TU intern - Mai 2001 - Aktuelles

Nicht "bloße Wissensbegierde"

Preußische Wissenschafts- und Technologiepolitik

Im Rahmen des Preußenjahres zeigt die Staatsbibliothek Berlin die Ausstellung "Angewandte Wissenschaften im 18. Jahrhundert in Preußen".

Als vor 20 Jahren, 1981, das damalige West-Berlin das erste Mal ein "Preußenjahr" feierte, beteiligte sich die Technische Universität Berlin mit einer großen historischen Ausstellung: "Berlin: Von der Residenzstadt zur Industriemetropole". Es ging um Traditionen preußischer Wissenschafts- und Technologiepolitik und ihre Bedeutung für die Entwicklung Berlins. 1999 griff die Universität aus Anlass des Gründungsjubiläums der Bauakademie dieses Thema nochmals mit einer Ausstellung auf: "1799-1999. Von der Bauakademie zur Technischen Universität Berlin. Geschichte und Zukunft". Verantwortlich für die Gestaltung beider Ausstellungen war im Auftrag des Präsidenten Karl Schwarz. TU intern sprach mit ihm über das aktuelle Preußen-Jubiläum.


Karl Schwarz gestaltete Preußen-Ausstellungen
Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht dieses Preußen-Jubiläum für unsere Universität?

Es geht um Traditionen. Die Krönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. zum König in Preußen 1701 war ja nur die Spitze einer Reihe von Maßnahmen, mit denen der Ehrgeiz dieses eben erst stabilisierten Staatswesens sich artikulierte. Daneben standen die Anstrengungen zum Ausbau Berlins (Bau des Schlosses, des Zeughauses etc.) und die Förderung von Wissenschaft und Künsten, inklusive Baukunst wie technischer "Künste". In unserer Ausstellung 1999 haben wir an die Gründung der späteren Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften durch diesen ersten König erinnert, an Leibniz und seine Programmsätze zur Entwicklung "nützlicher Wissenschaft" als Aufgabe dieser Akademien. Nicht "bloße Wissensbegierde" und "fruchtlose experimenta", sondern Verpflichtung auf den "gemeinen Nutzen" waren die Stichworte. Das wurde auch in der Folgezeit in Brandenburg-Preußen schärfer akzentuiert als in anderen Ländern. Das ist die Tradition, in der diese Technische Universität Berlin steht. Sich auf sie zu besinnen kann bei den aktuellen Diskussionen um die notwendige Nähe oder Ferne von Forschung wie Lehre der Hochschule zu den Anforderungen unterschiedlicher Praxis nicht falsch sein.

Ist diese Tradition der "nützlichen Wissenschaft", also einer für das "gemeine Wohl" unmittelbar in Pflicht genommenen Wissenschaft, nicht historisch längst überholt, jedenfalls als Idee für eine Universität? Verabschiedet schon durch Wilhelm von Humboldt und also gerade in Preußen?

Die Universitätsidee Wilhelm von Humboldts war in ihrer dezidierten Praxisferne in der Tat das Gegenteil des Leibnizschen Verständnisses von der Aufgabe staatlich institutionalisierter Wissenschaft. Aber die Humboldtsche Universitätsgründung stand nicht allein. Neben ihr gab es eine Vielzahl sowohl älterer wie vor allem dann im 19. Jahrhundert neu gegründeter Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen zur Förderung eben des praktischen Nutzens, zu dem die neue Universität glaubte, Distanz halten zu sollen. Sie alle wurden dann auf die eine oder andere Weise zu Vorläuferinstitutionen der heutigen Technischen Universität Berlin. In unserer Ausstellung 1999 haben wir sie vorgestellt: Die Bergakademie und die Bauakademie, das Gewerbeinstitut und die Gärtner-Lehranstalt, die Landwirtschaftliche Akademie Thaers und last not least die Artillerie- und Ingenieurschule, in deren Namen zum ersten Mal die neue Berufsbezeichnung Ingenieur auftauchte.

Was an diesem Nebeneinander unterschiedlicher Institutionen war denn nun spezifisch "preußisch"?

Eine schwierige Frage. Ich denke, die Gründung der Berliner Universität war ein preußisches Unternehmen nur insoweit, als sie demonstriert, dass und wie dieses von mannigfaltigen Beschränkungen bestimmte Staatswesen in bestimmten Momenten vor allem der Not kraft äußerster geistiger Konzentration über sich und seine Zeit hinauswachsen konnte. Sie war "unpreußisch" vielleicht so wie manche Architekturhistoriker vom Berliner Schloss Andreas Schlüters gesagt haben, es sei "unberlinisch" - die "normalen" Möglichkeiten dieser Stadt überschreitend. Vielleicht war diese Fähigkeit, über sich hinaus zu gelangen, das Moment, das Hegel Unter den Linden zum preußischen Staatsphilosophen hat werden lassen. Im alltäglichen Sinne "bei sich" war Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich eher an der Bauakademie Schinkels und der Gewerbeakademie Beuths als an der Berliner Universität Wilhelm von Humboldts.

