Hundert Wörter für Schnee

Eine TU-Wissenschaftlerin ergründet die Welt der Wörter in der Arktis

Auch in der Arktis hat die Technik Einzug gehalten: Fisch- und Robbenfang dienen nur noch der Selbstversorgung, Schlittenhunde werden überwiegend als Haustiere gehalten, zur Fortbewegung sind die arktischen Völker motorisiert

"Nunavut" - "unser Land", eine neu gegründete Provinz in der kanadischen Arktis, zwei Millionen Quadratkilometer groß, sechsmal so groß wie Deutschland und nur wenige Grad vom Nordpol entfernt. Hier leben etwa 20000 Inuit - "Menschen". Sie sprechen Inuktitut, eine Sprache aus der Eskimo-Aleut-Familie, die nur noch rund 100000 Menschen auf der Welt in verschiedenen Dialekten sprechen; von der Nordspitze Asiens über Alaska und die kanadische Arktis bis nach Grönland. Die kältegewöhnten Inuit haben zwar eine der höchsten Geburtenraten der Welt, ihre Sprache ist jedoch vom Aussterben bedroht. Durch die zunehmende Technisierung wird sie immer mehr aus dem Alltag verdrängt. Mit der Welt kommuniziert man auf Englisch.

Einer der wenigen Menschen auf der Welt, die sich wissenschaftlich mit Inktitut befassen, ist Dr. Elke Nowak, Linguistin an der TU Berlin und Präsidentin der Gesellschaft für Kanadastudien. Sie versucht, die grammatische Struktur dieser Sprache zu durchdringen und zu systematisieren.

"In der Biologie diskutiert man nicht darüber, dass das Aussterben einer Art den unwiederbringlichen Verlust genetischer Ressourcen bedeutet. Sprachen aber sind mentale Ressource der Menschheit", begründet Elke Nowak ihr großes Interesse an einer so ausgefallenen und für Europäer sehr schwierig zu fassenden Sprache.

"Die Sprache beeinflusst die Wahrnehmung der Umwelt und somit die Realitäten des Menschen." Beispiele sind die gern zitierten hundert verschiedenen Wörter für Schnee oder Kälte der Inuit, die ihre Niederschläge nicht in Wasser und Eis unterscheiden. Ihnen sind vielmehr die jeweiligen feinen Differenzen des Normalzustandes "gefroren" wichtig. Elke Nowak und ihren Mitarbeitern Dr. Siri Tuttle und Dr. See-Young Cho geht es in ihrem DFG-finanzierten Forschungsprojekt, das sich auch mit anderen athapaskischen Sprachen befasst, jedoch vor allem darum, dass es Sätze in einer Sprache wie Inuktitut eigentlich nicht gibt. Die extrem komplexen Wörter verknüpfen sich fast unmittelbar zum Gespräch. Genau hier liegt der unschätzbare Wert einer Untersuchung so andersartiger Sprachen: Welche Spannbreite hat unser Sprachvermögen überhaupt, welche Optionen existieren für den Menschen?

Ein lohnendes Feld auch für Studierende der allgemeinen Linguistik, die strukturelle Kenntnisse in nicht indoeuropäischen Sprachen brauchen. So war es auch bei Elke Nowak - sie hat mit der Sprache der Mayas im tropischen Regenwald angefangen und sich dann immer weiter nach Norden vorgearbeitet - bis in die Arktis!

Patricia Pätzold

www.nunavut.com
ling.kgw.tu-berlin.de/polysynthese


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