Bürokratisch gegängelt kann Wissenschaft nicht gedeihenAS-Mitglied Prof. Jürgen Starnick plädiert für autonomeres Management an den Fakultäten
"Quo vadis TU?", fragte im April dieses Jahres an dieser Stelle Professor Ulf Preuss-Lausitz und entwickelte Zukunftsvisionen für seine Technische Universität. In mehreren Leserbriefen war die Diskussion aufgenommen worden. Jetzt meldet sich mit Prof. Dr. Jürgen Starnick ein weiteres hochrangiges TU-Mitglied zu Wort:
Nun liegt es vor - das Gutachten zur Hochschulmedizin in Berlin. Die Klinika und die medizinischen Fakultäten der Freien Universität und der Humboldt-Universität sollen vereint werden, aber nicht zu einer eigenständigen medizinischen Hochschule, sondern unterhalb des Dachs beider Universitäten. Eine seltsame Konstruktion, die hier ausgedacht wurde. Welcher Präsident ist dann Dienstherr der neuen Fakultät? Herr Mlynek oder Herr Gaethgens? Welcher Akademische Senat befindet über Studien-, Prüfungs- und sonstige Ordnungen der Medizin? Welche Universität liefert den Service für die vorklinischen Fächer? Der sicherste Weg für den Abschied vom "Wissenschaftsstandort" Eine solche Konstruktion wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. Es sei denn, das Unausgesprochene ist beabsichtigt: Die Zusammenlegung von Freier Universität und Humboldt-Universität. Nahe liegend ist diese Vermutung, denn allenthalben vernimmt man aus den Senatsverwaltungen die Kunde, man denke über die gemeinsame Verwaltung für alle Universitäten (einschließlich der Technischen Universität) nach. Gemeinsame Verwaltung kann zweierlei bedeuten: Entweder ein Präsident einer vereinten Universität führt diese Verwaltung, oder die Universitäten werden durch eine Ministerialverwaltung regiert. Beide Varianten lösen "wahre Begeisterung" aus, denn dieser bürokratische Apparat dürfte an Dynamik und Kreativität nahezu unübertrefflich sein. Wenn der Senat von Berlin meint, sich vom "Wissenschaftsstandort Berlin" verabschieden zu können, so ist dies der sicherste Weg dazu. Wissenschaft kann nur dort gedeihen, wo Forschung und Lehre nicht bürokratisch gegängelt werden, sondern Gestaltungsräume erhalten. Dies gilt sowohl für das einzelne Fachgebiet wie für die Fakultäten und die in ihren Ausprägungen verschiedenen Universitäten Berlins. Nicht Zentralisierung, sondern Dezentralisierung ist angesagt. Akzeptiert man diese Leitlinie, die uns Präsident Hans-Jürgen Ewers als Vermächtnis hinterlassen hat, so kann auch die Technische Universität nicht im "status quo" verharren, sondern muss den von Ewers eingeschlagenen Weg weiterverfolgen. Selbst eine Dezentralisierung von Verantwortungen in der Universität aktiv voranzutreiben ist der beste Schutz gegen Zentralisierungsbestrebungen des Senats von Berlin. Drei Schritte sind hierfür besonders wichtig: die Personalbudgetierung, das Prüfungswesen und das Berichtswesen ("Controlling") müssen in die Verantwortung der Fakultäten gelegt werden. Zur Budgetierung muss man feststellen, dass die Fakultäten noch nicht einmal über 10 Prozent des Budgets der Technischen Universität selbst disponieren können. Lediglich über jene Sachmittel, deren Haushaltstitel als gegenseitig deckungsfähig erklärt wurden, dürfen die Fakultäten im Rahmen der durch den Verteilungsplan vorgegebenen Summen Entscheidungen treffen. Den Namen "Budgetierung" verdient dies nicht, auch wenn das Layout des Haushaltsplans dies vorgaukelt. Die Personalbudgetierung hätte schon längst auf gutem Wege sein können, wäre man nicht dem irrigen Glauben verfallen, die Personalmittel der Fakultäten könnten auf einem Schlag von einem Ist an Personalausgaben auf ein Sollbudget