Fünf ziemlich verrückte Alte
Interview mit der österreichischen Schriftstellerin Doris
Mayer, die zu dem SENTHA-Forschungsprojekt einen Roman schrieb
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Doris Mayer
wurde 1958 geboren. Sie studierte Schauspiel, stand in zahlreichen
Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera und in Wien auf
der Bühne. Seit 1997 arbeitet sie als freischaffende Autorin.
Bisher erschienen von ihr unter anderem die Romane "Machalan"
und "VaterMorgana" |
Forschungsberichte finden selten den Weg in die Öffentlichkeit.
Meist werden sie nur von der Fachwelt wahrgenommen. Dies könnte
sich nun ändern. Die am Forschungsprojekt SENTHA
beteiligten Designer der Universität der Künste in Berlin
hatten die Idee, einen solchen Abschlussbericht einmal anders zu
präsentieren als in der herkömmlichen Art. Das Forschungsthema
"Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag" sollte
Inhalt eines Romans werden. Die österreichische Schriftstellerin
Doris Mayer ließ sich auf das Experiment ein und schrieb "Knesebeckstraße
oder: Einmal Kuba und zurück", eine Geschichte über
fünf ziemlich verrückte alte Menschen in Berlin, die kein
Geld haben, aber Geld brauchen, um einem Freund zu helfen, und die
deshalb versuchen, auf geraden und krummen Wegen welches aufzutreiben.
Frau Mayer, was hat Sie an dieser Idee gereizt, zu einem Forschungsbericht
einen Roman zu schreiben?
... das noch nie Ausprobierte. Ich habe Neuland betreten. Das ist
ein schönes Gefühl. Außerdem wollte ich schon längst
eine Geschichte über alte Menschen schreiben.
Im Buchhandel wird der Forschungsbericht zusammen mit Ihrem
Roman zu kaufen sein?
Ja, wobei noch nicht entschieden ist, ob alles in einem Band gedruckt
wird oder ob Bericht und Roman als Einzelwerke zusammen in einem
Schuber sind.
Warum interessiert Sie das Thema alte Menschen?
Zu meiner Großmutter hatte ich eine sehr innige, mich prägende
Beziehung. Sie lebte zuletzt in einem Altersheim. Dort ist sie erwischt
worden, wie sie mit einem Mann Arm in Arm im Bett lag. Es war ein
mittlerer Skandal. Ich aber fand das klasse von ihr, sich die eigenen
Gefühle nicht zu verwehren. Warum soll es für Ältere
nicht erlaubt sein, Zärtlichkeiten auszutauschen? Ich habe
durch sie gelernt, mit alten Menschen umzugehen. Sie sind mir vertraut
und nicht fremd. Zwar habe ich Angst vor Krankheiten, aber nicht
vor dem Älterwerden. Im Sommer 2002 war ich in Berlin, um für
einen Berlin-Roman zu recherchieren, und darin sollten alte Menschen
die Hauptrolle spielen. Durch Zufall lernte ich Professor Friesdorf
von der TU Berlin kennen, der mich fragte, ob ich mir vorstellen
könnte, einen Roman über alte Menschen zu schreiben.
Ihre fünf Roman-Helden haben Computer, nutzen E-Mail und
Handy und die Segnungen der Moderne sogar für kleine Gaunereien.
Sie leben in einer WG und schrecken auch nicht davor zurück,
sich mit einer Reality-Show im Internet zu produzieren, um an Geld
zu kommen. Charlotte und Oskar, Emma, Isolde und Ricardo sind ziemlich
ausgeflippt und haben überhaupt nichts mit dem landläufigen
Bild von älteren Menschen zu tun, die die Jüngeren mit
ihren Lebensweisheiten beglücken. Die Hauptheldin Charlotte
ist sogar eine unverbesserliche Zockerin, die mit ihren 77 Jahren
noch über Mauern klettert.
Meine Mutter ist 71 Jahre und nutzt alle Techniken der neuen Medien.
Mich haben die kecken, offenen, neugierigen, wachen Menschen interessiert,
die mir auch in dem Seniorenbeirat von SENTHA begegnet sind. So
kann man auch sein, wenn man wie Oskar im Rollstuhl sitzt und Herzprobleme
hat. Ich wollte dieses Bild demontieren, dass angeblich mit Alten
nichts mehr anzufangen ist, dass sie nutzlos und nur noch eine Last
sind.
Aber bedienen Sie damit nicht genau den Jugendlichkeitswahn
dieser Gesellschaft, dass alles jung und fit zu sein hat, auch die
Alten, wenn man für die Gesellschaft überhaupt noch von
Interesse sein soll?
Nein, wieso? Oskar sitzt im Rollstuhl, und meine "Alten"
haben Falten und stehen dazu. Ich habe die älteren Menschen
so dargestellt, wie sie eben auch sind - voller Lebensmut, deren
Leben mit dem Alter nicht aufhört, die Wünsche und Sehnsüchte
haben.
Die Fragen stellte Sybille Nitsche
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