TU intern - Mai 2001 - Hochschulpolitik
Reform ja, aber die richtige
Wie Akkreditierung funktioniert, was Fachleute kritisieren
Zuerst hielten die Hochschulreformer es für eine gute
Idee: "Europäische Harmonisierung der Studiengänge
- Bildungsmacht Europa". Man wollte Studiengänge in
Deutschland und in Europa gliedern, die Abschlüsse stufen
und die Qualität einheitlich bewerten. So könnte man,
stellten sich die europäischen Wissenschaftsminister vor,
der Globalisierung Rechnung tragen und der außereuropäischen
Konkurrenz die Stirn bieten. Außerdem vereinfache dieses
Verfahren den Wechsel der Studierenden in andere Länder und
erhöhe ihre Mobilität. 1998 wurde ein Akkreditierungsrat
gegründet, der unabhängige Agenturen beruft - akkreditiert,
die ihrerseits gestufte Studiengänge untersuchen, bewerten
und ihnen schließlich das Qualitätssiegel des Akkreditierungsrates
verleihen oder verweigern. So weit, so gut. Die Einführung
von Bachelor- und Master-Studiengängen boomt in Deutschland,
doch nachdem die erste Euphorie abgeklungen ist, werden auch immer
mehr kritische Stimmen laut.
Zunächst ein paar Zahlen und Fakten: In Deutschland gibt
es rund 8500 Studiengänge. 600 gestufte Studienmöglichkeiten
wurden mittlerweile eingerichtet, 382 Bachelor- und 217 Masterstudiengänge.
Fast täglich kommen neue hinzu. Sie bieten Studierenden die
Möglichkeit, nach etwa drei Jahren Studium den Bachelor-Abschluss
zu erwerben, nach weiteren zwei Jahren den Master oder Magister
und wiederum nach drei Jahren den Doktor. Leider sind diese Abschlüsse
zum einen als akademische Grade nicht überall geschützt,
sodass sich die Wirtschaft nicht sicher sein kann, welche Ausbildung
ein Bewerber mit solcherart Zertifikaten nun eigentlich genossen
hat. Zum anderen verhindert der bisher uneinheitliche Studienaufbau
in Europa oft die dringend benötigte Mobilität von Studierenden.
Kriterien für eine Vereinheitlichung mussten her und vor
allem ein System, nach dem ordnungsgemäß standardisiert,
akkreditiert und zertifiziert werden kann. Nachdem also in Deutschland
das novellierte Hochschulrahmengesetz vom 20. August 1998 die
probeweise Einführung neuer Studiengänge mit den Abschlüssen
Bachelor/Bakkalaureus und Master/Magister vorgesehen hatte, beschloss
nur drei ein halb Monate später die Kultusministerkonferenz
einen Akkreditierungsrat einzurichten. 14 Vertreter der Länder,
der Hochschulen, der Studierenden und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen
gehören ihm an. Aufgabe des Rates ist es, ein System zur
Qualitätssicherung und zur einheitlichen Zertifizierung von
Studiengängen in Deutschland aufzubauen. Dazu akkreditiert
er unterschiedlich profilierte und spezialisierte Agenturen, die
ihrerseits Anträge zur Zertifizierung von Studiengängen
entgegennehmen, diese prüfen, bewerten und schließlich
zertifizieren. Damit die Arbeit dieser Agenturen vergleichbar
bleibt, muss der Akkreditierungsrat prüfen, ob die Standards
der übergeordneten Qualitätsanforderungen eingehalten
werden. Der Rat legt Wert auf die Feststellung, dass er keine
Evaluationen im Sinne von Stärken-Schwächen-Analysen
vornimmt, sondern dass er Qualität inLehre und Studium sichert,
indem er Mindeststandards festlegt. Nur in begründeten Fällen
akkreditiert der Akkreditierungsrat selbst. Inzwischen hat er
fünf Agenturen anerkannt, die sich um die Zertifikats-Anwärter
kümmern (siehe Artikel "Deutsche Akkreditierungsagenturen"):
Ein Antragsteller reicht zunächst seine Selbstdarstellung
ein, die Grundlage für Beratungen mit dem Akkreditierungsrat
ist. Nach Gespräch oder Vor-Ort-Besuch wird ein Bewertungsbericht
erstellt, geprüft und anschließend die Akkreditierung
gewährt, gegebenenfalls mit bestimmten Auflagen. Wichtige
Qualitäts-Kriterien sind zum Beispiel: die Internationalität
von Studieninhalten und Studienorganisation, die Befähigung
zum Beruf und die Vermittlung von fächerübergreifenden
Inhalten und sozialen Kompetenzen. Das Zertifikat gilt allerdings
immer nur für einen bestimmten Zeitraum. Nach dessen Ablauf
verhandelt man über die Weitergewährung, die sogenannte
Reakkreditierung. Auf diese Weise sind bislang rund zwanzig deutsche
Studiengänge akkreditiert.
