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Nr. 4, April 2003
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In den Argumenten der Gegner leben sie weiter

Die Bücherverbrennung ist so alt wie das Buch selbst - Konferenz am 8. Mai

Buchverbrennung auf Weisung des dominikanischen Inquisitors in einer Handschriftenillustration aus dem 14. Jh.

Am 10. Mai dieses Jahres werden siebzig Jahre seit der Bücherverbrennung in Berlin und anderen deutschen Städten vergangen sein. Mit der Bücherverbrennung warb das damals noch wenig sattelfeste NS-Regime um Zustimmung bei jenen, die (noch) keine Unterstützer des Nationalsozialismus waren, aber feste Vorstellungen von dem hatten, was als Kultur und Geist zu gelten habe - und was nicht.

Doch die Geschichte der Bücherverbrennungen ist womöglich so alt wie das Buch selbst; davon zeugen die anhaltende Unruhe, die das geschriebene und gedruckte Wort auslöste, und die Versuche, mittels Verboten, Verbannungen und Verbrennungen die Hegemonie über die Geisteswelt zu behaupten.

Ob tatsächlich 415/411 vor Chr. in Athen die Schriften des götterskeptischen Philosophen Protagoras verbrannt wurden, gilt in der Forschung als unsicher. Die neutestamentarische Apostelgeschichte berichtet, einige neu gewonnene Gläubige in Ephesus hätten ihre "Zauber"-Schriften freiwillig zur Verbrennung gebracht - "also mächtig wuchs das Wort des Herrn und nahm überhand" (Apg. 19, 19-20). Kein Zauberer, sondern ein Verteidiger der klassischen griechisch-römischen Geisteswelt gegen die Christen war der Neoplatoniker Celsus (2. Jahrhundert), dessen Werk alsbald der "damnatio memoriae" anheim fiel, aber aus der Gegenschrift des Origenes rekonstruierbar ist. Vielleicht war Celsus' Schrift noch in der Sammlung klassischer Literatur erhalten, die mit der Bibliothek in Alexandria 641 in Flammen aufging und an deren Tradition ein 2002 eröffneter grandioser Neubau anknüpfen will. Der Kalif Omar (586-644) hatte dem örtlichen Statthalter die Brandlegung befohlen, denn "wenn ihr Inhalt sich mit dem Buch Allahs vereinbaren lässt, so können wir auf sie verzichten ... Enthalten sie dagegen Dinge, die vom Buch Allahs abweichen, dann gibt es erst recht keinen Grund, sie aufzubewahren. Schreite also zur Tat und vernichte sie."

So wie das hier gesagt ist, ahnen wir den Verlust, der damals tatsächlich folgte. Das gilt auch für die Verbrennung des Talmud und anderer jüdischer Schriften, 1242 auf königliche Weisung in Paris (und danach bis in die Neuzeit hinein zu immer neuen Gelegenheiten). Die Geschichte der Bücherverbrennungen ist allerdings der Ambivalenzen voll. Luthers öffentliche Verbrennung der ihm geltenden päpstlichen Bannbulle, 1520 vor den Toren Wittenbergs, war als Akt der Befreiung inszeniert, aber die gleichzeitige Verbrennung theologischer und kirchenrechtlicher Texte auch ein Zerstören von Traditionen. Bücherverbrennungen haben, so lässt sich knapp zusammenfassen, Traditionen ermöglicht, indem sie anderes ausschieden, und sie haben Traditionen zerstören wollen. Doch sie waren nie erfolgreich. Schon das früheste Beispiel einer Bücherverbrennung im lateinisch-europäischen Mittelalter belegt dies: Gottschalk von Orbais, originell und exzentrisch, wurde 848/49 zum Widerruf seiner Lehren verurteilt. Seine Schriften wurden verbrannt, ihr Autor starb nach langen Jahren der Klosterhaft, aber die Inhalte seiner Schriften haben sich, teilweise in den Argumenten seiner Gegner, erhalten. Dass das Bücherbrennen den Gedanken nicht wirklich etwas anhaben kann, dürften auch die Nationalsozialisten geahnt haben. Was dann tatsächlich beabsichtigt war, ist eine der Fragen, die eine eintägige Konferenz, veranstaltet vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU-Berlin, am 8. Mai, 10.00-16.30 Uhr im Literaturhaus Fasanenstraße behandelt.

Dr. Johannes Heil,
Zentrum für Antisemitismusforschung

www.tu-berlin.de/~zfa

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