Eine Tasche für die Mao-Bibel
Die materielle Kultur der "Großen proletarischen
Kulturrevolution"
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Chinesische Arbeiterinnen
zur Zeit der Großen Kulturrevolution |
Religiöse und politische Weltanschauungen haben in Chinas
Geschichte bestimmte Bereiche des Alltags der Menschen wie Kleidung,
Wohnformen, Ernährung, Sprache und Gestik geprägt. Die
Dekade der "Großen proletarischen Kulturrevolution"
(1966-1976) ist ein rezentes Fallbeispiel für eine stark ideologisch
geformte Alltagskultur. In weiten Teilen der chinesischen Bevölkerung
fand zeitweilig eine völlige Reorganisation des Alltags entlang
politischer Richtlinien statt. Diese erfolgte nicht nur durch die
Entwicklung neuer Alltagstechniken, sondern auch durch die ideologische
Überformung traditioneller Organisations- und Verhaltensmuster.
So konnte zum Beispiel das Porträt des Vorsitzenden Mao den
Ahnenaltar ersetzen; Propagandaposter übernahmen die Rolle
traditioneller Neujahrsbilder.
Wie dieses Zusammenspiel althergebrachter Alltagsbewältigung,
traditioneller Weltanschauung, technischer Modernisierung und ideologischer
Erneuerung funktionierte und in welcher Weise es die politische
Alltagsperformance der Kulturrevolution bestimmte, wird in diesem
Dissertationsprojekt am Beispiel von Alltagstechniken rund um die
Kleidung untersucht.
Techniken der Bekleidung (so genannte vestimentäre Techniken)
sind für eine retrospektive Untersuchung besonders geeignet.
Über Bild- und Filmmaterial sowie Propaganda-Poster lässt
sich die Entwicklung des vestimentären Diskurses im Laufe der
Kulturrevolutionsdekade relativ vollständig rekonstruieren.
Verschiedene Aspekte der Bekleidungsrealität können durch
eine Untersuchung der wirtschaftlich-technischen Entwicklung, durch
Objektstudien und vor allem durch Zeitzeugeninterviews nachvollzogen
werden. Während viele Alltagstechniken durch Interviews nur
schwer greifbar, weil unbewusst ausgeführt und damit nicht
in Worte fassbar sind, ist Kleidung durch ihren direkten Kontakt
zum Körper ein unmittelbarer und unverzichtbarer Bestandteil
der Persönlichkeit und wird als solcher auch bewusst erinnert.
Auf diese Weise können Lebenszyklen von Kleidungsstücken
- von der Beschaffung beziehungsweise Herstellung über die
Nutzung und eventuelle Umnutzungen bis hin zur Entsorgung - rekonstruiert
und die Techniken der Handhabung ideologisch signifikanter Kleidungsstücke
und Accessoires wie Armee-Uniformen, Halstücher, Mao-Buttons
oder etwa Taschen für die Aufbewahrung von "Mao-Bibeln"
erfasst werden.
Iris Hopf
"Kultur konkret: Alltagstechniken (Chinas)"
heißt eine Vortragsreihe des Projektes. Jeweils am 2.
Donnerstag im Monat referieren Wissenschaftler/innen verschiedener
Fachgebiete über bestimmte Aspekte des Alltags in China.
Im vergangenen Semester hörten wir Vorträge zu Staus
in der westlichen Han-Zeit, Öl- und Fett-Produktion in
der Ming-Zeit, zu Chinas 5000-jähriger Kopfstützentradition
und vielem anderen. Im Sommersemester 2003 sind folgende Vorträge
geplant:
8.5.2003: Dr. Dirk Forschner, TFH Wildau: Zhan Tianyou
und die Eisenbahnlinie über den Badaling-Pass
12.6.2003: Martina Siebert (prom.), Würzburg:
Landwirtschaftliche Techniken in gelehrten Texten des traditionellen
China
10.7.2003: Wu Xiujie, M. A., Berlin: Alltag und Licht
im Norden Chinas - wie die Beleuchtung die Wohngewohnheiten
prägte
Ort: MA 141, Mathematikgebäude, Straße des
17. Juni 135, 18-20 Uhr
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