TU intern - Juli 2001 - Lehre & Studium

Von Berlin nach Paris: ganz easy?

Gestufte Studiengänge zwischen Anspruch und Realität

In den letzten drei Jahren haben sich die europäischen Bildungsminister in den Konferenzen von Sorbonne, Bologna und zuletzt in Prag geeinigt, die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Raums im Bildungsbereich bis zum Jahre 2010 durch gemeinsam initiierte Studienreformmaßnahmen zu steigern. Unter anderem wird die Einführung vergleichbarer Studienabschlüsse, eine Anpassung auf ein zweizyklisches Studiensystem in Verbindung mit der Einführung von Kredit- und Leistungspunkten und der Austausch von Studierenden und Lehrpersonal sowie eine systematische Qualitätssicherung gefordert. In Deutschland haben die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat die Einführung gestufter Studiengänge empfohlen. Der gesetzliche Rahmen ist durch das neue Hochschulrahmengesetz und die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz gegeben. Zurzeit existieren bereits ca. 600 gestufte Studiengänge an deutschen Hochschulen. An der TU Berlin sind drei gestufte Studiengänge in Vorbereitung, zwei Masterstudiengänge existieren bereits. Es stellt sich damit zwangsläufig die Frage, welche Chancen und Risiken für die Studierenden eine Entscheidung für die neuen Studiengänge bedeutet. TU intern befragte dazu Dr. Patrick Thurian, Controller für Lehre und Studium, und Anja Schillhaneck, Studentin und Mitglied im Akademischen Senat der TU Berlin.


Chancen überwiegen Risiken

Auslandserfahrung gehört zu den wünschenswerten Eigenschaften, die Absolventen bei ihrem Eintritt ins Berufsleben mitbringen sollten. Obwohl das deutsche Universitätsdiplom von allen Kennern des Ausbildungssystems als äquivalent zum Masterabschluss angesehen wird, erfolgt im Ausland vielfach eine Einstufung des Diploms auf Bachelorniveau, da es sich bei dem Diplom formal um den ersten berufsqualifizierenden Abschluss handelt. Die Einführung eines gestuften Studiensystems mit einem Bachelor als ersten Abschluss nach drei bis vier Jahren und einem Master als zweitem Abschluss nach insgesamt fünf Jahren eröffnet zunächst eine neue Schnittstelle, die einen leichteren Studienwechsel ins Ausland und nach Deutschland hinein ermöglicht. In Verbindung mit der Einführung von Leistungspunkten können auch kleinere Module an unterschiedlichen Orten belegt und leichter anerkannt werden. Darüber hinaus ermöglicht der Bachelor im Einzelfall auch einen früheren Berufseintritt und gegebenenfalls später den Anschluss eines weiterbildenden Masterstudiengangs. Da bisher nur wenige Kenntnisse über die Akzeptanz des Bachelors auf dem Arbeitsmarkt vorliegen, sind Aussagen über die Chancen von Bachelorabsolventinnen/absolventen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch verfrüht.

Im Gegensatz zu Diplomstudiengängen unterliegen die gestuften Studiengänge keiner Rahmenordnung, und so sind Spielräume für eine hochschulspezifische Ausgestaltung der Curricula vorhanden. Daher bedarf es hier einer systematischen Qualitätssicherung durch Evaluation und Akkreditierung, und nicht jeder Bachelor- oder Masterstudiengang kann zurzeit uneingeschränkt empfohlen werden. Die Arbeitsgemeinschaft der Technischen Universitäten und Hochschulen, der auch die TU Berlin angehört, hat sich in dem anlässlich der Salamanca Konferenz im März 2001 erstellten Positionspapier zur Ingenieurausbildung verpflichtet, eine qualitativ hochwertige Ausbildung in sämtlichen Studiengängen zu garantieren.

Die Diskussion um die Neugestaltung gestufter Studiengänge gibt aber auch der Studienreform in den bestehenden Diplomstudiengängen neue Impulse. Sofern in einer Übergangszeit parallele Angebote gestufter Studiengänge und Diplomstudiengänge an einer Hochschule bestehen, sind die Wechselmöglichkeiten in der Regel sichergestellt.

Bei der Wahlentscheidung für einen gestuften Studiengang überwiegen daher aus meiner Sicht die Chancen den Risiken, allerdings erfordert sie von den Studierenden die genauere Auswahl der Hochschule.

Dr. Patrick Thurian


Chancen nicht vertun

Die Einführung der Studienabschlüsse Bachelor und Master wird vor allem mit zwei Argumenten begründet: internationale Vergleichbarkeit (und damit internationale Attraktivität) und Verkürzung der Studienzeiten. Die Studienordnungen, die in letzter Zeit auf den Tisch des Akademischen Senates kamen, waren in dieser Hinsicht allerhöchstens mittelmäßig. So ist von einer stärkeren Praxisorientierung im Grund- (oder Bachelor-) Studium meist genauso wenig zu sehen, wie von einer Befreiung der Studienpläne vom erdrückenden Ballast der hunderttausend Pflichtfächer, die nebeneinander, aber nie im Zusammenhang gelehrt werden.

Zum Argument der Internationalisierung und Vergleichbarkeit: Was ein Diplom ist, ist bundesweit relativ standardisiert und auch z. B. in angelsächsischen Ländern gut bekannt. Wer glaubt, das Umlabeln auf Master würde den Anerkennungsprozess erbrachter Studienleistungen vereinfachen, hat sich gehörig geschnitten. Master und Bachelor sind nämlich keineswegs geschützte Titel, und der Wildwuchs der Zertifizierungs- und Akkreditierungs-Agenturen beginnt bereits jetzt, den Überblick zu erschweren. Ich sehe die Chancen einer zweigeteilten Studienstruktur mit einem Abschluss an Stelle einer Zwischenprüfung auch anderswo. Sie kann nämlich einen größeren oder kleineren Fachwechsel - auch mit dem Ziel eines individuelleren Qualifikationsprofils als bisher üblich - erleichtern, zum Teil erst ermöglichen. Die mit der Einführung der Zweistufigkeit einhergehende Verpflichtung, auf unterschiedliche Eingangsqualifikationen nicht nur Rücksicht zu nehmen, sondern diese auch als Potenzial zu begreifen, könnte auch inhaltlich neue, interdisziplinäre Betrachtungsweisen voranbringen. Nur - machen müsste man es. Bisher sehen alle an der TU Berlin vorgelegten Master-Studienordnungen vor, dass ein fachlich einschlägiges Bachelorstudium davor liegt. Alles beim Alten also, nur, dass wir jetzt eine weitere Hürde der Zulassung auf dem Weg zum Master (derzeit noch Diplom oder Magister) haben, da es keinen Anspruch gibt, auch in den Master-Abschnitt übernommen zu werden, im Gegensatz zum Anspruch auf ein Hauptstudium bei bestandenem Vordiplom.

Eine weitere Chance sehe ich darin, dass es mit einem ersten Abschluss stärker als bisher möglich ist, auch Familienphasen oder "Ausflüge in die Praxis" besser zu berücksichtigen. Dafür bräuchte es aber eine Übereinkunft, dass ein zeitlich (oder inhaltlich) vom Bachelorstudium getrennter zweiter Studienabschnitt nicht als kostenpflichtige Weiterbildung zu sehen ist, sondern als Bestandteil des Erststudiums. Diese Übereinkunft ist jedoch nicht in Sicht.

Anja Schillhaneck


Leserbriefe

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