Anderer Blick auf Ältere: alle Fähigkeiten nutzen
Forschungsprojekt SENTHA findet neue Herangehensweise bei der
Entwicklung seniorengerechter Produkte
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Senioren haben keine Angst
vor Technik - vorausgesetzt, sie können sie handhaben |
Für Frau und Herrn Wuttig gab es ein Leben vor SENTHA und
eins danach. Ein Fernseher mit einer leichter zu handhabenden Fernbedienung
wurde gekauft, die gestylte, aber umständlich zu öffnende
Thermoskanne aussortiert und in der Küche tiefe, unübersichtliche
Schrankfächer durch Schübe ersetzt. "Seitdem wir
in der SENTHA-Seniorenforschergruppe mitarbeiten, hadern wir nicht
mehr mit uns, sondern mit der Technik und den angebotenen Haushaltsgeräten,
die oftmals schlecht sind und nicht unseren Wünschen entsprechen",
sagen sie. Sie ist 64, er 66.
SENTHA
steht für "Seniorengerechte Technik im Haushalt"
und ist ein DFG-Forschungsprojekt an der TU Berlin, das 2003 abgeschlossen
wurde. Es stellte den gesunden Senior in den Mittelpunkt der Forschung,
als Reaktion auf den demografischen Wandel im Lande, und thematisierte
die damit einhergehenden neuen Anforderungen an Haushaltstechnik
und Wohnumfeld mit dem Ziel, die selbstständige Lebensführung
der Rentner in den eigenen vier Wänden so lange wie möglich
aufrechtzuerhalten, da dies ein sehr hohes Gut für den älteren
Menschen ist. Für die Entwicklung seniorengerechter Produkte
sollten wissenschaftliche Grundlagen geliefert werden.
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Dieses höhenverstellbare
Waschbecken war ein Beitrag für den im Rahmen des Forschungsprojektes
SENTHA ausgelobten Wettbewerb "Alternativen". Der
Beitrag von Anna Dobrovski erhielt eine Anerkennung und entstand
an der Kunsthochschule Weißensee Berlin |
An dem Projekt forschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
aus sieben verschiedenen Teilgebieten an der TU Berlin. Ebenso waren
beteiligt die Universität
der Künste, das Berliner
Institut für Sozialforschung, das Deutsche
Zentrum für Alternsforschung an der Universität Heidelberg
und die Brandenburgische
Technische Universität Cottbus. Was ist eigentlich eine
seniorengerechte Technik und wie grenzt sie sich von einer behindertengerechten
ab?, fragten die Forschenden.
"Gleich zu Beginn mussten wir einen Paradigmenwechsel vornehmen",
sagt TU-Professor Wolfgang Friesdorf, Sprecher der Forschergruppe.
"Gingen wir anfangs davon aus, Defizite bei den Fähigkeiten
der älteren Probanden im Umgang mit der Technik analysieren
zu müssen, sprachen wir alsbald schon von Ressourcen, die zu
nutzen sind, denn die gesunden Senioren verfügen ja über
alle sensorischen und motorischen Fähigkeiten. Seniorengerechte
Technik ist also eine, die all die vorhandenen Ressourcen nutzt
und - ganz wichtig - nicht verkümmern lässt, jedoch der
allmählichen Abnahme der Fähigkeiten Rechnung trägt."
So verabschiedete man sich auch von einem barrierefreien Wohnumfeld
als Anspruch, sondern postulierte die Anpassung an die "Barrierebehinderung".
Das neue Leitbild, nicht von Defiziten auszugehen, die das Produkt
ausgleichen soll, sondern von vorhandenen geistigen und körperlichen
Fähigkeiten, die der Senior auch nutzen will, stellt für
die Produktentwicklung eine neue Herausforderung dar. "Die
Senioren wünschen sich nicht einen vollautomatischen Hightech-Haushalt,
der sie tatenlos im Sessel sitzen lässt", sagt TU-Arbeitswissenschaftler
Dr. Matthias Göbel. Genauso wenig genüge es, die Tasten
des Handys einfach nur größer zu machen. Untersuchungen
ergaben, dass das Hauptproblem für ältere Menschen beim
Handy die Handhabung des Menüs ist. "Dessen Logik",
so Professor Friesdorf, "ist nicht für ältere Menschen
gemacht." Für den Produktentwickler bedeute das, eine
völlig neue Haltung gegenüber dem Kunden einzunehmen:
Die Frage sei nicht, wie bringe ich die entwickelte Technik an den
Kunden, sondern, was braucht der ältere Kunde wirklich. Wolfgang
Friesdorf: "Der Technologe muss sich in die Lage des älteren
Anwenders hineinversetzen." Deshalb sei ein seniorengerechtes
Gerät nicht unbedingt eines, das alle Funktionen anbietet,
die technisch möglich seien, so Matthias Göbel. Weniger
kann manchmal mehr sein.
Sybille Nitsche
Senioren forschen für Senioren
Nach vier Jahren SENTHA-Forschung wurde eine Seniorenforschergruppe
ins Leben gerufen. Anliegen war es, mit der Zielgruppe des
Forschungsvorhabens zusammenzuarbeiten. Zu der Gruppe gehörten
sowohl Ältere, die bereits im Ruhestand waren, als auch
noch Berufstätige. Die Gruppe von etwa zehn Leuten testete
Gebrauchsanleitungen auf ihre Gebrauchsfähigkeit hin,
entwickelte einen Fragebogen zu Problemen, die ältere
Menschen mit der Technik haben, oder beurteilte Produktideen
wie zum Beispiel eine geteilte Spülmaschine für
schmutziges und sauberes Geschirr oder ersann selbst Ideen
wie eine Beregnungsanlage für Blumenkästen. Die
Erfahrungen, die hier in drei Jahren von den Senioren gesammelt
wurden, sollen nun nach Abschluss des Projektes nicht brachliegen,
sondern der Industrie zur Verfügung gestellt werden.
"Die theoretischen Ergebnisse aus der Forschung sollen
nun in die Entwicklung von praktischen Produkten einfließen",
sagt Kai-Uwe Neth vom Lehrstuhl
für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie der
TU Berlin, der das Projekt der Seniorenforschergruppe weiterführen
wird.
sn
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