TU intern - Juni 2001 - Forschung

Unsere Erde: Theorien und Emotionen


Ott Christoph Hilgenberg stellt die Hypothese "Vom wachsenden Erdball" auf
Im Rahmen des 3. Lautenthaler Montanistischen Kolloquiums wurde des ehemaligen Mitarbeiters der TU Berlin Dr. Ott Christoph Hilgenberg (1896-1976) gedacht, der 1933 die Hypothese "Vom wachsenden Erdball" in einer ersten größeren Veröffentlichung darstellte und als Ursache der Volumenvergrößerung u. a. die thermische Expansion vermutete. Ein Beitrag über das Leben Hilgenbergs, in dem auch das Kolloquium angekündigt wurde, erschien in der letzten Ausgabe von TU intern. Der Mitveranstalter des Kolloquiums, Prof. Karl-Heinz Jacob, sowie die Pressestelle der TU Berlin erhielten daraufhin eine Vielzahl von internationalen Kommentaren zur "Erdexpansion", die wir aus Platzgründen hier nicht alle abdrucken. Wegen der teilweise sehr emotionalen und kontroversen Diskussion greift TU intern das Thema noch einmal auf und lässt einen Befürworter und einen Gegner der Hypothese "Vom wachsenden Erdball" zu Wort kommen.


Versuch einer Problemschilderung

Zu den aufregendsten wissenschaftlichen Spekulationen der letzten 75 Jahre zählt die Theorie über die Expansion der Erde. Sie besagt, dass sich die Erde - wie auch das gesamte Weltall - langsam ausdehnt. Während die plattentektonischen Vorstellungen sich vorzugsweise aus geowissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelten - sie gehen bekanntlich auf Alfred Wegeners Kontinentaldrift zurück -, finden sich die Wurzeln der Theorie der Erdexpansion mehr in den physikalischen Grundvorstellungen wie:

  • Abnahme der Gravitationskonstanten (DIRAC 1938)
  • Kosmologischen Erkenntnissen
  • Ausdehnung des Universums und seiner Komponenten (Urknall)
  • aber auch - in letzter Konsequenz - in geologischen Phänomenen (CAREY 1958, 1988 u. a.)

Zu den Prozessen, welche die Erdsphären beherrschen, gehören:

  • die Ausdehnung (Volumenzunahme) der Materie bei Phasenübergängen in den Erdsphären Kern - Mantel - Kruste
  • die Wärmeproduktion bei diesen exothermen Prozessen
  • die konvektive Materie- (=Massen-) transport, der vorzugsweise nach außen gerichtet ist, sowie
  • frei werdendes juveniles Wasser aufgrund chemischer Stoffumsetzungen in Kern, Mantel und Kruste.

Sollten diese Prozesse wirklich zur Vergrößerung des Erdvolumens in erdgeschichtlichen Dimensionen führen, dann wären planetare Änderungen die Folge. Genannt seien:

  • Zunahme der Geschwindigkeit der Erdrotation
  • Abnahme der Jahresdauer
  • Veränderungen in den Polpositionen und im Magnetfeld
  • Veränderungen im Gravitationsverhalten und im Schwerefeld
  • Zunahme der Meteoriten-Einschläge
  • Veränderungen der Erdgezeiten und Tidenabstände.

Die Plattentektonik beruht auf der Vorstellung einer globalen Tektonik, die davon ausgeht, dass die Erdkruste und Teile des Oberen Mantels in große und kleine Platten zerlegt sind, die sich mehr oder weniger wie starre Körper verhalten. Diese Lithosphären-Platten können langsam auf der Asthenosphäre horizontal gleiten, sich dabei von Nachbarplatten entfernen oder mit anderen kollidieren. An einem Plattenrand kann eine Platte umbiegen und unter eine andere Platte absinken, wodurch eine Subduktionszone entsteht. Auch kann sich bei Kollision eine ozeanische Platte auf eine kontinentale aufschieben und eine Obduktionszone bilden. Bewegungen an den Plattengrenzen gelten als Ursache.

Die Verfechter der Erdexpansion bauen - wie auch die Plattentektoniker - auf der Wegenerschen Kontinentalverschiebungstheorie auf. "Erdexpansion", so sagen sie, "das ist Plattentektonik ohne die Krücke der Subduktion!".

