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Nr. 1, Januar 2004
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Historische Häutungen - Von der Geschichtsruine zur Ikone der deutschen Hauptstadt

Die Berliner Republik und ihr Umgang mit dem symbolischen Stadtraum

Die Rückkehr des Pariser Platzes wurde als Anschluss an das "bürgerliche Berlin" gefeiert

"Berlin ist das nationale Symbol und die Klammer für ganz Deutschland." Solche Statements haben mittlerweile jegliche Provokation verloren. Das war vor 15 Jahren noch anders. Erbittert wurde über die Rolle Berlins in dem wieder vereinigten Deutschland gestritten. Fast vergessen ist, dass die Bundestagsentscheidung für Berlin als neue, alte Hauptstadt mehr als knapp ausging. Nur mit 18 Stimmen mehr siegte Berlin vor Bonn. Die "Ängste und Sorgen, für die dieses knappe Ergebnis steht, sind ein Grund dafür, dass die symbolische Hauptstadtgestaltung eine solche Gratwanderung wurde und für so viele Debatten sorgte", sagt Cornelia Siebeck.

Mit diesem schwierigen, bisweilen quälenden Prozess der Hauptstadtwerdung hat sich die TU-Absolventin unter anderem in ihrer Magisterarbeit beschäftigt: "Inszenierung von Geschichte in der 'Berliner Republik'. Der Umgang mit dem historisch-symbolischen Raum zwischen Reichstagsgebäude und Schlossplatz nach 1989" war das Thema. Cornelia Siebeck führt dazu auch Stadtführungen durch. Vom Reichstag geht es zum sowjetischen Ehrenmal, über den Pariser Platz mit seiner Neubebauung zur Straße Unter den Linden Richtung Schlossplatz.

Mit der Glaskuppel des Reichstages einigte man sich auf eine "idealtypische Synthese aus Alt und Neu"

Über die Hauptstadtdebatte Anfang der 1990er-Jahre und die sich daran anschließende zur "Berliner Republik" näherte sich Cornelia Siebeck dem Gegenstand ihrer Arbeit. In beiden Diskursen widerspiegele sich der Wunsch nach "Versöhnung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft", der Wunsch nach Aufbruch in eine neue Zukunft, ohne sich der Vergangenheit zu entledigen. Cornelia Siebeck untersuchte, wie sich dieses Verlangen in dem geschichtsträchtigen Stadtraum zwischen Reichstag und Schlossplatz seit 1989 niederschlug, auf welche Weise das neue Deutschland diesen Raum prägte.

In drei Kapiteln sucht sie eine Antwort darauf. In dem ersten Kapitel "Die Berliner Republik gibt sich ein Gesicht. Der Reichstag" skizziert sie die "merkwürdige Metamorphose" dieses Gebäudes "von einer Geschichtsruine zur Ikone der 'neuen' Bundesrepublik." Das Parlamentsgebäude mit seiner gläsernen transparenten Kuppel sei zum Symbol für das neue Deutschland geworden, und sie rekonstruiert, wie dies geschah. Plädierten die Konservativen für die historische Rekonstruktion der Kuppel, wiesen andere dies als "wilhelminisch" und "unangemessene Machtdemonstration" zurück. Mit der Glaskuppel, auf die man sich einigte, sei schließlich eine "idealtypische Synthese aus Alt und Neu" gelungen. In all diesen Auseinandersetzungen inszenierten die verschiedenen politischen Eliten des Landes ihr jeweils eigenes Geschichtsbild, so Siebeck.

Aber nicht nur die politisch Agierenden suchten nach einem Mittelpunkt. Der Stadt selbst war quasi über Nacht am 9. November 1989 die alte Identität als eine geteilte Stadt abhanden gekommen. Siebeck konstatiert in ihrem zweiten Kapitel "Die Sehnsucht nach der heilen Stadt", dass Berlin nach der Wende nur noch als zerstörte Stadt wahrgenommen wurde, die es nun zu heilen galt. Auf dieser Vorstellung fuße das gesamte Projekt der "kritischen Rekonstruktion" des historischen Zentrums. Der Neubau des Hotels Adlon, die "Rückkehr" des Pariser Platzes, der Abriss von DDR-Bauten in der Straße Unter den Linden wurden, so Siebeck, als Anschluss an das "gute" und "bürgerliche" Berlin gefeiert.

Im dritten Kapitel beschäftigt sich Cornelia Siebeck mit der "Last der Vergangenheit" und dem "richtigen Gedenken". Dabei verweist sie auf einen Konflikt, mit dem die Hauptstadt immer wieder zu kämpfen haben wird und den der amerikanische Publizist Michael Z. Wise als ein Dilemma zwischen dem Wunsch nach der Rekonstruktion positiver historischer Bilder und dem Erinnerungsgebot an die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte beschreibt. Eine Auseinandersetzung, die sich in der Debatte des Holocaust-Mahnmals spiegelte und die ihren Fortgang nimmt in der Diskussion um den Bau eines Zentrums gegen Vertreibung in Berlin.

Sybille Nitsche

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