TU intern - Januar 2002 - Internationales
Antisemitismusforschung
Zuflucht Australien:
Tür an Tür mit alten Nazis
Widersprüchliche
Immigrationspolitik: Australien bot sowohl Opfern als auch Tätern
Schutz (Abb. aus: Die Juden in Deutschland 1933-1944) |
Australien - seine Einwanderungspolitik
der letzten Jahrzehnte machte das Land zum bewunderten Muster multikultureller
Vielfalt. Im August 2001 sorgte die Regierung in Canberra allerdings
mit der Abweisung afghanischer Bootsflüchtlinge für weltweite
Schlagzeilen. Und auch vor und nach dem Zweiten Weltkrieg war die
Immigrationspolitik des Landes vor allem gegenüber jüdischen
Flüchtlingen durchaus widersprüchlich. Auf einer Konferenz
des Zentrums für Antisemitismusforschung
der TU Berlin im Dezember versuchte man den Widersprüchen auf
die Spur zu kommen: Zuflucht Australien - Exil und Emigration auf
dem fünften Kontinent.
Nach dem Zweiten
Weltkrieg haben sich viele Nazi-Kriegsverbrecher nach Australien
abgesetzt, doch erst vor rund 20 Jahren begannen die Australier
mit der Aufarbeitung der Geschichte dazu, erzählt Prof.
Dr. Konrad Kwiet. Er muss es wissen, denn er ist Chefhistoriker
der australischen Kriegsverbrecherkommission. 1973 hatte sich Konrad
Kwiet an der TU Berlin habilitiert, war 1976 einem Ruf nach Australien
gefolgt und stellte dann vielfältige Kontakte zwischen TU Berlin
und Einrichtungen in Australien her. Zurzeit ist er am Zentrum für
Antisemitismusforschung als Gastprofessor tätig. Auf der Konferenz
berichtete er, dass noch in den 60er Jahren die eingewanderten Handlanger
des NS-Regimes nicht ausgeliefert wurden. Sie lebten unter Umständen
in Sydney Tür an Tür mit ihren ehemaligen Opfern.
Was es heißt, als
Deutsche der Nachkriegszeit Tür an Tür mit Überlebenden
des Holocaust zu leben, erfuhr Dr. Frauke Meyer-Gosau noch in jüngster
Zeit. Die Germanistin und Literatin hatte drei Jahre an der Universität
Sydney verbracht und wohnte während der Zeit in einem von Juden
bewohnten Stadtteil. Dort traf sie auf Schritt und Tritt auf Menschen,
die den deutschen Nazi-Terror überlebt hatten. Durch diese
Erfahrung bereichert, betrachtete sie ihre Umgebung im Odenwald,
wo sie heute zwischen lauter alten Nazis lebt, mit anderen
Augen. Ein Nachbar, so ihr Bericht, war im Dritten Reich ein berühmter
Professor und überzeugter Nationalsozialist
er blieb
es auch danach.
Über australisches
Exil und die allmähliche Integration jüdischer Flüchtlinge
berichtete Salomea Genin aus eigener Anschauung. Sie war in den
30er Jahren nach Melbourne ausgewandert, aber schon Mitte der 50er
Jahre nach Deutschland zurückgekehrt. Weitere Vorträge
und Diskussionen über Politik, Kulturarbeit oder eingewanderte
deutsche Frauen rundeten das Programm ab.
Australien ist
weit weg, und die Geschichte der jüdischen Immigration ruft
auf der einen wie auf der anderen Seite nicht das größte
Interesse hervor, bedauert Professor Wolfgang Benz, Leiter
des Zentrums und Organisator der Konferenz. Doch mit dem Besucherandrang
war er zufrieden: Der Raum war voll.
Patricia
Pätzold
Leserbriefe
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