TU intern - Februar/März 2002 - Aktuelles
Nachgefragt
Berlins Finanznot -
kein Entrinnen?
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Wenn
der Bund seinen Stabilitätspflichten aus dem Maastricht-Vertrag
nicht mehr nachkommen kann, weil ein Mitglied ins Schleudern
kommt, muss er handeln.
Markus
C. Kerber |
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Trotz drastischer
Sparmaßnahmen in Berlin durch den neuen rot-roten Senat steigt
allein die Neuverschuldung auf die Summe von 6,3 Milliarden Euro.
Der Rekordschuldenberg der Hauptstadt wächst rasant weiter:
von jetzt 39 Milliarden Euro auf 56 Milliarden im Jahr 2006. Bei
diesen Zahlen wird mehr und mehr der Ruf nach der Sanierungshilfe
des Bundes laut. Das Problem sei der Beweis einer unverschuldeten
Haushaltsnotlage, so Berlins neuer Finanzsenator Thilo Sarrazin
(SPD). Dr. Markus C. Kerber, Privatdozent an der Fakultät
VIII, Wirtschaft und Management, der TU Berlin, analysiert in
einem Diskussionspapier den Finanznotstand und zeigt Ursachen sowie
Lösungswege auf.
Das zentrale Sachproblem
Berlins sind seine Finanzen. Wo liegen die Ursachen, wann nahm die
Krise ihren Anfang?
Hierzu haben alle Berliner
Parteien in unterschiedlichem Ausmaß seit 1990 beigetragen.
Das Anschwellen des Schuldenstandes von 12, 3 Milliarden DM in 1990
auf mehr als 75 Milliarden DM im Jahre 2001 ist schwindelerregend.
Der zusätzliche Mittelbedarf für die Bankgesellschaft
brachte lediglich die Finanzplanung durcheinander und katalysierte
die Krise ins öffentliche Bewusstsein. Die Ursache für
die heutige Finanzmisere wurde seit 1990 Jahr für Jahr von
allen politischen Kräften durch unterlassene Entschuldung und
immer wieder verschobene Anpassung des Ausgabenniveaus an die Einnahmekraft
gelegt.
Liegt tatsächlich
in Berlin eine Ausnahmesituation vor, die man als Haushaltsnotlage
bezeichnen kann?
Nein. Die Haushaltsnotlage
ist ein juristischer Tatbestand, der den Anspruch auf Bundesergänzungszuweisungen
begründet, wie im Fall Bremen und Saarland. Doch abgesehen
von vergleichbar schlechten Finanzierungskoeffizienten müssen
dafür zwei Voraussetzungen gegeben sein, wie das Bundesverfassungsgericht
bereits 1992 feststellte. Erstens: Die Situation darf nicht erkennbar
selbst verschuldet sein. Zweitens: Es dürfen keine Vermögensmittel
mehr zur Verfügung stehen. Beides ist in Berlin nicht der Fall.
Welche Wege sehen
Sie aus der Geldkrise?
Diese Verfassungslage
macht das Dilemma einer mit der Person des Regierenden Bürgermeisters
verbundenen Konsolidierungspolitik deutlich: Selbst wenn er zum
Handeln entschlossen wäre, ist er vertikal von den Bezirken
und horizontal von den Ressortchefs eingegrenzt. Er kann dieser
institutionellen Eingrenzung nur im Wege einer gesonderten Ermächtigung
durch das Abgeordnetenhaus entkommen.
Wie könnte die
Bewältigung des Finanznotstands aussehen?
Der deutschen Hauptstadt
steht meines Erachtens eine finanzpolitische Belastungsprobe bevor,
die die Vitalität des Politischen mit aller Wucht zum Tragen
bringen wird. Zunächst bedarf es der Feststellung, dass Berlin
weder zum Staatsbankrott verurteilt ist, noch sich durch einen Hauptstadtvertrag
mit dem Bund aus der Affäre ziehen kann. Der Staatsbankrott
ist souveränen Staaten vorbehalten. Berlin ist ein nicht-souveräner
Gliedstaat. Das Land kann daher gar nicht einseitig seine Zahlungsverpflichtungen
einstellen oder suspendieren. Was immer passiert: Der Gesamtstaat
muss und wird Berlin auffangen, noch bevor es zu unüberwindbaren
Zahlungsschwierigkeiten kommen wird. Davon zu trennen ist die völlig
offene Frage, wer in welchem Umfang Berlin beistehen muss, um einen
andauernden Finanznotstand zu bewältigen. Im Ergebnis wird
trotz aller Drohungen dieser Rahmen nicht ausreichen, um das zu
schaffen, was Berlin dringend braucht: eine radikale Reduzierung
seiner Schuld auf nicht mehr als 25 Milliarden Euro sowie eine signifikante
Senkung seiner Ausgaben insbesondere im Personalbereich.
Welche pragmatischen
Handlungsoptionen gibt dafür?
Berlin muss im Wege eines
Befreiungsschlages das gesamte verbliebene Vermögen und die
Erlöse sofort für die Nettotilgung zur Verfügung
stellen, und gleichzeitig muss das Abgeordnetenhaus massive Eingriffe
in die Ausgabenstruktur insbesondere im Personaletat beschließen.
Es geht also darum, sämtliche Sondererlöse aus Privatisierungen
ausschließlich der Nettoschuldentilgung zuzuführen. Für
die Senkung der Personalausgaben muss das Tabu der betriebsbedingten
Kündigungen aufgegeben werden. Einen anderen Weg sehe ich nicht.
Womöglich wird man einen Bundeskommissar einsetzen müssen.
Das wäre neu für die Geschichte der Bundesrepublik. Doch
wenn der Bund seinen Stabilitätspflichten aus dem Maastricht-Vertrag
nicht mehr nachkommen kann, weil ein Mitglied ins Schleudern kommt,
muss er handeln.
Das
Gespräch führte Patricia Pätzold
Markus C.
Kerber: Finanznotstand in Berlin: Staatsbankrott oder
fin de régime? Diskussionspapier 2001/15, Hrsg.:
Wirtschaftswissenschaftliche Dokumentation, ISSN 0944-7741 |
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