Historische Häutungen - Von der Geschichtsruine zur Ikone
der deutschen Hauptstadt
Die Berliner Republik und ihr Umgang mit dem symbolischen Stadtraum
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Die Rückkehr des Pariser
Platzes wurde als Anschluss an das "bürgerliche Berlin"
gefeiert |
"Berlin ist das nationale Symbol und die Klammer für
ganz Deutschland." Solche Statements haben mittlerweile jegliche
Provokation verloren. Das war vor 15 Jahren noch anders. Erbittert
wurde über die Rolle Berlins in dem wieder vereinigten Deutschland
gestritten. Fast vergessen ist, dass die Bundestagsentscheidung
für Berlin als neue, alte Hauptstadt mehr als knapp ausging.
Nur mit 18 Stimmen mehr siegte Berlin vor Bonn. Die "Ängste
und Sorgen, für die dieses knappe Ergebnis steht, sind ein
Grund dafür, dass die symbolische Hauptstadtgestaltung eine
solche Gratwanderung wurde und für so viele Debatten sorgte",
sagt Cornelia Siebeck.
Mit diesem schwierigen, bisweilen quälenden Prozess der Hauptstadtwerdung
hat sich die TU-Absolventin unter anderem in ihrer Magisterarbeit
beschäftigt: "Inszenierung von Geschichte in der 'Berliner
Republik'. Der Umgang mit dem historisch-symbolischen Raum zwischen
Reichstagsgebäude und Schlossplatz nach 1989" war das
Thema. Cornelia Siebeck führt dazu auch Stadtführungen
durch. Vom Reichstag geht es zum sowjetischen Ehrenmal, über
den Pariser Platz mit seiner Neubebauung zur Straße Unter
den Linden Richtung Schlossplatz.
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Mit der Glaskuppel des Reichstages
einigte man sich auf eine "idealtypische Synthese aus Alt
und Neu" |
Über die Hauptstadtdebatte Anfang der 1990er-Jahre und die
sich daran anschließende zur "Berliner Republik"
näherte sich Cornelia Siebeck dem Gegenstand ihrer Arbeit.
In beiden Diskursen widerspiegele sich der Wunsch nach "Versöhnung
von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft", der Wunsch nach
Aufbruch in eine neue Zukunft, ohne sich der Vergangenheit zu entledigen.
Cornelia Siebeck untersuchte, wie sich dieses Verlangen in dem geschichtsträchtigen
Stadtraum zwischen Reichstag und Schlossplatz seit 1989 niederschlug,
auf welche Weise das neue Deutschland diesen Raum prägte.
In drei Kapiteln sucht sie eine Antwort darauf. In dem ersten Kapitel
"Die Berliner Republik gibt sich ein Gesicht. Der Reichstag"
skizziert sie die "merkwürdige Metamorphose" dieses
Gebäudes "von einer Geschichtsruine zur Ikone der 'neuen'
Bundesrepublik." Das Parlamentsgebäude mit seiner gläsernen
transparenten Kuppel sei zum Symbol für das neue Deutschland
geworden, und sie rekonstruiert, wie dies geschah. Plädierten
die Konservativen für die historische Rekonstruktion der Kuppel,
wiesen andere dies als "wilhelminisch" und "unangemessene
Machtdemonstration" zurück. Mit der Glaskuppel, auf die
man sich einigte, sei schließlich eine "idealtypische
Synthese aus Alt und Neu" gelungen. In all diesen Auseinandersetzungen
inszenierten die verschiedenen politischen Eliten des Landes ihr
jeweils eigenes Geschichtsbild, so Siebeck.
Aber nicht nur die politisch Agierenden suchten nach einem Mittelpunkt.
Der Stadt selbst war quasi über Nacht am 9. November 1989 die
alte Identität als eine geteilte Stadt abhanden gekommen. Siebeck
konstatiert in ihrem zweiten Kapitel "Die Sehnsucht nach der
heilen Stadt", dass Berlin nach der Wende nur noch als zerstörte
Stadt wahrgenommen wurde, die es nun zu heilen galt. Auf dieser
Vorstellung fuße das gesamte Projekt der "kritischen
Rekonstruktion" des historischen Zentrums. Der Neubau des Hotels
Adlon, die "Rückkehr" des Pariser Platzes, der Abriss
von DDR-Bauten in der Straße Unter den Linden wurden, so Siebeck,
als Anschluss an das "gute" und "bürgerliche"
Berlin gefeiert.
Im dritten Kapitel beschäftigt sich Cornelia Siebeck mit der
"Last der Vergangenheit" und dem "richtigen Gedenken".
Dabei verweist sie auf einen Konflikt, mit dem die Hauptstadt immer
wieder zu kämpfen haben wird und den der amerikanische Publizist
Michael Z. Wise als ein Dilemma zwischen dem Wunsch nach der Rekonstruktion
positiver historischer Bilder und dem Erinnerungsgebot an die dunklen
Kapitel der deutschen Geschichte beschreibt. Eine Auseinandersetzung,
die sich in der Debatte des Holocaust-Mahnmals spiegelte und die
ihren Fortgang nimmt in der Diskussion um den Bau eines Zentrums
gegen Vertreibung in Berlin.
Sybille Nitsche
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