Von Borschtsch, Wodka und Salzlampen
Ein völkerverbindender Wissenschaftlerbesuch in der Ukraine
Fast elf Jahre ist Professor Manfred Achilles vom Institut für
Fachdidaktik Physik und Lehrerbildung schon in Pension, aber die
Physik lässt ihn nicht los. Kürzlich reiste er in die
Ukraine und erlebte dort wissenschaftliche Gastlichkeit besonderer
Art. Hier ist sein (gekürzter) Bericht:
Mein 1989/96 geschriebenes Buch "Historische Versuche der
Physik" regte den ukrainischen Dr. O. Proskura an, mich zur
Gedächtnistagung des 100. Geburtstages Osap Stasiws nach L'viv
(Lemberg) einzuladen, mitten hinein in ein großes Abenteuer.
Nach der einstündigen Abfertigung in L'viv - nur zwölf
Fluggäste stiegen aus - folgte die typisch ukrainische Umarmung
mit dem Physiker Professor Dovhyi, der mich sogleich als "Glaubensbruder"
erkannte. Entsetzt, dass ich dem nasskalten Wetter ohne Halsschutz
trotzte, bot er mir seinen roten Schal an. Prof. Iwan Vakaurtschuk,
Rektor der "Nationalen Franco-Universität L'viv"
eröffnete die Tagung. Der Präsident der wissenschaftlichen
Gesellschaft T. Schewtschenko war ebenfalls anwesend. Als einziger
"internationaler" Gast wurde ich recht hofiert und durfte
als Erster meinen Vortrag halten - mit 15 Folien und einer gelb
verfärbten Salzlampe. Ich gab einen Einstieg ins Thema "Farbzentren".
Tatsächlich hat Stasiw 1932/33 die Farbzentren in verschiedenen
Alkalihalogeniden bei höherer Temperatur in Bewegung gebracht,
was Pohl 1933 zur Voraussage brachte, dass "die Radioröhren
in den Rundfunkgeräten bald durch kleine Kristalle ersetzt
werden könnten". In der Ukraine legt man scheinbar großen
Wert auf Verbindungen nach Westeuropa, die erst seit zwölf
Jahren wieder möglich sind.
In der Mensa erhielt ich den obligaten Wodka, Borschtsch und Brötchen.
Keiner übernahm sich, denn der Wodka wurde nur in winzigen
Mengen nachgegossen, doch die Stimmung war gelöst. Eine Woche
blieb ich in Lemberg, denn die Flieger kommen nur dienstags und
freitags, was der ukrainischen Gelassenheit entspricht. Man hat
dort viel Zeit. Ich besichtigte die vom Kriege völlig unzerstörte
Stadt. Die Oper gab "Schwanensee", das Publikum klatschte
begeistert im Takt mit. Beim Essen bekam ich, mangels meiner Kenntnisse
der kyrillischen Schrift, statt einer duftenden Suppe ein Glas Krimsekt
auf den Tisch gestellt ... Alle Kosten trug ich selbst, doch es
war ein wundervolles, völkerverbindendes Erlebnis.
Prof. Dr. Manfred Achilles
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