TU intern - Januar 2001 - Forschung
Hintergrund:
Lebenswissenschaften
Ulrike Maschewsky-Schneider |
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Die Ministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn,
hat das Jahr 2001 zum "Jahr der Lebenswissenschaften"
erklärt. Gemeinsam mit der Initiative "Wissenschaft
im Dialog" soll der Dialog zwischen der Wissenschaft und
der breiten Öffentlichkeit gefördert werden, ein Dialog
über die Chancen und auch über die Risiken in diesem
für unsere Gesellschaft so wichtigen Feld. TU intern sprach
mit Ulrike Maschewsky-Schneider, Sprecherin des Berliner Zentrums Public Health
und Professorin für Gesundheitssoziologie an der TU Berlin.
Frau Maschewsky-Schneider, warum brauchen wir aus der Sicht
von Public Health ein Jahr der Lebenswissenschaften?
Mit dem Jahr der Lebenswissenschaften sollen Erkenntnisse aus
den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, die mit dem Leben
im Allgemeinen befasst sind, in der Öffentlichkeit verständlich
vermittelt und in Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gestaltung
der Zukunft und für das Leben des Einzelnen diskutiert werden.
Dabei geht es z. B. um Erkenntnisse der Gen- oder Hirnforschung,
um Fortpflanzungsmedizin, Organtransplantation oder neuere Entwicklungen
aus der Arzneimittelforschung. Wissenschaftlich-technologische
Neuerungen sollen aus dem Blickwinkel verschiedenster Disziplinen
betrachtet werden. Public Health ist einer dieser Blickwinkel:
Diese Wissenschaft befasst sich mit der Frage, wie unser Gesundheits-
und Sozialwesen gestaltet werden muss, damit die Gesundheit der
Menschen erhalten und Krankheit verhindert werden kann.
Können Sie das an einem Beispiel etwas genauer erläutern?
Erkenntnisse aus der Genforschung können für die Früherkennung
von Erbkrankheiten genutzt werden, wie es etwa beim Brustkrebs
teilweise möglich ist. Bis zur Umsetzung in die Routineversorgung
ist es jedoch ein weiter und schwieriger Weg. Es ist fraglich,
ob ein genetischer Test als Früherkennungsverfahren immer
sinnvoll ist. So muss zunächst geprüft werden, wie hoch
der Anteil der Personen mit einem mutierten Gen in der Bevölkerung
überhaupt ist und welches Erkrankungsrisiko sie haben. Unklar
ist auch, ob mit der Einführung des genetischen Früherkennungsverfahrens
die Mortalität der Bevölkerung an dieser Erkrankung
überhaupt gesenkt werden kann: Dies ist u. a. davon abhängig,
ob es für Personen mit einem positiven Testergebnis angemessene
Therapieverfahren gibt oder ob nicht etwa das positive Testergebnis
dazu führt, dass Betroffene lange Zeit mit der Angst vor
der Krankheit leben müssen, ohne dass diese zu verhindern
ist. Solche Tests können deshalb erhebliche nachteilige Folgen
haben. Das Beispiel zeigt, dass Fortschritte der Naturwissenschaften
in ihren gesellschaftlichen Auswirkungen im Gesundheitswesen,
aber auch in psychischer und ethischer Hinsicht sehr kritisch
zu prüfen sind.
Ist eine Wissenschaftsdisziplin mit all diesen Fragen nicht
überfordert?
Public Health ist eine Multidisziplin, wir sprechen deshalb ja
auch von Gesundheitswissenschaften. Dazu gehört als Grundlagenwissenschaft
die Epidemiologie, die sich mit der Verbreitung und Verteilung
von Krankheiten in der Bevölkerung befasst und die Ursachen
und Risiken für Krankheiten untersucht. Wichtige Beiträge
leisten auch die Medizin, die Sozialwissenschaften, die Psychologie
und Gesundheitspolitik; enge Schnittstellen bestehen mit der Gesundheitsökonomie,
den Technikwissenschaften oder der Medizinethik.
Im Ausland, wie den USA, Skandinavien oder Großbritannien,
bilden die traditionsreichen Schools of Public Health ein ausgezeichnetes
Dach für die Zusammenarbeit. Diese haben wir in Deutschland
bislang leider nicht. In Berlin haben wir deshalb das Berliner
Zentrum Public Health (BZPH) gegründet. Dieses bietet seinen
60 Mitgliedern aus allen drei Berliner Universitäten sowie
nicht universitären Forschungs- und Praxiseinrichtungen eine
ideale Basis für kooperatives Arbeiten in Forschung, Lehre
und Praxis der Gesundheitswissenschaften.
Das Gespräch führte Thomas Schulz
Leserbriefe
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