Worin sehen Sie die aktuelle Bedeutung dieser von Ihnen herausgestellten Tradition "nützlicher Wissenschaft" Preußens? Wollen Sie mit der Aktualisierung dieses Begriffes etwa wieder das Kriterium der "gesellschaftlichen Relevanz" aktivieren, mit dessen Hilfe man zuletzt 1968 und Folgejahre versucht hat, Wissenschaft zu reglementieren?

Damals, 1968,wurde ein ganzer Kosmos von Gedanken umgewälzt, jede Menge traditioneller Theoreme wurden "vom Kopf auf die Füße gestellt" - wie man mit Marx kokettierend gerne formulierte. Dabei hat man auch die Idee der "Autonomie" der Wissenschaft zertrümmert. Wenn Sie wollen, können Sie in Letzterem in der Tat einen Berührungspunkt zur preußischen Tradition der "nützlichen Wissenschaften" finden. Offenkundigste Differenz: Bei Preußen war die Vermittlungsinstanz zwischen der Wissenschaft und ihrer "gesellschaftlichen Relevanz" der Staat, ein starker Staat. Wir "68er" hatten mit dem Staat nichts am Hut, im Gegenteil. Wenn die Wissenschaft für uns nicht mehr autonom war, so war es die Hochschule um so mehr und erst recht.

Wollen Sie etwa indirekt, über die Beschwörung historischer Traditionen wie die der "nützlichen Wissenschaft", ausgerechnet die Aktualität eines starken Staates, der gegenüber der Wissenschaft und den Hochschulen mit Lenkungsambitionen auftritt, behaupten?

Jedenfalls braucht man über die Bedeutung Preußens für uns heute überhaupt nicht mehr zu reden, wenn man nicht bereit ist, vom Staat und seinem Recht zu reden. Preußen als Idee - und mehr ist uns ja nicht geblieben - war die Idee des Staates: Als die Instanz, die gegenüber den antagonistischen Interessen der Gesellschaft das "gemeine Wohl" vertritt und zur Geltung bringt, wie als Träger der Institutionen der Bildung, der Wissenschaft und Kultur, kurz: aller höheren Ambitionen des Gemeinwesens. Staatsinstinkt war dementsprechend die erste und oberste Tugend seiner Bürger. Ohne diesen Staatsinstinkt bleiben übrigens alle die in diesen Tagen so strapazierten "preußischen Tugenden" tatsächlich beliebige Sekundärtugenden.

Staat, Staatsinstinkt - das klingt nicht gerade sehr zeitgemäß. Bezogen auf die Universitäten klingt es geradezu antimodern.

In der Tat. Dem Mainstream heute geht es um Delegitimierung des Staates auf immer neuen Feldern. Das erklärt die Banalität der bisherigen Auseinandersetzung mit Preußen in diesem so genannten Preußenjahr.

Könnte es nicht auch heißen, dass Preußen uns definitiv nichts mehr angeht, dass es definitiv abgeschlossene, "tote" Vergangenheit ist?

Dies zu verbreiten scheint mir der geheime Sinn der meisten Veranstaltungen zum Preußenjahr zu sein, die ich bisher wahrnehmen konnte. Ich denke nicht, dass diese Liquidierung des geistigen Erbes Preußens unseren tatsächlichen Problemen gerecht wird. Bleiben wird bei den Hochschulen: Glaubt wirklich jemand, die inneren Probleme der Hochschulen, etwa bei der Entwicklung einer zeitgemäßen Lehre, wären gelöst, wenn der Staat sich aus jeder Verantwortung für die Inhalte zurückgezogen und seinen finanziellen Beitrag - in angemessener Höhe, jedenfalls ohne weitere Auflagen - bei den Hochschulen abgeliefert hätte?

Werden Sie jetzt nicht polemisch?

Ich denke nicht. Die prinzipielle Frage bei der aktuellen Diskussion um die neue Autonomie der Hochschulen ist doch die nach den Grenzen der Ökonomisierbarkeit von Orientierungen, Haltungen und Entscheidungen. Die leitenden Bildungsideen, die grundlegende Orientierungen in der Forschung - offenkundig im Bereich der Gentechnologie, aber auch im Hinblick auf Schwerpunktsetzungen unterhalb dieser Ebene - fanden bisher auf der Ebene des Staates ihre Legitimierung und darüber ihre Verbindlichkeit - in der Europäischen Kulturtradition, nicht nur in der preußischen. Mit dieser inhaltlichen Verantwortung verbunden war die Verpflichtung des Staates zur Finanzierung der Hochschulen. In dem Maße, in dem diese sich programmatisch vom Staate lösen, demontieren sie auch ihren entsprechenden Anspruch. Man kann sich aus dem amerikanischen System und der ganz anderen amerikanischen Geschichte nicht das herauspicken, was einem gefällt.

Noch bis zum 15. Juli zeigt die Staatsbibliothek Berlin, Unter den Linden 8, die Ausstellung Angewandte Wissenschaft im 18. Jahrhundert in Preußen. Öffnungszeiten: Mo-Fr 9-21 Uhr, Sa 9-17 Uhr.


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