TU intern - Januar 2001 - Studium
Vom barocken Wohnhaus zum Stasi-Knast
Die bewegte Geschichte des "Lindenhotels" in Potsdam
Im 18. Jahrhundert Residenz der Kommandanten der preußischen
Leibgarde - zu DDR-Zeiten Haftanstalt der Staatssicherheit |
Wie jeder Mensch besitzt auch jedes Haus eine Biographie. Eine
besonders wechselhafte Geschichte hat das Haus in der Potsdamer
Lindenstraße 54/55, das als Stasi-Gefängnis unter dem
volksmundlichen Namen "Lindenhotel" traurige Berühmtheit
erlangte. Gudrun Schaare hat in ihrer Diplomarbeit am Fachbereich
Architektur die Baugeschichte des Lindenhotels untersucht und
diese im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert.
Der knapp 2000 m2 große und zum Teil sechsgeschossige Komplex
geht auf ein barockes Stadtpalais zurück, das der Soldatenkönig
1733 bis 1737 als "Großes Holländisches Haus"
errichten ließ. 70 Jahre lang wohnten dort die Kommandanten
der Leibgarde. Unter napoleonischer Besatzung war es Kleiderkammer
und Pferdelazarett, danach Sitz der ersten preußischen Stadtverordnetenversammlung.
1820 zog das Stadtgericht mit Gefängnis ein, Mitte des 19.
Jahrhunderts das Amtsgericht. Die Nazis betrieben hier ihr Erbgesundheitsgericht,
1945 nahmen es das sowjetische Militärtribunal und der Geheimdienst
NKWD in Beschlag. 1953 übernahm die Stasi das Haus als Untersuchungshaftanstalt,
bis die Bürgerbewegungen nach der Wende die Kette der politischen
Gewalt durchbrachen und es zum "Haus der Demokratie"
machten.
Dieser Teil der Geschichte war bekannt. Ich hatte mir im Rahmen
meiner Diplomarbeit am Fachbereich Architektur zur Aufgabe gemacht,
die weniger bekannte Baugeschichte neu zu beleuchten.
Die Archive schweigen zum 18. und frühen 19. Jahrhundert
- auf Anweisung Friedrichs des Großen waren seinerzeit alle
Potsdamer Bauakten vernichtet worden. Aber ein Haus ist eine aussagekräftige
Quelle, die mit den Methoden der Bauforschung geduldig zu vielen
Aspekten der Geschichte Auskunft gibt: Bei der Mauerwerksanalyse
der Backsteinfassade etwa ließen sich anhand von Steinformaten,
Steinstempeln und handwerklichen Techniken wie Verfugungsarten
alle baulichen Eingriffe zeitlich einordnen. Im Zusammenhang mit
den Baubeobachtungen im Innern ergab sich daraus, dass das Große
Holländische Haus in seinen architektonischen Grundzügen
erhalten ist - von der Ausstattung hingegen nur die Saaltüren
im Erdgeschoss.
Die zentrale Treppe, die derzeit restauriert wird, ist ein Sammelsurium
aus Elementen diverser Epochen, die so 1910 zusammengefügt
wurden. Damals wurde auch im Rahmen einer frühen denkmalpflegerischen
Maßnahme das Straßenbild des barocken Kernbaus aus
den baulichen Überformungen des 19. Jahrhunderts "freigeschält"
und das Portal rekonstruiert.
Die Stasi schließlich hat die Anlage zu einem unübersichtlichen
Labyrinth verschachtelt. Ausgehend von einigen im Originalzustand
erhaltenen Zellen konnte die Nutzung für den gesamten Komplex
dechiffriert werden: Im Schnitt saßen im Lindenhotel rund
100 Untersuchungshäftlinge ein, in spartanischen Zellen mit
3,5 m2 pro Kopf. Mit drei bis viermal soviel Platz und umfangreicher
Wohnausstattung waren dagegen die zehn Prozent Strafgefangenen
privilegiert, die die Hauswirtschaft des Gefängnisbetriebs
erledigten.
Die Ergebnisse der Bauforschung, die sowohl den baugeschichtlichen
als auch zeitgeschichtlichen Kenntnisstand erweitern, sind denn
auch für die heutigen Nutzer des Komplexes von Bedeutung:
Die Denkmalpfleger, die ihre Spolien- und Plansammlung im Gefängnistrakt
archiviert haben, verfügen nun über eine baugeschichtlich-analytische
Grundlage für ihre weitere denkmalpflegerische Tätigkeit.
Für die Arbeit der Gedenkstätte vor Ort besteht anhand
der detaillierten Dokumentation die Möglichkeit, Fragen von
ehemaligen Häftlingen und deren Angehörigen zu klären,
die bisher offen bleiben mussten.
Gudrun Schaare
Die Arbeit, die als wissenschaftliche Publikation für die
Studiengemeinschaft Sanssouci erscheinen wird, ist als Ausstellung
im Obergeschoss der Lindenstraße 54/55 noch bis mindestens
Ende Februar zu sehen. Öffnungszeiten sind dienstags von
9 bis 18 Uhr und donnerstags von 9 bis 16 Uhr. Der Eintritt ist
frei.
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