Die Oberfläche der Erde weist heute rund 70 Prozent Wasser und 30 Prozent Festland auf. Denkt man sich die Kontinente - gleich den Lederflecken eines Fußballs - zu einer geschlossenen Kugel verbunden, dann erhält man diese "Urerde", deren Oberfläche zu 100 Prozent aus Festland besteht, die dann aber einen um fast 50 Prozent verminderten Radius aufweist und für Ozeane im heutigen Sinne keinen Platz bietet. Wo bleibt das Wasser? Eindeutige Antwort: Oberhalb des Superkontinents bedeckte es die Urerde vollkommen. Weitere wichtige Fragen betreffen die Expansionsrate der Erde und den Wasserstand der Weltmeere während der geologischen Zeitalter. Damit haben sich der Hamburger Physiker Pasqual Jordan und die Geologen Carey und Heezen beschäftigt. Ihren Überlegungen und Berechnungen zufolge vergrößert sich der Erdradius pro Jahr um durchschnittlich vier Millimeter, was in 100 Millionen Jahren etwa 400 Kilometer ergibt. Außerdem soll die Masse des Wassers in den Weltmeeren in 100 Millionen Jahren um etwa 2,5 Prozent zunehmen, was unterschiedliche Ursachen haben kann, aber in jedem Fall als wahrscheinlich gelten soll. Daraus folgt größenordnungsmäßig, dass während der kritischen Zeit der Eroberung des Landes durch das Leben aus dem Meer - zur Wende Silur-Devon vor ca. 400 Millionen Jahren - die Kontinente nur zu etwa 15 Prozent aus dem Wasser ragten. Diese von der heute herrschenden Lehrmeinung abweichenden Vorstellungen stehen relativ problemlos mit den bisherigen paläontologischen Erkenntnissen über die Entwicklung des Lebens im Meer und auf dem Festland in Einklang. Es dürfte deshalb nur eine Frage der Zeit sein, bis Naturwissenschaftler aller Disziplinen gemeinsam über die scheinbaren Widersprüche zwischen Plattentektonik und Erdexpansion diskutieren werden. Neue Erkenntnisse und aktuelle Berichte über Phänomene wie "Neutrino-Power" oder "Quantenäther", die "Higgs-Energie" und das "Multiversum" lassen das vermuten, bedürfen aber noch einer sorgfältigen Überprüfung. Sollte die Gesprächsbereitschaft wider Erwarten ausbleiben, dann könnte eines Tages lapidar in den Zeitungen stehen: "Expansion der Erde durch indische Wissenschaftler zweifelsfrei nachgewiesen".

Prof. Dr. Karl-Heinz Jacob,
Institut für Angewandte Geowissenschaften, TU Berlin


Unter Leitung von Prof. Giancarlo Scalera vom Institut für Geophysik und Vulkanologie der Universität Rom wurden die Paläogloben Hilgenbergs nachgebaut
Die Globen sind im Hauptgebäude der TU Berlin, Straße des 17. Juni 135, in einem Schaukasten neben Raum H 1004/5 zu besichtigen.

Anerkennung meilenweit entfernt

Eine naturwissenschaftliche Behauptung bleibt eine Hypothese, bis ihre Kompatibilität mit der bekannten übrigen Naturwissenschaft (im wesentlichen) erwiesen werden kann. Deshalb hatte ich mich vehement gegen die von Kollegen Jacob auf der TU Berlin-Website veröffentlichte Darstellung des Standes der Hilgenbergschen Erdexpansions-Hypothese (EE) gewendet, die dort als "kurz vor der Anerkennung stehend" bezeichnet wurde. Diese Anerkennung sollte auf der für den 26.5.2001 angekündigten Tagung stattfinden. Für die erforderliche physikalische Begründung der Erdexpansion war ein Vortragender vorgesehen, der mir gegenüber (auf meiner Homepage [1] für jeden nachlesbar) schon seine physikalische Inkompetenz offenbart hatte [2] und dessen Veröffentlichungen erwarten ließen, dass er die fragwürdige Hilgenbergsche Äther-Materialisations-Hypothese [3] wiederholen würde.

Welche Konsequenzen hat Kollege Jacob aus dieser Tatsache gezogen? Nach einer kurzen Abschweifung auf andere mögliche physikalische Gründe zieht Herr Jacob es vor, seinem "Physiker" in Schreiben an die Pressestelle beizuspringen und dabei noch einen anderen Kronzeugen vorzuweisen, den berühmten Kollegen Meyl von der FH Villingen-Schwenningen. Dabei war dem Kollegen Jacob bekannt, dass auch dieser auf meiner Homepage und anderen Orts bereits mit Beiträgen hervorgetreten war, die Zweifel an seiner Qualifikation hätten nähren müssen. Aber unverzagt schreibt Herr Jacob am 5.6.: "Meines Erachtens haben Forscher wie Meyl (der "Kopernikus des Schwarzwaldes") und Oesterle (der "Berliner Verfechter des Quantenäthers") sehr wohl eine Chance, dem Äther auf die Spur zu kommen." Dann mit etwas Einsicht: "Solange das aber nicht gelingt, hilft diese Spur der Anerkennung der Erdexpansion nicht weiter, sondern schadet ihr eher."

