Ein weißer Revolutionär

Am Anfang jeder Hochschulreform steht die Vision

In seinem Rechenschaftsbericht für das Jahr 1999/2000 hat Hans-Jürgen Ewers ausgesprochen, was er eigentlich für ein Wagnis hielt. Er weiß, dass seine Vision von einer Reform nicht ausreicht, er muss vielmehr die ganze Technische Universität mitnehmen auf diesen Weg, dessen Folgen keineswegs klar vorauszusehen waren. Der Reformprozess "verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an Motivation und Engagement. Identifikation der Angehörigen der Universität mit diesem Prozess ist daher ebenso notwendig wie das Verständnis der Freunde der Universität für ihn. Die Früchte der Strukturreform reifen nicht von heute auf morgen."

ABSAGE AN GRUPPENUNIVERSITÄT

Für Journalisten war Hans-Jürgen Ewers ein interessanter Mann. Nicht nur, weil er selbst einmal Journalist hatte werden wollen, sondern weil er auch starke und zugespitzte Worte benutzte, um Freunden und Gegnern zu sagen, worum es eigentlich geht: um eine Totalreform der Technischen Universität an Haupt und Gliedern und nicht nur um das Justieren von einzelnen kleinen Schräubchen. Jahrzehntelang hatten die Linken den Reformbegriff für sich gepachtet: Gremienuniversität, Gruppenproporz, am liebsten nach dem Modell der Viertelparität, und die Atomisierung der Universität in Fachbereiche über Fachbereiche. Dagegen war Ewers ein weißer Revolutionär: Er erteilte der Gruppenuniversität eine Absage, weil sie die Hochschule durch Kompromisse auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner bis an den Rand der Unbeweglichkeit gebracht hatte. 21 Fachbereiche an der alten Technischen Universität, von denen die meisten nur eine Disziplin umfassten - die Mathematik, die Physik, die Chemie -, aber drei Fachbereiche widmeten sich allein dem Maschinenbau. Wie sollte man da zu großen, übergreifenden Forschungsschwerpunkten kommen, in einer Zeit, in der die wesentlichen Neuerungen an den Grenzbereichen der Disziplinen stattfinden? Selbst 15 Fachbereiche waren immer noch zu viel. Unter Ewers Leitung wurden es acht. Aber die ganz große Reform mit einer revolutionären Verschränkung von Natur- und Ingenieurwissenschaften haben die Konservativen nicht mitgemacht.

Es rächte sich, dass der Visionär Ewers, obwohl er im Konzil mit nur einer Stimme Mehrheit 1997 gewählt und im Akademischen Senat auch nur mit einer Stimme Mehrheit ausgestattet war, zwar sich von niemandem die Reform verwässern lassen wollte - schon gar nicht durch die Gremienuniversität -, aber mit einer Gremienuniversität auskommen musste. Jederzeit konnten die im Akademischen Senat Unterlegenen bei der abschließenden Beratung im Kuratorium mit Hilfe der Politiker und Verbandsfunktionäre den Reformelan bremsen, ihm die Spitze nehmen. Als Ewers unter dem Spardiktat der Politiker nur noch die Chance sah, die einzige Technische Universität in Berlin sich auf den Kernbereich der Natur- und Ingenieurwissenschaften konzentrieren zu lassen und den Geistes- und Sozialwissenschaften nur dann eine Zukunft geben wollte, wenn sie sich auf diesen Kernbestand hin orientierten, war für die Lehrerbildung an der TU kaum noch Platz. Die Linken haben die Lehrerbildung mit Hilfe des Kuratoriums für die TU gerettet.

REFORM NICHT VERWÄSSERN

Die Technische Universität wollte unter Ewers einen anderen Weg als die Freie Universität oder die Humboldt-Universität gehen. Zuerst die großen inhaltlichen Reformen und am Ende die neue Verfassung, in der die Manager und die herausragenden Persönlichkeiten zusammen mit den TU-Wissenschaftlern den Ton angeben und nicht mehr die Politiker und Gremienfunktionäre. Die Humboldt-Universität und die Freie Universität haben sich eine solche Reformsatzung zuerst gegeben und danach ihre inhaltlichen Reformen ohne Schwierigkeiten durch die Kuratorien neuer Art gebracht. Die TU hat auf ihrem langen Weg viele Reibungsverluste hinnehmen müssen. Den Schlussstein der Reformen mit einer neuen Verfassung muss die TU noch setzen. Aber wichtige Weichen wurden gestellt. Die neuen acht Fakultäten werden selbstständiger, sie bekommen eigene Budgets, müssen sich auf der anderen Seite aber auf Zielvereinbarungen einlassen, damit die Reform an der entfesselten Universität nicht zum Stillstand kommt.

UNI ALS AKTIENGESELLSCHAFT

Im Jahre 1999 feierte die Technische Universität den 200. Gründungstag der Bauakademie und die Verleihung des Promotionsrechts vor hundert Jahren. Damals trat Hans-Jürgen Ewers vor die Festversammlung und bot einen Bericht über die TU aus dem Blick des Jahres 2015: Dann existierte die Technische Universität als Aktiengesellschaft mit 6000 Aktionären. Die meisten dieser Aktionäre wären Alumni, Studenten, Mitarbeiter und Vertreter der Wirtschaft. Die TU Berlin hätte inzwischen große Forschungsschwerpunkte eingerichtet mit einer Exzellenz, die ihr einen Platz "zumindest unter den ersten zehn weltweit" sichern würde. Zu diesem Zeitpunkt sind auch Studiengebühren akzeptiert, und die Leistung der Wissenschaftler werden in der Weise belohnt, dass der Staatszuschuss "als prozentualer Zuschlag" zu den von den TU-Anghörigen selbst eingeworben Budgets in Forschung und Lehre vergeben wird. Ewers wollte mit seiner Vision die Fantasie anstoßen. Den Tag, an dem diese Vision hätte Wirklichkeit werden können, ob im Jahr 2010 oder 2015, hat Ewers nicht mehr erlebt. Er ist viel zu früh am 24. April 2002 aus dem Kreis seiner Bewunderer, Freunde und auch aus dem Kreis der ihm Respekt zollenden Gegner gerissen worden. Welch ein Verlust für die Technische Universität, die Stadt und das Land.

Uwe Schlicht, "Der Tagesspiegel"


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