TU intern - Juni 2001 - Aktuelles

Nachgefragt

Gesetzentwurf wider die Sittenwidrigkeit

"Wenn sich ein Mann und eine Frau für dieses 'Geschäft' entscheiden, sind sie in Zukunft zumindest potenziell gleichwertige Geschäftspartner."
Dipl.-Psych. Monika Krüger

Es gilt als das älteste Gewerbe der Welt, 1,2 Millionen Männer nehmen es täglich in Anspruch, aber: Prostitution ist in Deutschland sittenwidrig. Verträge zwischen Freier und Hure sind daher nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch nichtig. Prostituierte können also ihren Lohn nicht einklagen. Auch der Zugang zur Sozialversicherung ist ihnen verwehrt. Ohne Rentenansprüche bleibt ihnen im Alter oft nur die Sozialhilfe.

Die rot-grüne Bundestagsfraktion hat jetzt einen Gesetzentwurf zur "Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten" vorgelegt. Mit dem Wegfall der Sittenwidrigkeit sollen die Prostituierten zu den bestehenden Pflichten - nämlich Steuern zu zahlen - auch Rechte erhalten.

Während den Unionsparteien der Entwurf zu weit geht, fordern FDP, PDS und Prostituiertenverbände die Anerkennung der Prostitution als Beruf. Wie sinnvoll ist nun der Gesetzentwurf von Rot-Grün?

Dipl.-Psych. Monika Krüger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeitswissenschaften der TU Berlin und hat sich in Ihrer Magisterarbeit am Institut für Gesundheitswissenschaften der TU Berlin mit dem Thema "Prostitutionstätigkeit und Gesundheit" befasst.

Kann die berufliche Anerkennung der Prostitution auch zu einer stärkeren gesellschaftlichen Anerkennung der Prostituierten führen?

Für die komplexen Probleme, die mit der Prostitution einhergehen, gibt es keine einfachen Lösungen, und gesellschaftliche Akzeptanz kann nicht "von oben" verordnet werden. Die vorgeschlagenen gesetzlichen Änderungen sind daher kein "Allheilmittel". Auch ist der Gefahr zu begegnen, dass Prostitution verharmlost wird und die Debatte darüber, wie vor allem Männer in dieser Gesellschaft mit ihrer Sexualität und mit Frauen umgehen, verstummt. Die Abschaffung der Sittenwidrigkeit und das Bemühen um eine rechtliche und soziale Besserstellung von Prostituierten ist aber in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung und natürlich mit der Hoffnung verknüpft, dass dies auch die gesellschaftliche Anerkennung und die Integration von Prostituierten langfristig fördert. Der Staat bildet damit den konstatierten "Wertewandel" ab und signalisiert, dass nicht die Prostituierte, sondern die gesellschaftliche Doppelmoral bekämpft werden sollte.

Entspricht der Gesetzentwurf tatsächlich dem Interesse der Mehrheit der Prostituierten?

Meiner Ansicht nach kommen die geplanten Neuregelungen tatsächlich allen Prostituierten zugute, denn die mit der "Sittenwidrigkeit" verbundenen Nachteile betreffen sie alle. Ich bin sehr optimistisch, dass sich beispielsweise der Zugang zu Sozial- und Krankenversicherung sehr gewinnbringend für Frauen in der Prostitution auswirken wird; denn Krankheit ist in der Prostitution ein enormes Risiko.

Wichtig ist, dass Prostituierte die Tätigkeit frei ausüben können und ihre sexuelle Selbstbestimmung stets gewährleistet ist. Die neuen Regelungen erzwingen die Sozialversicherung nicht, sondern ermöglichen den Frauen prinzipiell einen freiwilligen Zugang.

Was sollte darüber hinaus noch gesetzlich verankert werden, um die Lage dieser Frauen zu verbessern?

Die problematische Situation drogenabhängiger oder ausländischer, "illegaler" Prostituierter wird sich durch die vorgeschlagenen Änderungen nicht grundsätzlich entschärfen. Konsequent könnte man hier fordern, dass z. B. andere Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit gesetzt werden oder Migrantinnen im Sexgewerbe die Möglichkeit haben, aufgrund ihrer Arbeit in der Prostitution einen Aufenthaltstitel und wenn nötig eine Beschäftigungsbewilligung zu beantragen.

Sind die Regelungen überhaupt in der Praxis durchsetzbar? Beispielsweise wollen ja Freier in der Regel anonym bleiben - wie soll die Prostituierte dann ihren Lohn einklagen können?

Im Verhältnis zu den Freier wird die Position der Prostituierten gestärkt. Bislang besteht ein ungleiches Rechtsverhältnis: Wenn der Kunde die Prostituierte um den Lohn prellt, hat sie keine Möglichkeit, für ihr "unsittliches Geschäft" eine Forderung einzuklagen. Wenn umgekehrt der Kunde für diese "unsittliche" Leistung Geld zahlt, und die Prostituierte ihren Teil nicht erfüllt, der Kunde nicht zufrieden ist, so ist das Betrug. Der Wunsch der Freier nach Anonymität ist auch im Interesse des Geschäftes. Im Ernstfall haben die Frauen sicherlich auch jetzt schon Möglichkeiten (z. B. über das Nummernschild seines Wagens) die Identität des Kunden aufzudecken. Wenn sich ein Mann und eine Frau für dieses "Geschäft" entscheiden, sind sie in Zukunft zumindest potenziell gleichwertige Geschäftspartner. Das wird hoffentlich den positiven Effekt haben, dass Freier Prostituierten respektvoller begegnen.

Sind die geplanten Maßnahmen dazu geeignet, den Ausstieg aus der Prostitution zu fördern?

Prostitution lässt sich nicht durch Repressalien oder die Schaffung besonders unattraktiver, schlechter Arbeits- und Lebensbedingungen unterbinden. Die bisherigen rechtlichen Regelungen führten nur dazu, dass Prostituierte in Verhältnisse gedrängt wurden, die den Ausstieg eher erschwerten, denn ohne soziale Absicherung gibt es keine Alternativen für Prostituierte. Die Aufhebung des Tatbestands der Sittenwidrigkeit macht natürlich nicht die Prostitution an sich besser oder gesundheitsverträglicher. Die psychosozialen und verhältnisbedingten Belastungen könnten sich aber reduzieren und Prostituierte sich freier entscheiden.

Das Gespräch führte Bettina Micka


Leserbriefe

  TU intern -
      Juni 2001


© 6/2001 TU-Pressestelle