TU intern - November 2001 - Aktuelles
Nachgefragt
Kriegsberichterstattung: Zwischen Dichtung und Wahrheit
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Kaum ein Militär
gibt Niederlagen zu - es sei denn, die Bedeutung eines
späteren Sieges lässt sich dadurch um so glanzvoller
darstellen.
Hans Poser |
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Seit die Amerikaner zum Gegenschlag gegen den Terrorismus ausgeholt
haben, vergeht kein Tag, an dem uns die verschiedenen Medien nicht
umfangreich über die aktuelle Lage vom Kriegsschauplatz Afghanistan
informieren. Doch trotz der Flut von Meldungen und Berichten haben
viele Menschen das Gefühl, gar nicht wirklich Bescheid zu wissen,
was dort passiert. Ein Gefühl, das nicht zuletzt aus den oft
widersprüchlichen Darstellungen der verschiedenen Seiten resultiert.
Kann Kriegsberichterstattung überhaupt objektiv sein? Und ist
es prinzipiell möglich, ein realistisches Bild der Wirklichkeit
nur mit Hilfe von Informationen aus zweiter Hand zu erhalten? Dies
wollte TU intern von Prof. Dr. Hans Poser, Institut
für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wissenschafts- und Technikgeschichte
der TU Berlin, wissen.
Die US-Streitkräfte haben erstmals einen Hubschrauber
in Afghanistan verloren. Die Besatzung wurde von einem zweiten Hubschrauber
gerettet, der abgestürzte Hubschrauber zuvor gesprengt.
Die Tagesschau referierte diese Meldung und ergänzte sie durch
eine zweite: Die Taliban erklären, einen US-Hubschrauber
abgeschossen und dabei 40 US-Soldaten getötet zu haben.
Dazu gab es ein US-Dementi. Was soll der Zeitgenosse, der all dies
nicht zu überprüfen vermag, davon halten?
Das Problem ist nicht neu; Platon unterschied das bloße Meinen
von der Meinung mit Begründung: Nur letztere kann den Anspruch
auf Wahrheit und Erkenntnis erheben. Nun haben wir es nicht mit
Meinungen zu tun, sondern mit Information, die von beiden Seiten
als wahr behauptet wird. Eben darum unterscheidet sich solche Information
nicht von Meinungen; doch woher sollten wir Kriterien dafür
nehmen, dass die eine erschwindelt, die andere begründet, also
wahr sei?
Auch das ist nicht neu, sondern gänzlich alltäglich:
Ein winziger Bruchteil dessen, was wir als Information erhalten
und dennoch als wahr und begründet ansehen, ist für unsereinen
begründbar, ja, oft genug kennen wir nicht einmal die nötigen
Begründungsverfahren.
ANONYMES VERTRAUEN
Das gilt selbst für die Wissenschaften, denn wenn ich einen
Bericht über ein neu entdecktes Phänomen in Nature
oder auch im Spektrum der Wissenschaft lese, sehe ich
mich in so gut wie keinem Falle imstande, die Information durch
eine eigene Wiederholung des Experiments für mich zu begründen;
ich vertraue vielmehr dem mir zumeist unbekannten Autor und der
Redaktion, in der Annahme, dass sie sich wissenschaftlichen Standards
verpflichtet fühlen. (Dass auch Wissenschaftler mogeln oder
gar betrügen, ist bekannt - aber solche Fälle wären
bei weitem nicht so spektakulär, wenn sie dem Umfang der Alltagsmogelei
entsprächen; vielmehr geschieht dies vergleichsweise selten.)
Ebenso vertrauen wir unseren Nachschlagewerken, weil wir glauben,
den verantwortlichen Herausgebern vertrauen zu können. Kurz
- wir stützen uns bei der Bewertung all dieser Informationen
darauf, dass die Quelle dieses anonyme Vertrauen deshalb rechtfertigt,
weil seine professionelle Aufgabe gerade darin besteht, uns die
Begründung (im Alltagsverständnis: den Wahrheitsnachweis)
im Grundsatz liefern zu können. Weite Teile des Informationsaustauschs
in den Wissenschaften beruhen also auf einer solchen Form anonymen
Vertrauens. Dabei greifen wir auf ein Vorwissen zurück, das
uns gestattet, die Informationsquellen gegeneinander abzuwägen.
WER EINMAL LÜGT ...
Ähnliches gilt auch für Informationen, die wir von uns
persönlich bekannten Informanten erhalten: Wir schätzen
die Glaubwürdigkeit nach vorausgegangenen Erfahrungen ab. Der
Sprichwörterschatz hat dies treffend festgehalten: Wer einmal
lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.
Was folgt daraus für eine Kriegsberichterstattung? Hier liegen
die Dinge im Grundsatz nicht anders, denn wir schätzen die
Glaubwürdigkeit der jeweiligen Informationsquelle ab, indem
wir - wie im Alltag - nach der Interessenlage des Informanten und
sich daraus ergebenden beabsichtigten und unbeabsichtigten Verzerrungen,
nach seinen eigenen Begründungsmöglichkeiten, nach früheren
Positiv- und Negativerfahrungen mit ihr fragen und uns so ein eigenes
Bild zu machen suchen. Konkret bedeutet das: Kaum ein Militär
gibt Niederlagen zu (schon in Livius Bericht über die
Schlachten der römischen Legionen siegten immer die Römer)
- es sei denn, die Bedeutung eines späteren Sieges lässt
sich durch eine vorausgegangene Niederlage um so glanzvoller darstellen.
KRIEGSSTRATEGIE FEHLINFORMATION
Fast jeder Militärbericht streicht Erfolge heraus (das habe
ich noch aus Radiomeldungen von 1945 im Ohr, als die Amerikaner
schon dabei waren, in meine Heimatstadt Göttingen einzurücken),
und wenn eine Ideologie hinzutritt, die Niederlagen grundsätzlich
nicht zulässt, weil der Krieg um eine besonders gute, gar heilige
Sache geführt wird, verstärkt sich unsere Skepsis (im
Golfkrieg meldete nach dem Abschuss eines amerikanischen Flugzeugs
die Sadam-Hussein-Seite, mehrere Dutzend Maschinen abgeschossen
zu haben, und sei es, weil es mehrere Dutzend Beobachtungen gab,
die addiert worden waren). Dazu kommt - und wir wissen es -, dass
gezielte Fehlinformation immer schon ein Element der Kriegsstrategie
war.
Der wesentlichste Teil unseres Umgangs mit Informationen besteht
nicht darin, zur Absicherung 20 Exemplare derselben Zeitung zu erwerben,
sondern abwägend mit ihr umzugehen: Genau das wird in der Wissenschaft
für wissenschaftliche Informationsquellen erlernt (und darum
müssen Zitate und andere Quellen belegt werden); und genau
das üben wir im täglichen Umgang mit der Flut an Informationen,
die wir nach bloßer Meinung und nach Begründetheit zu
sortieren trachten. Leider allerdings schließt das nicht aus,
dass sich mancher durch die Lektüre auch der verschiedensten
Zeitungen in all seinen Vorurteilen bestätigt sieht ...
Leserbriefe
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