TU intern - Januar 2002 - Aktuelles

Meinung

Stammzellenforschung in Deutschland

Kein Wissenschaftler muss in die USA oder nach Israel gehen

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat ihre Entscheidung über die Forschung mit importierten embryonalen Stammzellen erneut verschoben. Sie will sich erst nach der Bundestagsentscheidung äußern, die für den 30. Januar geplant ist. Was hängt für die Wissenschaft, für die Stadt und das Land und nicht zuletzt auch für die TU Berlin von diesen Entscheidungen ab? PD Dr. Roland Lauster, Leiter der Molekularbiologie am Deutschen Rheumaforschungszentrum Berlin und Gastprofessor der Medizinischen Biotechnologie an der TU Berlin, nimmt in TU intern Stellung.


Roland Lauster

Die Erforschung der Differenzierungsmöglichkeiten von embryonalen Stammzellen (ES) im Labor steht gegenwärtig im Mittelpunkt der forschungspolitischen und ethischen Diskussion. Der Mensch aus der Retorte ist die Vision der ablehnenden Fraktion, die Heilung von Gewebedefekten bei einer Reihe von Erkrankungen die Vision der Befürworter. Politisch zeichnet sich nun ein “Kompromiss“ ab, der den Import von embryonalen Stammzellen für eine limitierte Zahl ausgewählter Labore ermöglichen wird. Daneben wird es eine Anzahl von Forschungsprogrammen zur Differenzierung adulter, also aus bereits differenziertem Gewebe gewonnenen, Stammzellen geben. Was würde eine solche Entscheidung für die Forschung an der TU Berlin und in der Berliner Forschungslandschaft allgemein bedeuten?

Auf die Lehre an der TU Berlin hat die Entscheidung sicherlich keinen Einfluss, da die Daten an embryonalen Stammzellen ja international publiziert werden, und ich habe solche Daten auch bereits in der Vorlesung Medizinische Biochemie den Studierenden vorgestellt. In der Forschung ist es bislang für mich nicht absehbar, dass an der TU Berlin eine Arbeitsgruppe das Ziel verfolgt, embryonale Stammzellen zu differenzieren. Ein Effekt wäre hier möglicherweise erst längerfristig zu erwarten, wenn die Medizinische Biotechnologie entsprechend ausgebaut werden sollte.

Anders ist die Lage für den Forschungsstandort Berlin zu beurteilen, an dem solche Zellen sicherlich in einigen Laboren sinnvoll eingesetzt werden könnten. Direkt betroffen sind die Arbeitsgruppen, die bislang sehr erfolgreich an embryonalen Stammzellen der Maus geforscht haben und dies nun auf den Menschen übertragen wollen, sowie Arbeitsgruppen, die ein etabliertes Transplantationsziel in der Medizin verfolgen.

Es ist gegenwärtig nicht absehbar, wie groß die Risiken des Einsatzes dieser Zellen in der Transplantationsmedizin sind, in welchem Maße zum Beispiel Tumore dabei entstehen können. Ebenso spekulativ sind die Möglichkeiten des Einsatzes adulter Stammzellen, da hier erst langsam klar wird, welche Differenzierungskapazitäten in den schwer zu definierenden Zellpopulationen stecken. Eine Reihe in letzter Zeit veröffentlichter Daten deutet darauf hin, dass sich in der Verwendung von “Hämatopoetischen Stammzellen“ oder “Mesenchymalen Stammzellen“ aus dem Knochenmark oder von “Ektodermalen Stammzellen“ aus dem Haarfollikel viele der Effekte erzielen lassen, welche man sich von den “Embryonalen Stammzellen“ erhofft.

Im Bereich der Regeneration von Nervenzellen liegen bislang die stärksten Argumente zum klinischen Einsatz der embryonalen Stammzellen, auch wenn bis hierher noch ein langer Weg von Tierexperimenten notwendig ist.

Zusammenfassend glaube ich, dass Deutschland in seiner besonderen historischen Situation mit dem Kompromiss leben kann und kein Forscher aus diesem Grunde nach Amerika oder Israel auswandern muss. Die Frage, unter welchen Bedingungen adulte Stammzellen isoliert, vermehrt und differenziert werden können, stellt für mich wissenschaftlich eine größere Herausforderung dar als das gegenwärtig zu beobachtende “Nachkochen“ der Experimente, die zuvor mit embryonalen Zellen der Maus durchgeführt worden sind.

Mehrere Wochen hatten Studierende und Mitarbeiter im Dezember und Januar die Gelegenheit, sich im Lichthof über den Forschungsschwerpunkt Biotechnologie an der Technischen Universität Berlin zu informieren. Diese Ausstellung zeigte mit Objekten, Fotos und Texten die biotechnologischen Aktivitäten im Land Berlin und an der TU Berlin, zum Beispiel interessante Forschungsprojekte auf den Feldern Medizin, Nahrung, Umwelt, Prozessentwicklung und Bionik. Sie behandelte die weit zurückreichende Geschichte der Biotechnologie an der Technischen Universität Berlin, deren Ursprung im Bereich Lebensmittel-Biotechnologie liegt. Interesse bei den Studierenden fand vor allem die Darstellung des Studienganges Biotechnologie, der zusammen mit einer koreanischen Universität ein deutsch-koreanisches “Dual Degree“-Programm mit Abschluss Diplom/Master anbietet.

tui


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