Lernen von der Antike

Auch mit der Katastrophe kann man listenreich umgehen, wenn man sein Ithaka liebt

Wo soll's lang gehen TU?, fragt Prof. Preuss-Lausitz die TU-Mitglieder

Quo vadis TU?, fragt Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz. Er hat seine Technische Universität Berlin in den letzten Jahren genau beobachtet und richtet in TU intern einen flammenden Appell für Veränderungen an alle, die die TU Berlin lieben wie er.

Strenggläubige Historiker und antikenferne Generation-Golf-Vertreter mögen das Bild verzeihen: Aber der Weg der TU Berlin im Jahr 2002 erscheint wie Odysseus' Reise zwischen Skylla und Charybdis, bedroht durch gefährliche einäugige Kyklopen, einen zürnenden Poseidon, missgünstige Statthalter. Schiffe gehen verloren, Gefährten werden in Schweine verwandelt. Homer weiß, wie die Reise ausging: O. kam letztlich heim, allerdings unter Verlust der Gefährten und mit zahlreichen Blessuren. Insofern eine tröstliche Perspektive, wer endzeitlich denkt. Andere könnten aber auch schließen, dass dabei 20 Jahre eines schönen Lebens auf Ithaka, dem antiken Center of Excellence, verloren waren, wieder andere, dass Homer die Sache geschönt hat und O. irgendwo im Orkus, also im Totenreich, verschütt gegangen war. Quo vadis TU?

VIER GRAVIERENDE PROBLEME FÜR 2002

Auf ihrem Weg zu einer Hauptstadt-Universität muss die TU im Jahr 2002 mit vier gravierenden Tatsachen umgehen. Erstens: Durch den bedauerlichen, persönlich unvermeidlichen Rücktritt von Präsident Hans-Jürgen Ewers muss sie kurzfristig und unvorbereitet einen neuen Präsidenten samt Präsidium wählen. Zweitens: Die beliebte Berliner "Augen-zu-und-andere-sollen-die-Rechnung-bezahlen-Mentalität" und die Krise einer von Politikern und Bankern missbrauchten und fehlgeleiteten Bank haben das Land Berlin in Schulden gestürzt, die bislang unvorstellbar schienen. Diese Lage wird auch die Finanzierung der TU beschädigen, spätestens bei der Neuverhandlung der Hochschulverträge. Drittens: Die Studienbedingungen sind in manchen Bereichen durch dramatische Überfüllung, unzureichende Arbeitsräume, schlechter werdende Bibliotheksausstattungen, miserable Mittelbauausstattung et cetera beinahe unzumutbar. Viertens: Die allzu mähliche Zusammenführung der Fachbereiche zu neuen Fakultäten, das permanente großsprecherische Ankündigen von Verwaltungs- und Finanzreformen innerhalb der TU (Stichworte: Budgetierung, Verwaltungsreform, besserer Service für die Studierenden, IuK-Dienstleistungen) haben ein Klima der Frustration in den Verwaltungen und Fakultäten geschaffen, vielfach geprägt von Resignation und Abwarten. Von Aufbruch zu neuen Ufern keine Spur. Das brave Schreiben der neuen Fakultätsentwicklungspläne weist eher darauf hin, dass viele hoffen, alles laufe wie seit 1998 weiter. Sie horchen schon auf neue Sirenenklänge Kirkes ... Doch auch hier gibt es Auswege.

Ulf-Preuss-Lausitz ist Mitglied der Reformfraktion im Akademischen Senat der TU Berlin

Erstens: Eine neue TU-Leitung muss von möglichst vielen Kräften in der TU getragen werden. Die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten war dazu nur ein erster Schritt. Die neue Leitung sollte sich in den verschlungenen Irrgärten der gesamten TU Berlin auskennen und sich bei der Arbeit durch das Labyrinth der Interessen am roten Faden fester Vereinbarungen orientieren. Das kann sie nur erreichen, wenn die Situation klar analysiert ist, auf illusionäre Vorhaben verzichtet wird, alle Ebenen und Statusgruppen in Diskurs und Lösungssuche einbezogen werden und Beschlüsse zügig und verlässlich umgesetzt werden. Top-Down-Verkündungen müssen durch die Reaktivierung der vorhandenen Potenziale ersetzt werden.

Zweitens: Die TU Berlin sollte mit den finanziellen Ressourcen fair umgehen. Das heißt: Verzicht auf teure, großspurige Vorhaben - von teuren externen Beratern bis hin zur "Ver-chip-ung" der Uni. Nicht klar durchgerechnete Vorhaben sollten erst gar nicht angeschoben werden. Das heißt aber auch: Bei der schon gegenwärtig mageren Gesamtausstattung der TU Berlin (nur 85 Prozent der Mittelbaustellen sind ausfinanziert und besetzbar) muss auch umverlagert werden: aus Studiengängen/Instituten mit vergleichsweise üppiger Ausstattung und wenigen Studierenden zugunsten solcher Bereiche, die viele Studierende anziehen und ausbilden. Ideologie darf hier keine Rolle spielen - wie bei den Entscheidungen des Strukturplans 1998 weitgehend der Fall -, weil wir eine gerechte Verteilung des Mangels brauchen.

