TU intern - Januar 2002 - Forschung

Sei tausendmal gegrüßt

Was Feldpostbriefe über das Leben im Zweiten Weltkrieg erzählen

Sechs Jahre lang unterhielten sich Irene Guicking und ihr Mann Ernst im Zweiten Weltkrieg per Feldpost über Ehe-, Familien- und politische Angelegenheiten. Ihr Briefwechsel ist vollständig erhalten, ein seltener Schatz für die Wissenschaft. Wertvoll auch für die Ehe: Sie hielt mehr als 50 Jahre

“Mein lieber Schatz, mach Dir um uns doch keine Sorgen.“ “Mein Goldschatz, So wie ich an Dich glaube, so glaube ich an unseren Sieg, an unsere Zukunft und an unser Glück. … Es scheint etwas ganz Neues zu sein. Vielleicht eine Wunderwaffe.“ Unglaubliche 30 bis 40 Milliarden Briefe mit dem Vermerk “Feldpost“ wechselten im Zweiten Weltkrieg zwischen Heimat und Front Besitzer und Besitzerin. Eheleute besprachen Familienangelegenheiten und tauschten verbale Zärtlichkeiten aus. Mütter machten Söhnen Mut und umgekehrt.

Nur wenige dieser Briefe, die Historikern eine einzigartige Chance bieten, die Soziologie des Krieges aus der Perspektive des Privaten zu studieren, sind erhalten bzw. der Forschung zugänglich. Ein Jahr lang haben Dr. Clemens Schwender und Dr. Katrin Kilian vom Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin über 30000 von ihnen gesammelt, gesichtet, sortiert und zusammen mit dem Museum für Kommunikation Berlin ein in Deutschland einmaliges Feldpost-Archiv ins Leben gerufen. Einen ganz besonderen Schatz, nämlich den aus rund 2000 Briefen bestehenden Briefwechsel des hessischen Ehepaares Ernst und Irene Guicking, haben Katrin Kilian und Clemens Schwender in dem Buch “Sei tausendmal gegrüßt“ jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

“Interessant ist so ein Briefwechsel vor allem, weil es den sensiblen und verletzlichen Menschen in der Ausnahmesituation des Krieges zeigt“, erklärt Katrin Kilian, die das Feldpostarchiv vor rund einem Jahr initiiert hat, es leitet und ihre Doktorarbeit darüber geschrieben hat. Titel: “Das Medium Feldpost als Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Archivlage, Forschungsstand und Aufbereitung der Quelle aus dem Zweiten Weltkrieg.“ Vor allem die Einmaligkeit, dass man anhand des Guicking’schen Briefwechsels sowohl politische, historische als auch private Ereignisse kontinuierlich verfolgen kann, macht diese Sammlung so wertvoll. Der Krieg verhinderte über Jahre, dass das junge Ehepaar zusammenleben konnte. Die beinahe täglichen Briefe per Feldpost gaben der jungen Frau Einblick in das Leben des Frontsoldaten. Ihr Mann nahm brieflich Anteil an der Geburt seiner beiden Töchter, am Alltag in der Heimat, dessen Bewältigung im Laufe des Krieges immer schwieriger wurde. Zu danken ist dieses spannende Zeitdokument der mittlerweile achtzigjährigen Irene Guicking. Sie ließ ihre in alter Sütterlinschrift verfasste Briefsammlung nochmals abschreiben und nahm über eine bekannte Lehrerin Kontakt zum Feldpostarchiv auf. Im Buch sind rund 100 Briefe abgedruckt, doch es enthält - eine weitere Besonderheit - eine CD, die alle Briefe, in einer Datenbank nach Schlagworten geordnet, zugänglich macht, sowie eine Vielzahl weiterer zeitgenössischer Dokumente, Fotos und Faksimiles.

Patricia Pätzold

Sei tausendmal gegrüßt. Hrsg. Jürgen Kleindienst, JKL Publikationen GmbH, Reihe Zeitgut, Berlin 2001

Viele Fragen aus der Wissenschaft

In bundesdeutschen Archiven, Instituten und Bibliotheken sind zersplitterte Bestände von insgesamt etwa 80000 Feldpostbriefen deutscher Soldaten und ihrer Angehörigen archiviert. Eine verschwindend geringe Zahl im Vergleich zu den Milliarden Sendungen, die allein im deutschen Postbereich während des Krieges übermittelt wurden. Diese Selbstzeugnisse sind nicht katalogisiert und nur vor Ort einsehbar. Briefverfasser oder -empfänger sind meist nicht ermittelbar.

Mehr im WWW:
-> Feldpost-Archiv

Dieser Situation begegnet das Kooperations-Projekt Feldpost-Archiv Berlin. Das Museum für Kommunikation Berlin archiviert das Material langfristig, das TU-Institut für Sprache und Kommunikation, Fachgebiet Medienwissenschaft, sorgt für die wissenschaftliche, pädagogische und kulturelle Nutzung der Archivalien. Durch Aufrufe in den Medien werden seit Januar 2001 diese Lebensdokumente aus dem Zweiten Weltkrieg aus Privathaushalten gesammelt, archiviert, digitalisiert und transkribiert. Eine erste Fassung des Kataloges ist im Internet orts- und zeitunabhängig einsehbar. Bereits jetzt wird das Feldpost-Archiv von der Forschung, von Verlagen, Pädagogen und Medien aus dem In- und Ausland intensiv frequentiert. An der TU Berlin werden die Dokumente wiederholt in Seminaren genutzt. Forschungsfragen gelangen aus unterschiedlichen Disziplinen an die Quelle, so zum Beispiel aus Psychologie, Linguistik, Soziologie oder Geschichtswissenschaften. Die Homepage präsentiert den interdisziplinären Zugriff. Sie wird durch eine umfangreiche, nützliche Linksammlung zu weiteren Archiven und Sammlungen, durch Literaturhinweise und weitere Informationen ergänzt.

Katrin Kilian


Leserbriefe

  TU intern -
    Januar 2002


© 01/2002 TU-Pressestelle