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Nr. 1, Januar 2004
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Surfen im Knast

TU-Wissenschaftler wollen die Grenzenlosigkeit des Internets mit den Grenzen einer Haftanstalt verbinden

Die "Gefängnis-Lehrerinnen und -Lehrer" werden an der TU Berlin in Online-Schulungen für ihre neue Aufgabe fit gemacht

Als TU-Professor Wilfried Hendricks vor gut drei Jahren vom Brandenburger Justizministerium gefragt wurde, ob er eine Idee hätte, wie das Internet als Lernmittel in den Strafvollzug zu bringen sei, war der Experte für E-Learning erst einmal überfragt. Doch schon 18 Monate später war daraus ein durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördertes Forschungs- und Entwicklungsprojekt geworden: "E-Learning im Strafvollzug", kurz "e-LiS". Sechs Bundesländer sind daran beteiligt: Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Darüber hinaus kooperiert das Projekt europaweit.

In Brandenburg zum Beispiel wird das Projekt mit 917000 Euro finanziert und vom Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft (IBI) gemanagt. Das Institut ist durch Kooperationsvereinbarungen mit der TU Berlin an der Universität angesiedelt und in den Bereichen der Qualitätsprüfung von Bildungssoftware sowie der Forschung und Entwicklung innovativer Konzepte für multimediales Lernen aktiv. Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Hendricks vom Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre an der TU Berlin leitet das Institut.

Neben der Durchführung von "e-LiS" in acht Brandenburger Haftanstalten bewertet das Institut zudem das gesamte Projekt in den sechs Bundesländern. So werden zum Beispiel die Anstaltsleitungen, die Lehrenden, aber auch die Gefangenen befragt, was sie vom Einzug des Computers in den Strafvollzug halten.

",e-LiS' richtet sich an Randgruppen der Gesellschaft, an jene, die ohnehin Bildungsdefizite haben und bislang erfolglos in der theoretischen Wissensaneignung waren", sagt Professor Hendricks. Ziel sei es, lernschwache Strafgefangene - Jugendliche, Frauen und Männer - während ihrer Haftzeit mit dem Medium Computer als Instrument der Wissensaneignung so zu fördern, dass sie bei Entlassung den sich rasant verändernden Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes in Ansätzen gewachsen sind und somit eine Chance haben, sich in die Gesellschaft wieder zu integrieren. "Wenn die Reintegration der Häftlinge politisch gewollt ist, dann müssen sich auch die Haftanstalten den veränderten Wirklichkeiten auf dem Arbeitsmarkt stellen. Deshalb ist ,e-LiS' ein Versuch, den Weg zurück in die Gesellschaft zu unterstützen, indem die Häftlinge lernen, mit dem Computer zu lernen", so Hendricks.

Um dies zu erreichen, müssen alle Lehrkräfte in den Haftanstalten sowohl über ein fundiertes technisches Wissen als auch über die nötige didaktische Kompetenz im Umgang mit neuen Medien verfügen. Außerdem sollen sie dazu befähigt werden, multimediale Unterrichtsmaterialien selbst zu entwickeln und zielgruppengerecht im Unterricht zu nutzen.

Ein Schwerpunkt des "e-LiS"-Projektes ist deshalb die Schulung der Lehrer selbst. Das Brandenburger Justizministerium hatte sich nicht von ungefähr an das IBI gewandt, beruht doch dessen Sachverstand auf der Zusammenarbeit von Erziehungs-, Sozial- und Kommunikationswissenschaftlern, Informatikern und Designern. Seit anderthalb Jahren werden die "Gefängnis-Lehrer" vom IBI in Online- und Präsenzschulungen an der TU Berlin für ihre neue Aufgabe fit gemacht.

Ein anderer Schwerpunkt ist die Entwicklung einer eigenen technologischen Infrastruktur für web-basierte E-Learning-Konzepte im Strafvollzug. "Wenn wir für die Häftlinge mehr Medienkompetenz wollen, müssen sie den Umgang mit dem Internet trainieren. Für uns Wissenschaftler wird es die Herausforderung werden, wie unter sicherheitsrelevanten Aspekten ein Internetzugang möglich sein wird", sagt Professor Hendricks. Schließlich darf das Internet im Knast nicht zum Ausgangspunkt von Straftaten werden. Mit der Universität Bremen arbeitet das IBI an diesem Problem.

Sybille Nitsche

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