Bei diesem Verfahren entstehen auch Kosten, und die sind nicht
unerheblich. Je nach Umfang des Studienganges der Berichte, der
notwendigen Besichtigungen kommen schnell 25 000 bis 50 000 Mark
zusammen.
Der stellvertretende Rats-Präsident Hans-Uwe Erichsen stellt
fest, die offizielle Akkreditierung solle Mindeststandards gewährleisten.
Doch durch die Festlegungen im Hochschulrahmengesetz weisen deutsche
Studiengänge sowieso schon Mindeststandards auf. Außerdem
ist ein Mindeststandard schon per definitionem das Gegenteil des
Topstandards. Schon haben sich einige Studiengänge wie die
Mannheimer wirtschaftswissenschaftliche Fakultät vom Zertifizierer
der Elite-Universitäten Harvard und Berkeley anerkennen lassen
und führen Sprüche im Munde wie: "Eine nationale
Zertifizierung haben wir nicht mehr nötig." Die Ministerien
in den einzelnen Bundesländern sehen damit das staatliche
Ausbildungsmonopol in Gefahr. Das weltweite Abkommen zur Liberalisierung
des Handels mit Dienstleistungen (GATS) soll auch Bildungsdienstleistungen
betreffen. Das gebührenfreie Studium an deutschen Hochschulen
könnte dann als wettbewerbsverzerrend angefeindet werden,
Filialgründungen ausländischer Hochschulen stünde
nichts im Wege.
Noch ist nicht bewiesen, dass der Bachelor tatsächlich die
"Employability" verbessert. Detlef Müller-Böling,
Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung
in Gütersloh, hält das Verfahren für zu teuer,
wenn man auf den Nutzen blickt. Er rechnet etwa 270 bis 450 Millionen
Mark Akkreditierungskosten für alle deutschen Studiengänge,
die Kosten für eine mittelgroße deutsche Universität.
Wer die Kosten tragen soll, ist dabei noch nicht mal geklärt.
Ergebnis: Man kann darauf vertrauen, dass der akkreditierte Studiengang
Mindeststandards einhält. Das tat er aber auch vorher schon,
sonst wäre er gar nicht zugelassen worden. Man müsse
also mehr Transparenz schaffen, um Qualitätsunterschiede
deutlich zu machen, die über das Mindestniveau hinausgehen.
"Reform tut Not", so Müller-Böling, "aber
die richtige muss es sein." Am 19. Mai treffen sich in Prag
wieder die europäischen Wissenschaftsminister, um Wildwuchs
zu begrenzen und das weitere gemeinsame Vorgehen zu beraten.
Patricia Pätzold-Algner
Akkreditierungen an der TU
"Gestufte Studiengänge, die wir einrichten, müssen
schon akkreditiert sein. Andere Bundesländer handhaben das
anders", erklärt Dr. Patrick Thurian, Controller für
Lehre und Studium an der TU, "bei uns hat es die Senatsverwaltung
so vorgegeben. Es gibt also an der TU noch keine gestuften Abschlüsse,
denn eine Akkreditierung dauert." Zwei Studiengänge
sind in Vorbereitung: Das "Global Production Engineering"
der Fakultät V hat die Akkreditierung bereits beantragt,
und ein Studiengang aus dem Chemie-Bereich bereitet sich vor.
Nachdem der Akademische Senat
der Technischen Universität im Sommer 2000 beschlossen hat,
gestufte Studiengänge mit Bachelor- und Master-Abschlüssen
zu ermöglichen, arbeitet man hart an der Materie. Die inhaltliche
Beratung steht, dafür ist Dr. Thurian zuständig, doch
woher das Geld kommen soll - 25.000 Mark Zusatzkosten pro Akkreditierung
- ist noch ungeklärt. Immerhin hat Berlin einen heißen
Draht zum Akkreditierungsrat. Eins der beiden studentischen Mitglieder
des nationalen Rates sitzt vor Ort: Volkswirtschaftsstudentin
Katrin Schweins, Tel.: 0172/322 29 54. Dr. Patrick Thurian, Tel.:
314-25485, E-Mail: patrick.thurian@tu-berlin.de
Patricia Pätzold-Algner
|
Leserbriefe
|