
immer die Fähigkeit und der Wille zum Wissensaustausch nötig
sind. Das mag trivial klingen. Jedoch, bedingt durch fundamentale
Unterschiede in Sprache, Zielsetzung und der "Art zu denken"
in den Ingenieur- und Humanwissenschaften, ist der Mangel an Fähigkeiten
zum interdisziplinären Austausch oft eine Hauptursache für
ein Scheitern gemeinschaftlichen Vorgehens. Und im Gegenstandsbereich
der Mensch-Maschine-Systemforschung treffen Fachdisziplinen aufeinander,
deren Unterschiede im Grundverständnis recht groß und
teilweise von gefestigten Vorurteilen geprägt sind.
Zu einer erfolgreichen interdisziplinären Zusammenarbeit
gehört daher meines Erachtens immer eine "Interdisziplinaritätskultur",
die ebenso wie das Fachwissen erworben werden muss.
Aus unseren langjährigen Erfahrungen in der interdisziplinären
Arbeit lässt sich ableiten, das sie nur erfolgreich ist,
wenn
- die Vertreter der unterschiedlichen Disziplinen Ziele, Forschungsansätze
oder Paradigmen der jeweils anderen Disziplinen akzeptieren,
- ein Thema bearbeitet wird, das von den Beteiligten gleichermaßen
als relevant angesehen wird, und wenn
- eine von allen Beteiligten vertretene Projektkonzeption vorliegt.
Diese Voraussetzungen entstehen nicht im Selbstlauf, nach der
Devise "wir müssen uns mal zusammensetzen", sondern
setzen jahrelangen, von Akzeptanz und gegenseitigem Interesse
und Lernen geprägten wissenschaftlichen Meinungsaustausch
voraus.
Eine Organisation interdisziplinärer Zusammenarbeit sollte
daher ansetzen auf
- einer inhaltlichen Ebene mit dem Ziel, ein problemangepasstes
Miteinander zu ermöglichen, und auf
- einer emotionalen Ebene mit dem Ziel, die Bereitschaft zum
Denken außerhalb der eigenen Disziplin überhaupt zu
wecken.
Das erfordert zusätzlichen Lernaufwand, womit notwendigerweise
Ressourcen vom disziplinären Lernen abgezogen werden müssen.
Ohne Honorierung dieser Mehrarbeit und ohne Anerkennung in der
eigenen Fachdisziplin ist eine Tendenz zur disziplinären
Abschottung daher nur verständlich. Dies betrifft die betriebliche
wie die universitäre Arbeit. Ein Ausweg aus dieser Situation
sehe ich nur in einer Willensbekundung übergeordneter Stellen
zur interdisziplinären Arbeit. Mit anderen Worten, sie kann
nur etabliert werden, wenn sie als wissenschaftsstrategischer
Vorteil von der höchsten Managementebene erkannt und institutionalisiert
wird. Das beinhaltet beispielsweise ein hinreichendes Anreizsystem
für interdisziplinäre Projekte, hochschulpolitische
Entscheidungen zur Etablierung von effektiven (prüfungsrelevanten)
interdisziplinären Lehrveranstaltungen oder kluge Erfolgsbudgetierung.
Nicht nur die Universität, sondern auch forschungsfördernde
Einrichtungen wie z. B. die DFG
haben aus meiner Sicht ihren Lernprozess für die Entwicklung
interdisziplinärer Projektstrukturen noch nicht abgeschlossen!
Prof. Dr. Klaus-Peter Timpe,
Sprecher ZMMS
Eine ausführliche Darstellung des Themas sowie weitere Ausführungen
finden Sie in: Timpe, K. P., Jürgensohn, Th. und Kolrep,
H. (2000): Mensch-Maschine-Systemtechnik, Symposion Verlag Düsseldorf,
Paperback, 363 Seiten, ISBN 3-933814-20-0, DM 136,-
http://www.symposion.de/mensch-maschine
http://www.zmms.tu-berlin.de
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