Klappe für den "kleinen Schindler"

Angehende Medienberater drehen eine Dokumentation über Berliner Zivilcourage in der NS-Zeit

Die Blindenwerkstatt Otto Weidts als sicherer Ort

Gleich zwei Ziele verfolgt Dr. Barbara von der Lühe mit Ihrem TV-Feature-Projekt "Blindes Vertrauen - Inge Deutschkron und die Blindenwerkstatt von Otto Weidt": "Wir wollen ein historisches Thema im Fernsehen für ein breites Publikum ansprechend darstellen, uns dabei aber von der mittlerweile üblichen "Histotainment-Mode" abgrenzen. Zugleich möchten wir die Erinnerung wach halten an Otto Weidt und die Menschen, die in der Blindenwerkstatt Otto Weidts am Hackeschen Markt gearbeitet und sich vor den Nazischergen versteckt haben", erklärt die Privatdozentin Barbara von der Lühe vom Studiengang Medienberatung am Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin.

Schon seit längerer Zeit befasst sie sich in ihren Praxisprojekten an der TU Berlin mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in verschiedenen Medien und hat viele persönliche Kontakte zu Überlebenden des Holocaust geknüpft. Im Mittelpunkt des neuen Projektes steht die 1940 eröffnete Blindenwerkstatt von Otto Weidt, wo der Bürsten- und Besenfabrikant vorwiegend blinde und behinderte Juden und Nichtjuden beschäftigte. Mehrmals verhinderte er die Deportation seiner jüdischen Angestellten in Konzentrationslager. Einigen jüdischen Familien bot er Zuflucht und monatelang Versteck vor den Verfolgern. Nach der Deportation seiner jüdischen Mitarbeiter im Jahr 1943, die schließlich nicht mehr zu verhindern war, schickte er ihnen und ihren Freunden Lebensmittelpakete nach Theresienstadt. Die Blindenwerkstatt des "kleinen Schindler" am Hackeschen Markt wurde 1945 geschlossen, Weidt starb am 22. Dezember 1947. Von der Gedenkstätte Yad Washem in Jerusalem wurde er als "Gerechter unter den Völkern" geehrt, sein Grab in Berlin Zehlendorf wurde zum Ehrengrab erklärt. Auch Inge Deutschkron, Publizistin und Buchautorin, arbeitete zeitweilig in der Blindenwerkstatt von Otto Weidt und überlebte die NS-Zeit in verschiedenen Verstecken. Sie gehört zu den Interviewpartnern des TU-Projektes. Fast wäre dieser authentische Ort der Nazi-Verfolgung in der Rosenthaler Straße 39, wie so viele andere Schauplätze der NS-Zeit, aus dem Berliner Stadtbild verschwunden. Dank der Initiative von Studierenden des Studiengangs Museumskunde der FHTW wurde er aber vor wenigen Jahren wieder zugänglich gemacht und die Ausstellung "Blindes Vertrauen - Versteckt am Hackeschen Markt 1941-1943" erarbeitet. Schließlich gelang im Jahr 2001 die Angliederung der "Blindenwerkstatt" an das Jüdische Museum Berlin. Besonders viele Schulklassen kommen heute zu Führungen. Dieser Ort mit seiner besonderen Atmosphäre lasse niemanden kalt, stellt Frau von der Lühe fest.

Im vergangenen Wintersemester erarbeiteten die Projektteilnehmer zusammen mit Inge Deutschkron und Kai Grudz, dem Leiter des Museums, ein Konzept für das TV-Feature, die Drehorte wurden ausgewählt und fotografiert. Mehrere Arbeitsgruppen führten intensive Archiv- und Literaturrecherchen durch, das Storyboard mit Drehplan, Drehorten und anderen filmtechnischen Details wurde geschrieben. Im Sommersemester nehmen die Studierenden nun in Kooperation dem Offenen Kanal Berlin die Interviews auf und filmen an den Originalschauplätzen in Berlin und Umgebung. Interviewt werden unter anderen Michael Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums, Hans Israelowicz, Zeitzeuge Blindenwerkstatt sowie die Historikerin Regina Scheer. Aus diesem Rohmaterial entsteht im Wintersemester 2002/03 der Film, der im Offenen Kanal Berlin geschnitten und gezeigt wird. Das Projekt wird auch von der Ernst-Strassmann-Stiftung in der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert. "Wir hoffen, damit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen klar zu machen, dass Zivilcourage selbst unter dem NS-Regime möglich war", sagt Barbara von der Lühe, "dass man helfen konnte und überleben."

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