TU intern
4/2003 als
pdf-Datei
(2,7 MB)
Nr. 4, April 2003
 Themenseiten 
Titel
Inhalt
Aktuell
Wegweiser durch
den TU-Dschungel
Wahlen
Arbeitsplatz Uni
Lehre & Studium
Forschung
Alumni
International
Alltagstechniken
Chinas
Medien
Menschen
Vermischtes
Impressum
TU-Homepage

Eine Tasche für die Mao-Bibel

Die materielle Kultur der "Großen proletarischen Kulturrevolution"

Chinesische Arbeiterinnen zur Zeit der Großen Kulturrevolution

Religiöse und politische Weltanschauungen haben in Chinas Geschichte bestimmte Bereiche des Alltags der Menschen wie Kleidung, Wohnformen, Ernährung, Sprache und Gestik geprägt. Die Dekade der "Großen proletarischen Kulturrevolution" (1966-1976) ist ein rezentes Fallbeispiel für eine stark ideologisch geformte Alltagskultur. In weiten Teilen der chinesischen Bevölkerung fand zeitweilig eine völlige Reorganisation des Alltags entlang politischer Richtlinien statt. Diese erfolgte nicht nur durch die Entwicklung neuer Alltagstechniken, sondern auch durch die ideologische Überformung traditioneller Organisations- und Verhaltensmuster. So konnte zum Beispiel das Porträt des Vorsitzenden Mao den Ahnenaltar ersetzen; Propagandaposter übernahmen die Rolle traditioneller Neujahrsbilder.

Wie dieses Zusammenspiel althergebrachter Alltagsbewältigung, traditioneller Weltanschauung, technischer Modernisierung und ideologischer Erneuerung funktionierte und in welcher Weise es die politische Alltagsperformance der Kulturrevolution bestimmte, wird in diesem Dissertationsprojekt am Beispiel von Alltagstechniken rund um die Kleidung untersucht.

Techniken der Bekleidung (so genannte vestimentäre Techniken) sind für eine retrospektive Untersuchung besonders geeignet. Über Bild- und Filmmaterial sowie Propaganda-Poster lässt sich die Entwicklung des vestimentären Diskurses im Laufe der Kulturrevolutionsdekade relativ vollständig rekonstruieren. Verschiedene Aspekte der Bekleidungsrealität können durch eine Untersuchung der wirtschaftlich-technischen Entwicklung, durch Objektstudien und vor allem durch Zeitzeugeninterviews nachvollzogen werden. Während viele Alltagstechniken durch Interviews nur schwer greifbar, weil unbewusst ausgeführt und damit nicht in Worte fassbar sind, ist Kleidung durch ihren direkten Kontakt zum Körper ein unmittelbarer und unverzichtbarer Bestandteil der Persönlichkeit und wird als solcher auch bewusst erinnert. Auf diese Weise können Lebenszyklen von Kleidungsstücken - von der Beschaffung beziehungsweise Herstellung über die Nutzung und eventuelle Umnutzungen bis hin zur Entsorgung - rekonstruiert und die Techniken der Handhabung ideologisch signifikanter Kleidungsstücke und Accessoires wie Armee-Uniformen, Halstücher, Mao-Buttons oder etwa Taschen für die Aufbewahrung von "Mao-Bibeln" erfasst werden.

Iris Hopf

"Kultur konkret: Alltagstechniken (Chinas)" heißt eine Vortragsreihe des Projektes. Jeweils am 2. Donnerstag im Monat referieren Wissenschaftler/innen verschiedener Fachgebiete über bestimmte Aspekte des Alltags in China. Im vergangenen Semester hörten wir Vorträge zu Staus in der westlichen Han-Zeit, Öl- und Fett-Produktion in der Ming-Zeit, zu Chinas 5000-jähriger Kopfstützentradition und vielem anderen. Im Sommersemester 2003 sind folgende Vorträge geplant:
8.5.2003: Dr. Dirk Forschner, TFH Wildau: Zhan Tianyou und die Eisenbahnlinie über den Badaling-Pass
12.6.2003: Martina Siebert (prom.), Würzburg: Landwirtschaftliche Techniken in gelehrten Texten des traditionellen China
10.7.2003: Wu Xiujie, M. A., Berlin: Alltag und Licht im Norden Chinas - wie die Beleuchtung die Wohngewohnheiten prägte
Ort: MA 141, Mathematikgebäude, Straße des 17. Juni 135, 18-20 Uhr

© TU-Pressestelle 4/2003 | TU intern | Impressum | Leserbriefe