Verfassungshüter oder Verfassungsgesetzgeber?
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Markus C. Kerber
ist promovierter Jurist und habilitierter Finanzwissenschaftler.
Er lehrt an der TU Berlin Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik |
Die im beanstandeten Haushalt genehmigte Nettoneuverschuldung war
fast dreimal so hoch wie die im gleichen Zeitraum vorgesehenen Investitionen.
Dies ist mit den Verschuldungsgrenzen der Landesverfassung eindeutig
unvereinbar. Aufgrund der gravierend höheren Arbeitslosenquote
im Vergleich zum Bundesgebiet und dem signifikanten Rückgang
des Steueraufkommens liege eine ernsthafte und nachhaltige Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes für Berlin vor.
Diese solle durch die stark erhöhte Kreditaufnahme abgewehrt
werden.
Das Landesverfassungsgericht verlangte jedoch eine genaue, durch
Daten untermauerte Darlegung, ob und wie die erhöhte Kreditaufnahme
geeignet sei, die Störung abzuwehren. Dass die hohe Arbeitslosigkeit
sowie die schlechte Wirtschaftslage Berlins vereinzelt Gegenstand
von Redebeiträgen einzelner Abgeordneter geworden sei, reichte
ihm nicht. "Es ist nicht Aufgabe des zur Überprüfung
berufenen Verfassungsgerichts, bruchstückhafte Begründungselemente
einzelner Abgeordneter in Erahnung eines eventuellen gesetzgeberischen
Willens zu einer Argumentationskette zusammenzusetzen", begründete
das Gericht unter anderem sein Urteil.
Indessen hält das Verfassungsgericht ein Überschreiten
der Verschuldungsgrenze in einer extremen Haushaltsnotlage für
legal. So erklärt der Verfassungsgerichtshof Berlin das Ausweichen
auf einen zweiten eigenständigen Ausnahmetatbestand des Haushaltgesetzgebers
für zulässig. Allerdings müsse er diesen genauso
intensiv darlegen, wie das angeblich gestörte gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht.
Das kurze und sehr apodiktisch formulierte Urteil wirft ein bezeichnendes
Licht auf die unzureichende Vorbereitung der legislativen Beschlussorgane
durch die Finanzverwaltung. Für den Finanzsenator ist das verfassungsrechtliche
Verdikt ein professionelles Armutszeugnis. Denn es bescheinigt dem
Amtsinhaber, dem Parlament einen Haushaltsentwurf vorgelegt zu haben,
der fundamentale formelle Darlegungsmängel aufweist. In diesem
Zusammenhang ist die Feststellung von Begründungsdefiziten
und Darlegungsmängeln natürlich auch eine Kritik der Legislative.
Mit seinem Urteil ist der Gerichtshof dem Einwand ausgewichen,
ein Landesverfassungsgericht und ein Landesgesetzgeber könnten
über den notwendigerweise gesamtstaatlichen Begriff des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts gar nicht befinden.
Der Verfassungsgerichtshof Berlin hat der politischen Klasse des
Landes Berlin Gratisargumente für die Zementierung ihrer Haushaltnotlagenthese
geliefert. Er mag dabei nicht bedacht haben, was die Schaffung eines
solchen parallelen Ausnahmetatbestandes von der Kreditbegrenzung
im Verhältnis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zur selben Frage bedeutet. Wenn ein Landesverfassungsgericht das
Recht beansprucht, sich über den Wortlaut der Landesverfassung
hinwegsetzend, Kreditbegrenzungsgebote zu lockern und dabei gleichzeitig
über einen Tatbestand zu entscheiden, der ausschließlich
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorbehalten ist,
wird die Einheitlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung in Gefahr
gebracht. Es gibt damit dem gegenwärtigen Trend landespolitischer
Selbstermächtigung in Berlin einen neuen Impuls. Spätestens
hier stellt sich die Frage nach seiner Legitimität, verfassungsverdrängende
Ermächtigungen an die Landesregierung auszusprechen.
Mit dieser Suspendierung von geltendem Landesverfassungsrecht ist
das Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs gewiss ein Meilenstein.
Wenn es nicht ein Unikat bleibt, sondern Nachahmung in anderen Ländern
findet, könnte auf diese Weise eine Länderfinanzwirtschaft
legalisiert werden, die sich völlig von tragenden Prinzipien
der Finanzverfassung im Allgemeinen und des Kreditbegrenzungsgebotes
im Besonderen emanzipiert. Dies wäre indessen der Anfang vom
Ende jeglicher Landesverfassungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiet des
Finanzwesens.
Dr. Markus C. Kerber
Der vollständige Text mit ausführlichen Begründungen
ist zu erhalten bei: E-Mail: mckerber@europolis-online.org
Der
Kampf um den Zugang zum absoluten Monarchen, um seine Beratung
und Informierung durchzieht die Geschichte wie ein roter Faden.
Anhand der faszinierenden Gestalt des französischen Kardinals
und Premierministers Richelieu greift Markus C. Kerber diese
Problemlage auf. Er bietet zum einen eine neue Übersetzung
von Auszügen aus Richelieus politischem Testament, mit
dem er aufzeigt, wie man diskret und kämpferisch aus
dem Vorzimmer der Macht die politischen Fäden zieht.
Zum anderen reflektiert Kerber allgemein über den Zugang
zum Machthaber. Er beschreibt auch jene gegenwärtigen
Vorzimmer, die zu dominieren fast so viel Macht verleiht,
wie das Amt selbst.
tui
Markus C. Kerber: Richelieu oder Die Macht der Vorzimmer,
verbum Druck- und Verlagsgesellschaft, Berlin 2004, ISBN 3-928918-23-0,
14 Euro
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