FÜNF VORSCHLÄGE, WIE MAN ES BESSER MACHEN KANN

Die Reformfraktion hat dazu ein differenziertes Konzept vorgelegt, das den Fakultäten, dem AS und dem Präsidium seit Monaten vorliegt. Entscheidungen im Rahmen des neuen Strukturplans der TU müssen noch in diesem Jahr gefällt werden. Hier muss die neue TU-Leitung dazu beitragen, dass diese Fairness in der "Verwaltung des Mangels" endlich umgesetzt wird - auch gegen empörte Aufschreie.

Drittens: Trotz aller personellen und finanziellen Probleme sollte sich die TU in den nächsten Jahren auf ihre inhaltlichen Aufgaben konzentrieren: Neben einer vorwiegend anwendungsorientierten und qualifizierten Forschung geht es in den nächsten Jahren vor allem um Studienreform. Wir brauchen Studiengänge, die in einer dafür vorgesehenen Zeit studierbar sind. Hier könnte die durchgehende Einführung von Modulen der richtige Weg sein. Modul-Studium bedeutet auch, dass die Zwischen- und Schlussprüfungen ersetzt werden durch Leistungen am Ende je eines Moduls. Die Studiengänge müssen in der Hauptstudienphase auf die Berufsfelder hin orientiert sein. Beispielsweise ist es ein Unding, dass etwa Mathematiklehrer viel Mathematik lernen, es aber im Fachstudium keinen Bezug zur Schulmathematik gibt. PISA lässt grüßen! Studierende müssen von Anfang an ein persönliches Betreuungs- oder Mentorenangebot erhalten. Und wir brauchen neu das Teilzeitstudium, zum Beispiel als Abendstudium. Das wäre nicht nur für berufstätige Studierende, sondern auch für nichtberufstätige Frauen und Männer attraktiv. Es muss das Interesse der TU Berlin sein, dass die Universität ein Ort wird, wo sich nicht nur Abiturienten, sondern vermehrt auch ältere Menschen qualifizieren.

Viertens: Die TU muss ihr Weiterbildungsangebot ausbauen, und zwar mit fairen und transparenten notwendigen Gebühren und Preisen. Dafür muss jedoch das "normale" Studium gesichert sein, und die Erfahrungen aus der Weiterbildung müssen in das grundlegende Studium zurückfließen. Junge und Erfahrene sollten sich gemeinsam qualifizieren können - das würde der Professorenschaft ebenso nützen wie den gerade dem Schülerstatus entschlüpften Studierenden.

Fünftens: Die TU sollte sich aus ihrer Depressivität befreien. Diese macht sich in der Lieblosigkeit bemerkbar, wie diese Universität mit sich selbst umgeht. Ihre Presseorgane dienen seit Jahren eher zur Darstellung einer sich selbst ihre Grandiosität einredenden Institution als einer kritisch-diskursiven Suche nach Problemlösungen (insofern: typisch Berlin).

UMBAUPLÄNE DURCH ARCHITEKTURSTUDIERENDE

Ihr Hauptgebäude zeigt allein schon durch die kaum glaubliche Schwere, mit der die Türen zu öffnen sind, ihre Feindseligkeit. Ihr Eingangsbereich ähnelt eher einer düsteren und billigen 60er-Jahre-Bahnhofshalle, mit Werbemüll, billigen Automaten, Wartehallenbänken und einer Infotafel, die zum Himmel schreit. Warum wird keine "Zielvereinbarung" geschlossen mit den Architekturstudierenden, Entwürfe für einen menschenfreundlichen und ästhetischen Umbau vorzulegen? Warum werden die Kommunikationswissenschaftler nicht gebeten, Kommunikationssystem-Entwürfe als Abschlussarbeiten für die Gebäude der TU Berlin zu erfinden? Warum findet darüber keine kreative Diskussion in "TU-intern", im Netz, in den Fakultäten, im Audimax statt?

Wir sollten von Odysseus lernen: Auch mit der Katastrophe kann man listenreich umgehen, aber nur, wenn man sein Ithaka liebt. Ithaka, die Heimat, das ist die TU Berlin. Sie muss sich selbst dadurch schmücken, dass sie Ästhetik mit schonungsloser Selbstkritik und Fairness verbindet und sich als Polis, als Marktplatz für technisch-gesellschaftliche Lösungssuche etabliert. Dann kann sie auch den Feinden trotzen, neuerdings "Sarrazinen" genannt. Etwas Besseres als den Untergang findet man immer.

Die Red. freut sich auf Ihre Beiträge.

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