"Ruinen schaffen ohne Waffen"
Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen.
In einer seit der Nachkriegszeit einmaligen Protestaktion entschlossen
sich die drei großen Berliner Universitäten Ende April
zu drastischen Maßnahmen, um den angekündigten Sparideen
im Hochschulbereich entgegenzutreten: FU und TU Berlin beschlossen
jeweils ab dem kommenden Semester einen flächendeckenden Numerus
clausus, eine Zulassungsbeschränkung für alle Studiengänge.
Durch ein Gruppenveto der TU-Studierenden wird das Thema allerdings
auf der nächsten AS-Sitzung der TU Berlin noch einmal verhandelt.
Die HU ging noch weiter: Sie will keine neuen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter mehr einstellen und beschloss zunächst sogar einen
totalen Zulassungsstopp. Unter den zukünftigen finanziellen
Verhältnissen sei eine qualitativ hochwertige Ausbildung der
Studierenden nicht mehr zu gewährleisten, war die Begründung.
Der AS der TU Berlin hält Senat und Abgeordnetenhaus entgegen,
die TU Berlin gehöre zu den wichtigsten Zukunftsträgern
des Landes. Die Kürzungssumme von 270 Millionen Euro stelle
ihre Existenz in Frage. Der AS fühle sich zu der Maßnahme
gezwungen, obwohl er sie für grundsätzlich falsch halte,
weil dadurch die Studienwahlmöglichkeiten künftiger Jahrgänge
stark beeinträchtigt würden.
Ungewöhnlich war auch die Einberufung aller Statusgruppen
der TU Berlin zu einer Mitgliedervollversammlung, auf der TU-Präsident
Kurt Kutzler alle TUler aufforderte, mit ihm um jeden einzelnen
Studienplatz, um jede einzelne Mitarbeiterstelle und um jeden einzelnen
Euro zu kämpfen. Ein ebenso ungewöhnliches Bild auf dieser
Veranstaltung bot der demonstrative Schulterschluss von Vertretern
der unterschiedlichen Interessengruppen mit der Universität:
Die Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried,
und der Industrie- und Handelskammer, Jürgen Gegenbauer, sowie
der stellvertretende DGB-Vorsitzende Bernd Rissmann und die AStA-Vertreterin
Anja Schillhaneck verurteilten einhellig die Kürzungsideen
des Senats als zukunftszerstörendes Werk. HRK-Präsident
Landfried verglich die Sarrazin'schen Methoden mit einem Bauern,
der angesichts einer Hungersnot die Saatkartoffeln aus dem Keller
holt und zu Pellkartoffeln verarbeitet, anstatt sie in die neue
Ernte zu investieren. So könne man "Ruinen schaffen ohne
Waffen". Standesgemäß forderte DGB-Vize Bernd Rissmann
allerdings vom Präsidenten den Wiedereintritt in die Arbeitgeberverbände.
Dem Berliner Senat warf er gleichzeitig üblen Wahlbetrug vor,
habe er doch versprochen, Bildung habe Priorität. Auch der
Präsident der Gesellschaft
von Freunden der TU Berlin, der Vorstandsvorsitzende der Hochtief
AG, Dr.-Ing. Hans-Peter Keitel, engagiert sich für den Dialog
zwischen Senat und Universität. Die Wirtschaft benötige
dringend qualifizierten Nachwuchs. Die Hochschulverträge als
Mittel der Steuerung zwischen Staat und Universität dürften
nicht gefährdet werden.
Am 20. Mai werden weitere Gespräche zwischen den Uni-Präsidenten
und Wissenschaftssenator Flierl zu den Verträgen stattfinden.
Bereits einen Tag vorher tagt der Berliner Senat zum Nachtragshaushalt.
Demonstrationen wie in den vergangenen Tagen werden die Aktionen
begleiten.
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