Weiter so, Herr Kollege! Die Internetsuche nach dem Jacob-Favoriten J. Maxlow findet diesen eng umschlungen von parawissenschaftlichen Gruppen wie The Millenium Group [6] oder OMICRON [4], die Maxlow kurzerhand zum Professor macht, das klingt doch einfach besser! OMICRON gehört zu der Para-Science-Gruppe Natural Philosophy Alliance [5]. Diese Gruppen, über deren Seriosität der Leser sich selbst ein Bild machen sollte, bewegen sich etwa auf dem Niveau des bei uns am Kiosk erhältlichen Wochenblattes "Raum und Zeit". Aber dann stößt man auf die zunächst seriöser wirkende Quelle [7]: Mitglieder der Erdexpansions-Group sind/waren Prof. S. Warren Carey und der 1980 verstorbene angesehene deutsche Physiker Prof. Pascual Jordan. Doch schon kommen Zweifel auf: Wissenschaftler, insbesondere Geologen, sind im Klub nur eine kleine Minderheit. Der Artikel-Autor wird mit Mr. Lawrence S. Myers (Founder 1999), Commander, U. S. Navy, Retired ausgewiesen. Ein Senioren-Hobby-Klub, der sich mit zwei bekannten Namen garniert hat. Interessanterweise gehört unser Favorit Maxlow weder zu den Mitgliedern, noch werden seine Arbeiten zitiert.

O ja, es gibt, anders als bei Maxlow, ein Literaturverzeichnis! Ein Herr Kant hat sich geäußert, auch Herr, pardon, Sir Isaac Newton, Herr Laplace, Herr Copernikus (nicht der aus dem schwarzen Wald, versteht sich), und sechsmal Commander Myers, da muss doch was abfärben! Aber nach Abzug der Schmuckzitate bleibt keine Substanz.

Myers gibt auch eine detaillierte Darstellung der Erdexpansionsthesen. Anders als Maxlow nennt er auch eine Ursache des Massenzuwachses: die Erde als Weltall-Staubsauger. Aber wie das zum Aufquellen der Erde führen soll, bleibt offen. Was hier beschrieben wurde, ist keine böswillige Parodie, sondern die dürftige Quellenlage der "Erdexpansion". Welchem Geologen kann man da Skepsis verübeln? Von einer Anerkennung der Erdexpansionshypothese als gesicherter Theorie ist man mit Sicherheit noch meilenweit entfernt.

Viele Fragen sind offen und erfordern die Diskussion durch Fachleute, z. B.:

  • Alter des Meeresbodens: Von wem wurden diese schwierigen flächendeckenden Messungen auf den Weltmeeren durchgeführt und dokumentiert? Mir sind durchaus widersprechende Messergebnisse nahe der chilenischen Küste bekannt [8].
  • Wachsender Erdumfang? Wer hat entsprechende Satelliten-Vermessungen ausgeführt und dokumentiert? Messfehler? Die einzige von Maxlow in [6] zitierte Quelle [9] antwortet nicht.
  • Gibt es einen massenerhaltenden geophysikalischen Quellmechanismus der Erde?

[1]: http://www.mathematik.tu-darmstadt.de/~bruhn/

[2]: http://www.mathematik.tu-darmstadt.de/~bruhn/KurzD_Oe_Br.htm

[3]: Abschnitt 'Das "Rätsel" der Gravitation' in www2.hu-berlin.de/soz-oeko/texte/Rezens-Kirchhoff-Oesterle.html

[4]: http://www.omicron-research.com/RecDocD/expandD.html

[5]: http://members.home.net/saiph/npahome.html

[6]: http://www.millenngroup.com/repository/global/expanding_earth.html

[7]: http://www.expanding-earth.org/

[8]: S. R. Ross Taylor und Scott M. McLennan, Ursprung und Entwicklung der kontinentalen Kruste, Spektrum d. Wiss., 11/96, S. 46-52

[9]: http://lupas.gsfc.nasa.gov/

[10]: http://lupus.gsfc.nasa.gov/plots/maps

Prof. Dr. G. W. Bruhn,
Technische Universität Darmstadt


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