7-9/04
Juli 2004
 
TU intern
7-9/2004 als
pdf-Datei
(2,0 MB)
 Themenseiten 
Titel
Inhalt
Aktuell
Innenansichten
Lehre & Studium
Forschung
Alumni
Internationales
Menschen
Vermischtes
Impressum
TU-Homepage

Wissenschaft bringt Geld und Arbeitsplätze nach Berlin

Erste Ideen zur Zukunft Berlins aus der Enquète-Kommission

Jürgen Kromphardt ist Experte für Wirtschaftsfragen

Der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kromphardt lehrt und forscht zur Wirtschaftstheorie an der TU Berlin. Anfang dieses Jahres wurde er in die 19-köpfige Enquète-Kommission "Eine Zukunft für Berlin" gewählt. Die vom Berliner Senat eingesetzte Kommission soll Vorschläge erarbeiten, wie die Krise der Hauptstadt zu bewältigen ist.

Herr Professor Kromphardt, gibt es bereits Vorschläge, wie Berlin die Misere meistern kann, die ja auch die Wissenschaft der Stadt stark schädigt?

Wir haben inzwischen in sieben Sitzungen sehr viele Themen durchgearbeitet. Am Ende des Sommers wird unser erster offizieller Zwischenbericht vorliegen. Auf zwei wesentliche Punkte konnten wir uns bisher einigen. Erstens: Berlin kann aus seiner desaströsen finanziellen Situation nicht aus eigener Kraft herauskommen. Ein Gutachten aus der Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer weist nach, dass die Pro-Kopf-Ausgaben einer Großstadt im Schnitt mindestens zehn Prozent über dem Durchschnitt eines Flächenlandes liegen müssen. Berlin liegt noch etwas höher. Das ist also zu reduzieren. Dennoch: Selbst wenn der Bund einen Teil der Zins- und anderen Altlasten - zum Beispiel aus der Wohnungsbauförderung - übernähme, könnte Berlin bei einer weiteren Reduzierung auf eben diese 110 Prozent Pro-Kopf-Ausgaben erst bis etwa 2017 zu einem ausgeglichenen Haushalt finden.

Zweitens: Es ist zwecklos, Berlin "kaputtzusparen". Was Berlin attraktiv macht und das, was Arbeitsplätze schafft, muss erhalten bleiben.

Und was ist das?

Insbesondere eben die Wissenschaft. Das Angebot an gut ausgebildeten Absolventen, Gründungen neuer Unternehmen aus den Universitäten heraus und auch die Kooperationen der Forschung mit der Wirtschaft sind ein Aktivum des Wirtschaftsstandorts. Ebenso ist die Kulturlandschaft in Berlin eine Attraktion für kreative Leute und schafft somit Arbeitsplätze. Hier dürfen wir nicht unattraktiv werden. Die Tendenz ist also eindeutig: Wissenschaft darf nicht weiter heruntergespart werden und in der Kultur sollte man sehr vorsichtig sein.

Wie groß ist denn der Wirtschaftsfaktor Wissenschaft?

Es ist schwierig, das zu quantifizieren. Doch nachgewiesenermaßen gibt es die genannten positiven Effekte. Dagegen gibt es Ausgaben, zum Beispiel für manche Verwaltungen, die unternehmerische Ansiedlungen abschrecken und damit im Endeffekt eine negative Gesamtwirkung haben. Die Wissenschaft dagegen bringt Geld nach Berlin: durch Drittmitteleinwerbungen, Unternehmensgründungen, das Geld der Studierenden. Anders sieht es bei einigen Investitionsausgaben aus, die durch überregionale Ausschreibungen nach außen fließen. Wir müssen Ausgaben aussortieren, die Berlin nichts bringen.

Wieso kürzt der Senat trotzdem an der Wissenschaft?

Die Kommission kann keine Beschlüsse rückgängig machen. Sie soll dafür sorgen, dass in Zukunft nicht mehr dort gekürzt wird, wo es politisch am einfachsten geht, wo der Widerstand am geringsten ist. Der Finanzsenator ist bei jeder unserer Sitzungen dabei. Er diskutiert auch intensiv und sachgerecht mit und zeigt das Interesse seitens der Politik, die unumgänglichen Sparmaßnahmen in Bereichen zu ergreifen, die Berlin nichts bringen. Die Wissenschaft gehört nicht dazu.

Aber irgendwo muss gespart werden. Was gibt es noch für Möglichkeiten?

Diese Frage brachte uns auf das Thema "öffentliche Verwaltung". Die Zweigleisigkeit von Bezirksämtern und zentraler Senatsverwaltung führt zu mangelnder Beweglichkeit und Doppelarbeit. Dieses wiederum ist bürgerunfreundlich, ansiedlungsfeindlich und führt zu langen Bearbeitungszeiten. Hier müssen neue Anreizstrukturen geschaffen werden. Beispielsweise ist die gängige Praxis, Führungskräfte nicht nach Leistung zu bezahlen, sondern nach der Zahl der Untergebenen, kontraproduktiv. Kaum ein leitender Beamte wird die Arbeit in seinem Bereich effizienter mit weniger Personal gestalten, wenn er sich gewissermaßen damit selbst bestraft. Dieses kann also nicht zu einem Abbau führen. Eine sinnvolle Strategie scheinen dagegen Zielvereinbarungen und terminierte Bearbeitungspläne zu sein. Auch die TU Berlin hat im Verwaltungsbereich bereits gute Erfahrungen mit Zielvereinbarungen gemacht.

Welche Zukunft sehen Sie für den Standortfaktor Wissenschaft in einer gebeutelten Stadt wie Berlin?

Unsere Experten-Kommission soll vor allem Argumente finden, die Haushaltsnotlage für die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu begründen und für den Eigenbeitrag Berlins sinnvolle Sparvorschläge zu machen. Wenn der Bund dann zur Entlastung Berlins gebracht wird, ist gewissermaßen Land in Sicht. Dann werden die positiven Beiträge der Wissenschaft ein weiteres Kürzen in diesem Bereich verhindern. Wenn sich außerdem die hier tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler positiv über Berlin äußern, ziehen sie auch weiteres Potenzial nach Berlin. Da kann man schon optimistisch sein.

Das Gespräch führte Patricia Pätzold

 

© TU-Pressestelle 7-9/2004 | TU intern | Impressum | Leserbriefe