TU intern
2-3/2004 als
pdf-Datei
(1,3 MB)
Nr. 2-3, Februar/März 2004
 Themenseiten 
Titel
Inhalt
Aktuell
Leitbild
Innenansichten
Lehre & Studium
Telekommunikation
Forschung
Politikberatung
Internationales
Menschen
Vermischtes
Impressum
TU-Homepage

Verfassungshüter oder Verfassungsgesetzgeber?

 
  Markus C. Kerber ist promovierter Jurist und habilitierter Finanzwissenschaftler. Er lehrt an der TU Berlin Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik

Die im beanstandeten Haushalt genehmigte Nettoneuverschuldung war fast dreimal so hoch wie die im gleichen Zeitraum vorgesehenen Investitionen. Dies ist mit den Verschuldungsgrenzen der Landesverfassung eindeutig unvereinbar. Aufgrund der gravierend höheren Arbeitslosenquote im Vergleich zum Bundesgebiet und dem signifikanten Rückgang des Steueraufkommens liege eine ernsthafte und nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes für Berlin vor. Diese solle durch die stark erhöhte Kreditaufnahme abgewehrt werden.

Das Landesverfassungsgericht verlangte jedoch eine genaue, durch Daten untermauerte Darlegung, ob und wie die erhöhte Kreditaufnahme geeignet sei, die Störung abzuwehren. Dass die hohe Arbeitslosigkeit sowie die schlechte Wirtschaftslage Berlins vereinzelt Gegenstand von Redebeiträgen einzelner Abgeordneter geworden sei, reichte ihm nicht. "Es ist nicht Aufgabe des zur Überprüfung berufenen Verfassungsgerichts, bruchstückhafte Begründungselemente einzelner Abgeordneter in Erahnung eines eventuellen gesetzgeberischen Willens zu einer Argumentationskette zusammenzusetzen", begründete das Gericht unter anderem sein Urteil.

Indessen hält das Verfassungsgericht ein Überschreiten der Verschuldungsgrenze in einer extremen Haushaltsnotlage für legal. So erklärt der Verfassungsgerichtshof Berlin das Ausweichen auf einen zweiten eigenständigen Ausnahmetatbestand des Haushaltgesetzgebers für zulässig. Allerdings müsse er diesen genauso intensiv darlegen, wie das angeblich gestörte gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht.

Das kurze und sehr apodiktisch formulierte Urteil wirft ein bezeichnendes Licht auf die unzureichende Vorbereitung der legislativen Beschlussorgane durch die Finanzverwaltung. Für den Finanzsenator ist das verfassungsrechtliche Verdikt ein professionelles Armutszeugnis. Denn es bescheinigt dem Amtsinhaber, dem Parlament einen Haushaltsentwurf vorgelegt zu haben, der fundamentale formelle Darlegungsmängel aufweist. In diesem Zusammenhang ist die Feststellung von Begründungsdefiziten und Darlegungsmängeln natürlich auch eine Kritik der Legislative.

Mit seinem Urteil ist der Gerichtshof dem Einwand ausgewichen, ein Landesverfassungsgericht und ein Landesgesetzgeber könnten über den notwendigerweise gesamtstaatlichen Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gar nicht befinden.

Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat der politischen Klasse des Landes Berlin Gratisargumente für die Zementierung ihrer Haushaltnotlagenthese geliefert. Er mag dabei nicht bedacht haben, was die Schaffung eines solchen parallelen Ausnahmetatbestandes von der Kreditbegrenzung im Verhältnis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur selben Frage bedeutet. Wenn ein Landesverfassungsgericht das Recht beansprucht, sich über den Wortlaut der Landesverfassung hinwegsetzend, Kreditbegrenzungsgebote zu lockern und dabei gleichzeitig über einen Tatbestand zu entscheiden, der ausschließlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorbehalten ist, wird die Einheitlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung in Gefahr gebracht. Es gibt damit dem gegenwärtigen Trend landespolitischer Selbstermächtigung in Berlin einen neuen Impuls. Spätestens hier stellt sich die Frage nach seiner Legitimität, verfassungsverdrängende Ermächtigungen an die Landesregierung auszusprechen.

Mit dieser Suspendierung von geltendem Landesverfassungsrecht ist das Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs gewiss ein Meilenstein. Wenn es nicht ein Unikat bleibt, sondern Nachahmung in anderen Ländern findet, könnte auf diese Weise eine Länderfinanzwirtschaft legalisiert werden, die sich völlig von tragenden Prinzipien der Finanzverfassung im Allgemeinen und des Kreditbegrenzungsgebotes im Besonderen emanzipiert. Dies wäre indessen der Anfang vom Ende jeglicher Landesverfassungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Finanzwesens.

Dr. Markus C. Kerber

Der vollständige Text mit ausführlichen Begründungen ist zu erhalten bei: E-Mail: mckerber@europolis-online.org

Der Kampf um den Zugang zum absoluten Monarchen, um seine Beratung und Informierung durchzieht die Geschichte wie ein roter Faden. Anhand der faszinierenden Gestalt des französischen Kardinals und Premierministers Richelieu greift Markus C. Kerber diese Problemlage auf. Er bietet zum einen eine neue Übersetzung von Auszügen aus Richelieus politischem Testament, mit dem er aufzeigt, wie man diskret und kämpferisch aus dem Vorzimmer der Macht die politischen Fäden zieht. Zum anderen reflektiert Kerber allgemein über den Zugang zum Machthaber. Er beschreibt auch jene gegenwärtigen Vorzimmer, die zu dominieren fast so viel Macht verleiht, wie das Amt selbst.

tui

Markus C. Kerber: Richelieu oder Die Macht der Vorzimmer, verbum Druck- und Verlagsgesellschaft, Berlin 2004, ISBN 3-928918-23-0, 14 Euro

© TU-Pressestelle 2-3/2004 | TU intern | Impressum | Leserbriefe