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Nr. 2-3, Februar/März 2004
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Anderer Blick auf Ältere: alle Fähigkeiten nutzen

Forschungsprojekt SENTHA findet neue Herangehensweise bei der Entwicklung seniorengerechter Produkte

Senioren haben keine Angst vor Technik - vorausgesetzt, sie können sie handhaben

Für Frau und Herrn Wuttig gab es ein Leben vor SENTHA und eins danach. Ein Fernseher mit einer leichter zu handhabenden Fernbedienung wurde gekauft, die gestylte, aber umständlich zu öffnende Thermoskanne aussortiert und in der Küche tiefe, unübersichtliche Schrankfächer durch Schübe ersetzt. "Seitdem wir in der SENTHA-Seniorenforschergruppe mitarbeiten, hadern wir nicht mehr mit uns, sondern mit der Technik und den angebotenen Haushaltsgeräten, die oftmals schlecht sind und nicht unseren Wünschen entsprechen", sagen sie. Sie ist 64, er 66.

SENTHA steht für "Seniorengerechte Technik im Haushalt" und ist ein DFG-Forschungsprojekt an der TU Berlin, das 2003 abgeschlossen wurde. Es stellte den gesunden Senior in den Mittelpunkt der Forschung, als Reaktion auf den demografischen Wandel im Lande, und thematisierte die damit einhergehenden neuen Anforderungen an Haushaltstechnik und Wohnumfeld mit dem Ziel, die selbstständige Lebensführung der Rentner in den eigenen vier Wänden so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, da dies ein sehr hohes Gut für den älteren Menschen ist. Für die Entwicklung seniorengerechter Produkte sollten wissenschaftliche Grundlagen geliefert werden.

 
  Dieses höhenverstellbare Waschbecken war ein Beitrag für den im Rahmen des Forschungsprojektes SENTHA ausgelobten Wettbewerb "Alternativen". Der Beitrag von Anna Dobrovski erhielt eine Anerkennung und entstand an der Kunsthochschule Weißensee Berlin

An dem Projekt forschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben verschiedenen Teilgebieten an der TU Berlin. Ebenso waren beteiligt die Universität der Künste, das Berliner Institut für Sozialforschung, das Deutsche Zentrum für Alternsforschung an der Universität Heidelberg und die Brandenburgische Technische Universität Cottbus. Was ist eigentlich eine seniorengerechte Technik und wie grenzt sie sich von einer behindertengerechten ab?, fragten die Forschenden.

"Gleich zu Beginn mussten wir einen Paradigmenwechsel vornehmen", sagt TU-Professor Wolfgang Friesdorf, Sprecher der Forschergruppe. "Gingen wir anfangs davon aus, Defizite bei den Fähigkeiten der älteren Probanden im Umgang mit der Technik analysieren zu müssen, sprachen wir alsbald schon von Ressourcen, die zu nutzen sind, denn die gesunden Senioren verfügen ja über alle sensorischen und motorischen Fähigkeiten. Seniorengerechte Technik ist also eine, die all die vorhandenen Ressourcen nutzt und - ganz wichtig - nicht verkümmern lässt, jedoch der allmählichen Abnahme der Fähigkeiten Rechnung trägt." So verabschiedete man sich auch von einem barrierefreien Wohnumfeld als Anspruch, sondern postulierte die Anpassung an die "Barrierebehinderung".

Das neue Leitbild, nicht von Defiziten auszugehen, die das Produkt ausgleichen soll, sondern von vorhandenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten, die der Senior auch nutzen will, stellt für die Produktentwicklung eine neue Herausforderung dar. "Die Senioren wünschen sich nicht einen vollautomatischen Hightech-Haushalt, der sie tatenlos im Sessel sitzen lässt", sagt TU-Arbeitswissenschaftler Dr. Matthias Göbel. Genauso wenig genüge es, die Tasten des Handys einfach nur größer zu machen. Untersuchungen ergaben, dass das Hauptproblem für ältere Menschen beim Handy die Handhabung des Menüs ist. "Dessen Logik", so Professor Friesdorf, "ist nicht für ältere Menschen gemacht." Für den Produktentwickler bedeute das, eine völlig neue Haltung gegenüber dem Kunden einzunehmen: Die Frage sei nicht, wie bringe ich die entwickelte Technik an den Kunden, sondern, was braucht der ältere Kunde wirklich. Wolfgang Friesdorf: "Der Technologe muss sich in die Lage des älteren Anwenders hineinversetzen." Deshalb sei ein seniorengerechtes Gerät nicht unbedingt eines, das alle Funktionen anbietet, die technisch möglich seien, so Matthias Göbel. Weniger kann manchmal mehr sein.

Sybille Nitsche

Senioren forschen für Senioren

Nach vier Jahren SENTHA-Forschung wurde eine Seniorenforschergruppe ins Leben gerufen. Anliegen war es, mit der Zielgruppe des Forschungsvorhabens zusammenzuarbeiten. Zu der Gruppe gehörten sowohl Ältere, die bereits im Ruhestand waren, als auch noch Berufstätige. Die Gruppe von etwa zehn Leuten testete Gebrauchsanleitungen auf ihre Gebrauchsfähigkeit hin, entwickelte einen Fragebogen zu Problemen, die ältere Menschen mit der Technik haben, oder beurteilte Produktideen wie zum Beispiel eine geteilte Spülmaschine für schmutziges und sauberes Geschirr oder ersann selbst Ideen wie eine Beregnungsanlage für Blumenkästen. Die Erfahrungen, die hier in drei Jahren von den Senioren gesammelt wurden, sollen nun nach Abschluss des Projektes nicht brachliegen, sondern der Industrie zur Verfügung gestellt werden. "Die theoretischen Ergebnisse aus der Forschung sollen nun in die Entwicklung von praktischen Produkten einfließen", sagt Kai-Uwe Neth vom Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie der TU Berlin, der das Projekt der Seniorenforschergruppe weiterführen wird.

sn

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