TU intern - Mai 2001 - Aktuelles
Nachgefragt
Schlossplatzareal - Berlin ringt um überzeugende Konzepte
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"Die zentrale städtebauliche Botschaft des Blicks zurück
lautet: Notwendig ist eine Vermittlung von Ost und West, zum ersten
Mal in der Geschichte Berlins."
Prof. Dr. Harald Bodenschatz
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Gleich nach dem Fall der Mauer entbrannte die Diskussion um das
Schlossareal. Wichtige Streitpunkte: Soll der Palast der Republik
abgerissen und das Stadtschloss wieder aufgebaut werden? Die Geschichte
mehrerer Epochen und die zentrale Lage machen die Entscheidung
in hohem Maße zu einem Politikum. Und so wartet auch heute,
nach mehr als einem Jahrzehnt, das Schlossareal auf seine Erweckung
aus dem Dornröschenschlaf. Doch langsam scheint es ernst
zu werden.
Prof. Harald Bodenschatz, Architektursoziologe und Stadtplaner
am Institut für Soziologie,
Fakultät VII
der TU Berlin, hat sich am 18.4.2001 im Namen des Rats für
Stadtentwicklung, eines Zusammenschlusses von Berliner Fachverbänden
zu Architektur und Stadtplanung, auf der ersten öffentlichen
Anhörung der Expertenkommission "Historische Mitte Berlin"
zur Zukunft des Schlossareals geäußert. TU intern fragte
ihn nach seinen Ansichten.
Der Wiederaufbau des Stadtschlosses war lange in der Diskussion.
Was halten Sie grundsätzlich vom Nachbau historischer Architektur?
Wiederaufbauten, Rekonstruktionen, Kopien von Bauten oder auch
nur Fassaden sind äußerst umstritten - in der Öffentlichkeit,
in der Fachwelt, in der Politik. Für manchen sind sie grundsätzlich
ein Tabu, insbesondere für Denkmalpfleger. Das scheint ein
überzogener Standpunkt. Denn es gibt in der Geschichte zahlreiche
Beispiele für Rekonstruktionen von Gebäuden oder Fassaden
- zur Demonstration von Kontinuität, aus Gründen der
nationalen Identität, aus Image-Gründen. Rekonstruktionen
wurden durchgeführt, werden durchgeführt, sind prinzipiell
möglich und auch nicht per se verdammenswert.
Dennoch sind die Argumente der Gegner jeder Rekonstruktion ernst
zu nehmen. Mit Rekonstruktionen, so die Furcht, verwischt sich
die Grenze zwischen dem Falschen und dem Authentischen. Zugleich
fällt die Hemmschwelle hinsichtlich der Zerstörung des
Authentischen - erscheint es doch immer wieder reproduzierbar.
Jede Rekonstruktion muss sich in besonderem Maße legitimieren
- im Rahmen einer peniblen Einzelfallprüfung.
Welche Faktoren müssen bei der architektonischen Planung
des/der Gebäude/s und des ganzen Areals berücksichtigt
werden und wie sollte demzufolge der Platz gestaltet werden?
Das Schloss, so heißt es, sei das Herz Berlins gewesen.
Natürlich ist es richtig, dass das Schloss der Angelpunkt
der Stadtentwicklung Berlins vom 17. bis zum 19. Jahrhundert gewesen
ist. Aber der Vergleich mit dem Herz hinkt: Das Schloss hat nur
in eine Stadthälfte frisches Blut gepumpt: in die westliche.
Die östliche Stadthälfte wurde der Stagnation überlassen.
Nach 1945 wurde das im Krieg teilzerstörte Schloss gesprengt.
Staatsratsgebäude, Außenministerium der DDR und Palast
der Republik bildeten ein symbolisches Herrschaftsforum der DDR.
Aus der ehemaligen einseitigen Westorientierung des Schlosses
war nunmehr eine einseitige Ostorientierung geworden. Heute darf
es nicht mehr um eine West- oder Ost-Orientierung des Schlossareals
gehen. Die zentrale städtebauliche Botschaft des Blicks zurück
lautet: Notwendig ist eine Vermittlung von Ost und West, zum ersten
Mal in der Geschichte Berlins. Das Schlossareal darf nicht isoliert
entwickelt werden.
Was der Forderung nach einem Wiederaufbau des Stadtschlosses Gewicht
verleiht, ist die Tatsache, dass das ehemalige Schlossareal ein
durch und durch historisch durchtränkter Ort ist, an dem
zugleich nur sehr wenig an diese lange Geschichte erinnert. Ein
Neubeginn ohne Geschichtsverarbeitung ist nicht möglich.
Der Wiederaufbau einer Schlosskulisse wäre die Comic-Version
einer solchen Erinnerung. Eine eindimensionale Schlichtlösung,
die Geschichte verspricht, aber Geschichte verdeckt. Eine bessere
Lösung verleugnet die lange Geschichte des Ortes nicht, sie
erinnert baulich-räumlich an das verschwundene Schloss, sie
verarbeitet aber auch die Zeugnisse der DDR-Geschichte, sie öffnet
sich nach Osten, zur Spree hin, und sie integriert weitere kleinteilige
bauliche Strukturen, z. B. auch eine neuinterpretierte Schlossfreiheit.
Im Hinblick auf die Nutzung des zu bauenden Gebäudes gibt
es verschiedene Vorschläge. Welches Nutzungskonzept favorisieren
Sie und warum?
Seit der ersten Anhörung der Expertenkommission "Historische
Mitte Mitte" am 18.4.2001 gibt es neben dem Projekt der Erweiterung
der Museumsinsel und dem Projekt einer Landesbibliothek einen
weiteren heißen Nutzungs-Kandidaten: die historischen Sammlungen
der Humboldt-Universität, die als "Wunderkammern des
Wissens" gehandelt werden. Prinzipiell gehen all diese Vorschläge
in die richtige Richtung: Das Schlossareal bleibt einer vornehmlich
öffentlichen Nutzung vorbehalten. Sie haben aber allesamt
zwei kleine Haken.
Die Strukturierung der Debatten über das Schlossareal - für
Palast oder Schloss, für Museen und Bibliothek - ist vor
allem rückwärtsgerichtet. Sie spiegelt damit die relative
Stagnation Berlins wider. Dies ist keine hinreichende Basis für
eine zukunftsweisende Konzeption. Die bisherige Strukturierung
zielt mit ihrer Schlosskulissenorientierung zudem eher auf eine
schwere, düstere Gestaltung, eine spezifische Interpretation
des Preußischen, die für das Image Berlins und Deutschlands
nicht gerade förderlich ist. Die Debatten klammern schließlich
ein für die Stadtentwicklung fundamentales Problem aus: die
Folgen der propagierten Verlagerung von Nutzungen für die
Herkunftsorte.
Das Schlossareal könnte - zusammen mit anderen kulturellen
Nutzungen - eine zukunftsorientierte, heitere, unterhaltsame,
alle Sinne inspirierende Stätte der Wissenschaft werden,
die symbolische Verkörperung der Stadt des Wissens, eine
brandscape der Wissensgesellschaft sozusagen. Verortet werden
könnte eine solche Nutzung im Staatsratsgebäude, aber
auch in der Bauakademie oder in einem Neubau. Zusammen mit der
Museumsinsel könnte so eine zukunftsgerichtete neue Freistätte
für Kunst und Wissenschaft entstehen. Eine solche Freistätte
wäre kein Ort von lokaler oder nationaler, sondern ein Ort
von internationaler Bedeutung.
Das Gespräch führte Bettina Micka
Leserbriefe
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