TU intern - Mai 2001 - Forschung

Was Augenbewegungen verraten

TU-Forscher untersuchen die Grenzen menschlicher Aufnahmefähigkeit


Alles im Blick? Die Analyse der Augenbewegung gibt Auskunft

Immer mehr elektronische Systeme nisten sich am Armaturenbrett unserer Autos ein, und viele von ihnen sind über eine Anzeige zu benutzen. Sie lenken vom Fahren ab, besonders wenn sie kompliziert sind. Wissenschaftler der TU Berlin untersuchen, wie sich die Blicke der Autofahrer über solche Displays bewegen. Daraus kann man ableiten, inwieweit die Geräte anforderungsgerecht gestaltet sind und wo es Schwierigkeiten in der Benutzung gibt.

Manch eines der klassischen Werkzeuge hat eine ausgefallene Form. Sie erklärt sich jedoch schnell, wenn man sieht, wie der Handwerker damit umgeht. Bei den modernen "Denkzeugen" gibt es noch keine jahrhundertlange Nutzung, die die jeweils beste "Benutzungsoberfläche" hervorgebracht hat. Jeder kennt die Probleme, dass sich die Symbole auf einem Monitor nicht selbst erklären, dass man an der Programmierung des Videorecorders schier verzweifelt oder dass die Tasten auf einem Handy mit verwirrend vielen Funktionen belegt sind.

Solchen Alltagsärgernissen gehen Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachrichtungen der Technischen Universität Berlin im Zentrum Mensch-Maschine-Systeme (ZMMS) nach. Ziel dieser Forschung am ZMMS ist es, zu verstehen, wann und warum ein Nutzer an den Icons (Symbolen), Bildschirmanzeigen oder Tastaturen scheitert. Das klingt zunächst recht simpel. Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass es um Denken und Problemlösen geht - jenen außergewöhnlichen menschlichen Fähigkeiten, die unsichtbar irgendwo im Kopf vor sich gehen.

Um diese Vorgänge zu verstehen, beschäftigen sich die TU-Wissenschaftler zum Beispiel mit Navigationssystemen im KFZ. Diese Systeme beinhalten heutzutage weit mehr Funktionen, als nur per Satellitenpeilung zu bestimmen, wo der Autofahrer sich gerade befindet und wie er am besten zum Ziel fährt. Über sie werden viele der Komfortfunktionen im Wagen bedient, zum Beispiel auch das Radio oder die Klimaanlage.

Es sind die Blickbewegungen des Autofahrers, die hier Aufschluss über das Verständnis und die Einfachheit der Benutzung der Systeme geben sollen. Die Wissenschaftler untersuchen, wie die Augen der Versuchsperson über die Anzeige des Navigationsgerätes huschen, wo sie verharren, wohin sie mehrfach zurückkehren und welches Symbol sie unwiderstehlich anzieht. Daraus können sie auf die Vorgänge bei der mentalen Verarbeitung der Benutzung der Systeme schließen: Wie sich der Nutzer an dem Informationsangebot orientiert, was er nicht versteht und welche Information ihm als Erstes ins Auge springen.

Geräte zur Analyse der Augenbewegungen gibt es schon lange. Ziel ihrer Untersuchungen sei es, moderne Technik "benutzungsfreundlicher" zu machen, wie die Diplom-Psychologin Katharina Seifert sagt.

In den ZMMS-Versuchsreihen zeigte sich da schon, dass bei den Navigationsgeräten die Vielfalt der Benutzungsmöglichkeiten die Autofahrer an die Grenze der Aufnahmefähigkeit bringt. Raphael Jung, Diplom-Ingenieur am ZMMS, gibt den Kommentar einer Versuchsperson wieder: "Manche der Funktionen sind einfach zu komplex, als dass ich sie während einer echten Autofahrt einschalten würde." In kritischen Fahrsituationen befreien wir uns intuitiv von allen unnötigen Sinneseindrücken - wir schalten das Radio ab und beenden die Unterhaltungen mit den Beifahrern, kommentiert der Wissenschaftler.

Andere Untersuchungen am ZMMS zu Blickbewegungen haben sich mit der Arbeit von Fluglotsen am Radardisplay beschäftigt. Hier ist es besonders wichtig, dass der Mensch den Überblick über die gesamte Anzeige behält, dennoch aber besondere Vorkommnisse vorrangig erfasst. Hier zeigt sich die Stärke der Blickanalyse: Sie lässt tief ins Denken blicken, denn bei solchen Tätigkeiten behält der Lotse intensiv diejenige Information im Auge, die situativ gerade von besonderer Bedeutung ist. Andere Analysemethoden der gedanklichen Vorgänge wie die Methode lauten Denkens würden hier die Tätigkeit nur stören.

Bei Untersuchungen an web sites mit blinkenden Werbebannern konnten die ZMMS-Forscher einige ungewöhnliche Beobachtungen machen: Zwar konnten die Testpersonen sich zwingen, nicht auf die aufmerksamkeitsheischende Werbung zu blicken, aber das kostete sie einige Anstrengung, die sich in längeren Zeiten für die Bearbeitung ihrer eigentlichen Aufgabe niederschlug. Menschen entwickeln auch hier Gegenstrategien, um mit allzu viel nervender Blinkerei fertig zu werden - man klickt die Seite einfach weg. Vielleicht ist das ein Zeichen für Informationsökonomie beim Denken. Über methodische Fragen zur Blickbewegungsmessung wurde im ZMMS eine Veranstaltung ins Leben gerufen, der EYES TEA, in dem Forscher und Forscherinnen über TU-Grenzen hinaus miteinander diskutieren können.

Peter Becker

http://www.zmms.tu-berlin.de/Eyes-Tea/


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