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Nr. 4, April 2003
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"Mut zu Fehlern" statt "Ruf und Gesicht wahren"

Zwei chinesische Studentinnen über Unterschiede von Lehre und Lernen in China und Deutschland

Die TU Berlin ist bei chinesischen Studierenden besonders beliebt. Qiao Haini ist eine von ihnen - sie studiert Medienberatung

Als uns Barbara von der Lühe die Aufgaben des Seminars "Das Selbstbild des Berliner Senats in den Medien" im Studiengang Medienberatung erläuterte, gingen uns die verschiedensten Gedanken durch den Kopf: Wir sollen Interviews mit redegewandten Politikern führen? Und dies wird auf Tonband aufgenommen? Anschließend diskutieren alle Kursteilnehmer unsere Interviews? Und dann werden alle Gespräche veröffentlicht? Ach, was haben wir für eine harte Nuss zu knacken! Viel Spaß wünschen wir uns! Die Chinesen sagen: "Eine Minute Aufführung auf der Bühne bedeutet zehn Jahre Vorbereitung hinter den Kulissen."

Jeweils 20 Minuten sollen die journalistischen und die narrativen Interviews mit Politikern der regierenden Parteien und der Opposition des Berliner Abgeordnetenhauses dauern. Dafür müssen wir in kurzer Zeit Informationen über aktuelle Fokusthemen, die Medienpolitik und die PR-Strategien unserer Interviewpartner und ihrer Parteien recherchieren. Wer die ersten Stunden versäumt, in denen es um Interviewtechnik und Fragestrategien geht, wird "kalte Füße" bei den Interviews haben. Damit nichts schief geht, findet aber vor jedem Interview eine "Generalprobe" statt.

Ein intensives "Warming Up" durch Kontaktaufnahme, Terminvereinbarung und Vorgespräch mit den Politikern ist unverzichtbar. Ebenso wichtig ist die Koordination mit den Kommilitonen. Von dieser Gruppenarbeit haben wir besonders profitiert.

Allerdings müssen wir uns umstellen: Unsere von Konfuzius und dem Taoismus geprägte strenge Disziplin hat ihren Wert zwar nicht verloren, aber wir lernen auch neue "Spielregeln": Denn weder im Studium noch später im Beruf gilt das Sprichwort "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold". Um uns zu verständigen, müssen wir auf unsere Gesprächspartner offen und natürlich zugehen. Überall im Ausland sind allerdings konfuzianisch gesittetes Verhalten, Aufrichtigkeit, Höflichkeit, die Achtung gegenüber dem anderen und ein gepflegtes Äußeres wichtig.

In unserem TU-Seminar haben wir uns für die Interviews mit Benjamin Hoff (PDS) und Frank Zimmermann (SPD) entschieden. In Vorgesprächen lernen wir uns gegenseitig kennen, und wir können unsere Interviews entwickeln: Sollen wir etwa fragen, ob der Untersuchungsausschuss zur Bankgesellschaft angesichts der bisher unbefriedigenden Ergebnisse ein "Papiertiger" sei? Im Interview haben wir diese Frage doch nicht gestellt, da wir vermuteten, dass dies zu einer unangenehmen Gesprächssituation führen könnte. Diese Entscheidung war sicher richtig, da das Interviewklima sehr angenehm war und unser Interviewpartner dieses Thema von sich aus ansprach. Wir wurden von Herrn Zimmermann sogar für unsere "professionelle Fragestellung" gelobt.

Dass unsere Interviews am Ende diskutiert und bewertet werden, ist für uns am aufschlussreichsten. Denn bei uns in China ist es in der Schule und an den Universitäten nicht üblich, seine Meinung oder gar Kritik ohne weiteres zu äußern, aus Rücksicht darauf, Ruf und Gesicht zu wahren. Anders als im fernen Ostasien wird hier in Deutschland besonderer Wert darauf gelegt, aktiv und mit Mut zu Fehlern am Unterricht mitzuwirken, die Leistungen der anderen möglichst objektiv zu beurteilen und selber Kritik zu akzeptieren. Deshalb ist der Unterrichtsstil an deutschen Universitäten für uns so interessant. Ab und zu werden wir nach der Unterrichtsform an den chinesischen Hochschulen gefragt. Viele sind erstaunt, wenn wir berichten, dass es mit dem Frontalunterricht auch an zahlreichen chinesischen Universitäten vorbei ist. Gemäß neuer Hochschulregelungen haben die Studenten nun die Wahl, wer ihnen an der Uni Wissen vermitteln darf und welches Seminar angeboten wird. Nach einem Semester Probezeit werden die unbeliebten oder gar unqualifizierten Professoren abgewählt! Das ist hart, nicht wahr? Aber so sind eben der Spielregeln der Marktwirtschaft.

Eines ist sicher, wäre diese Reform in der TU Berlin eingeführt worden, hätten wir unsere Stimme für das Seminar "Das Selbstbild des Berliner Senats in den Medien" abgegeben.

Qiao Haini, Zhao Bihong,
Studentinnen

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