"Mut zu Fehlern" statt "Ruf und Gesicht wahren"
Zwei chinesische Studentinnen über Unterschiede von Lehre
und Lernen in China und Deutschland
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Die TU Berlin ist bei chinesischen
Studierenden besonders beliebt. Qiao Haini ist eine von ihnen
- sie studiert Medienberatung |
Als uns Barbara von der Lühe die Aufgaben des Seminars "Das
Selbstbild des Berliner Senats in den Medien" im Studiengang
Medienberatung erläuterte, gingen uns die verschiedensten Gedanken
durch den Kopf: Wir sollen Interviews mit redegewandten Politikern
führen? Und dies wird auf Tonband aufgenommen? Anschließend
diskutieren alle Kursteilnehmer unsere Interviews? Und dann werden
alle Gespräche veröffentlicht? Ach, was haben wir für
eine harte Nuss zu knacken! Viel Spaß wünschen wir uns!
Die Chinesen sagen: "Eine Minute Aufführung auf der Bühne
bedeutet zehn Jahre Vorbereitung hinter den Kulissen."
Jeweils 20 Minuten sollen die journalistischen und die narrativen
Interviews mit Politikern der regierenden Parteien und der Opposition
des Berliner Abgeordnetenhauses dauern. Dafür müssen wir
in kurzer Zeit Informationen über aktuelle Fokusthemen, die
Medienpolitik und die PR-Strategien unserer Interviewpartner und
ihrer Parteien recherchieren. Wer die ersten Stunden versäumt,
in denen es um Interviewtechnik und Fragestrategien geht, wird "kalte
Füße" bei den Interviews haben. Damit nichts schief
geht, findet aber vor jedem Interview eine "Generalprobe"
statt.
Ein intensives "Warming Up" durch Kontaktaufnahme, Terminvereinbarung
und Vorgespräch mit den Politikern ist unverzichtbar. Ebenso
wichtig ist die Koordination mit den Kommilitonen. Von dieser Gruppenarbeit
haben wir besonders profitiert.
Allerdings müssen wir uns umstellen: Unsere von Konfuzius
und dem Taoismus geprägte strenge Disziplin hat ihren Wert
zwar nicht verloren, aber wir lernen auch neue "Spielregeln":
Denn weder im Studium noch später im Beruf gilt das Sprichwort
"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold". Um uns zu verständigen,
müssen wir auf unsere Gesprächspartner offen und natürlich
zugehen. Überall im Ausland sind allerdings konfuzianisch gesittetes
Verhalten, Aufrichtigkeit, Höflichkeit, die Achtung gegenüber
dem anderen und ein gepflegtes Äußeres wichtig.
In unserem TU-Seminar haben wir uns für die Interviews mit
Benjamin Hoff (PDS) und Frank Zimmermann (SPD) entschieden. In Vorgesprächen
lernen wir uns gegenseitig kennen, und wir können unsere Interviews
entwickeln: Sollen wir etwa fragen, ob der Untersuchungsausschuss
zur Bankgesellschaft angesichts der bisher unbefriedigenden Ergebnisse
ein "Papiertiger" sei? Im Interview haben wir diese Frage
doch nicht gestellt, da wir vermuteten, dass dies zu einer unangenehmen
Gesprächssituation führen könnte. Diese Entscheidung
war sicher richtig, da das Interviewklima sehr angenehm war und
unser Interviewpartner dieses Thema von sich aus ansprach. Wir wurden
von Herrn Zimmermann sogar für unsere "professionelle
Fragestellung" gelobt.
Dass unsere Interviews am Ende diskutiert und bewertet werden,
ist für uns am aufschlussreichsten. Denn bei uns in China ist
es in der Schule und an den Universitäten nicht üblich,
seine Meinung oder gar Kritik ohne weiteres zu äußern,
aus Rücksicht darauf, Ruf und Gesicht zu wahren. Anders als
im fernen Ostasien wird hier in Deutschland besonderer Wert darauf
gelegt, aktiv und mit Mut zu Fehlern am Unterricht mitzuwirken,
die Leistungen der anderen möglichst objektiv zu beurteilen
und selber Kritik zu akzeptieren. Deshalb ist der Unterrichtsstil
an deutschen Universitäten für uns so interessant. Ab
und zu werden wir nach der Unterrichtsform an den chinesischen Hochschulen
gefragt. Viele sind erstaunt, wenn wir berichten, dass es mit dem
Frontalunterricht auch an zahlreichen chinesischen Universitäten
vorbei ist. Gemäß neuer Hochschulregelungen haben die
Studenten nun die Wahl, wer ihnen an der Uni Wissen vermitteln darf
und welches Seminar angeboten wird. Nach einem Semester Probezeit
werden die unbeliebten oder gar unqualifizierten Professoren abgewählt!
Das ist hart, nicht wahr? Aber so sind eben der Spielregeln der
Marktwirtschaft.
Eines ist sicher, wäre diese Reform in der TU Berlin eingeführt
worden, hätten wir unsere Stimme für das Seminar "Das
Selbstbild des Berliner Senats in den Medien" abgegeben.
Qiao Haini, Zhao Bihong,
Studentinnen
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