umgestellt werden. Notwendig ist eine stufenweise Anpassung der gegenwärtigen Personalausgaben der Fakultäten an das angestrebte Soll, wobei den Fakultäten durchaus eine Verantwortung für die Finanzierung ihrer Personalüberhänge zugemutet werden kann. Würden die Fakultäten über ihre Personalbudgets entscheiden können, so wäre ihnen auch die gegenwärtige Diskussion über strukturelle Einschnitte (Wegfall von Fachgebieten) zum Ausgleich des Haushaltsdefizits einsichtiger. Seit Jahren wird über die Anonymität, die zwischen Lehrenden und Lernenden herrscht, geklagt. Wundern darf man sich darüber nicht, denn die Fakultäten wissen nichts über ihre Studierenden. Sie haben keinen Einblick in deren Studienverläufe, weil die Akten über Studien- und Prüfungsleistungen weit weg von den Fakultäten zentral geführt werden. Fragen danach, welche Studierenden zwar noch immatrikuliert sind, aber in den Lehrveranstaltungen des Hauptstudiums nicht gesichtet werden, oder welche Studierenden an welcher Stelle des Studiums besondere Schwierigkeiten haben, oder welche Lehrveranstaltungen besonders oft wiederholt werden müssen, können die Fakultäten nicht beantworten. Unerlässlich für einen Wirtschaftsbetrieb, gut auch für die Universität: Controlling Alle wohl gemeinten Mentorenprogramme bleiben deshalb recht unwirksam. Wenn nunmehr die Fakultäten nach einem Grundsatzbeschluss des Akademischen Senats zur Berechnung der jährlichen Mittelzuweisungen für zu lange Studienzeiten und hohe Abbrecherquoten mit Kürzungen des Sachmittelbudgets bestraft werden, so sollten sie auch in die Lage versetzt werden, durch gezielte Beratungen der Studierenden Studienzeitverlängerungen und hohen Abbrecherquoten entgegenzuwirken. Dies können sie aber nur, wenn die Aufgaben des Diplomprüfungsamtes den Fakultäten mit dem notwendigen Personal übertragen werden und diese somit Einblick in den Studienverlauf jedes ihrer Studierenden erhalten, wie dies auch an den Universitäten international üblich ist. Controlling ist eine neue Errungenschaft der Technischen Universität. Was für jeden Wirtschaftsbetrieb unerlässlich ist, um nicht unverhofft in die Pleite zu steuern, erscheint sicherlich auch sinnvoll für eine Universität. Sowohl für den Präsidenten als auch für die Dekane wäre es hilfreich, sich eines Managementinformationssystems bedienen zu können. Wohl für diesen Zweck gedacht, wird in den letzten Jahren von den Fachgebieten gewünscht, eine Datenbank zu füttern, mit der Forschungsleistungen erkannt und bewertet werden sollen. Lehrleistungen bleiben außen vor. Mehr und mehr erweist sich nun, dass Controlling sich in der Verwaltung eines undurchsichtigen Datenfriedhofs erschöpft, dessen einziger Nutzen darin besteht, unkritisch die Angaben, die kaum einem einheitlichen Maßstab genügen, für eine zusätzliche Bemessungsgrundlage der Sachmittelverteilung auf die Fakultäten zu addieren. Ein Nutzen für Entscheidungen in den Fakultäten entsteht hieraus nicht. International renommierte Universitäten gehen auch anders vor. In ihnen wird von den Instituten, Departments oder Fakultäten jährlich ein Leistungsbericht im Sinne von Beiträgen zum Rechenschaftsbericht des Präsidenten erstellt und veröffentlicht, aus denen man auch Lehrleistungen erkennen kann und in denen Forschungsleistungen nicht nur durch Angaben von Veröffentlichungen transparent dargestellt, sondern auch zusammenfassend gewürdigt werden. Dieses können wir doch auch, wenn Controlling nicht als eine zentrale, sondern eine dezentrale Aufgabe der Fakultäten begriffen wird. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Starnick |
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