Der Faktor Frau: Technik wird heute im gesellschaftlichen Team
entwickelt
Was bedeutet heutzutage Gestaltung von Technik? Wer sind die Entwicklerinnen
und Entwickler, in welchem sozio-ökonomischen Zusammenhang
machen sie ihre Erfindungen und für wen? Über diese Fragen
machte sich Prof. Dr. Christiane Funken vom Institut
für Soziologie auf einer Frauenvollversammlung Anfang Juni
Gedanken. Die Technikentwicklung - so Funken - hänge heute
von vielen Einflüssen ab. Auf dem Prüfstand der Technikbewertung
stehen sowohl Kriterien der technischen Entwicklungsreife als auch
Einschätzungen zu Technikakzeptanz, Risiko, Sozialverträglichkeit
oder Angemessenheit in den jeweiligen Anwendungsgebieten beziehungsweise
für die jeweiligen Nutzungsgruppen.
Neue Technik solle das Leben der Menschen erleichtern und die Welt
zugänglicher machen. Doch immer wieder entgleite den Menschen
die Kontrolle und es komme zu Unfällen und gar zu Katastrophen.
Da die Grenze zwischen menschlichem Handeln und technischen Abläufen
sehr unscharf sei, müssten wir Technik als Bestandteil eines
umfassenden sozio-technischen Zusammenhanges auffassen, der so komplex
geworden ist, dass eine einzelne Disziplin mit ihrer Entwicklung
überfordert wäre. Die systematische Berücksichtigung
technischer und humanwissenschaftlicher Kriterien müsse daher
interdisziplinär erfolgen. Christiane Funken brachte ein Beispiel:
Aus ökonomischen Gründen habe sich in der Werkzeugtechnik
zunehmend die Miniaturisierung von Werkzeugteilen durchgesetzt,
was ihre Haltbarkeit jedoch erheblich herabsetze. Die entscheidende
Frage, ob nun lieber klein, das heißt nach dem neuesten Stand
der Technik, damit aber auch anfälliger gebaut werden solle,
oder aber groß und robust, kann von den Technikern jedoch
nicht mehr allein beantwortet werden. Qualität von Technik
sei nur in Relation zu sozio-kulturellen Anforderungen (Bedürfnisstrukturen,
Nutzungsverhalten, Arbeitsverhältnisse oder Geschlechterverhältnisse)
bewertbar. Ein weiteres Problem sei, dass die Handhabung von Technik
immer mehr Kompetenzen erfordere, obgleich die Technikakzeptanz
in der Bevölkerung permanent abnehme. Auch die Studierendenzahlen
seien in Technikfächern bundesweit erheblich geringer als in
anderen Fächern.
Wie aber können die unterschiedlichen Interessengruppen der
Gesellschaft, die so genannten "stakeholder", in den Gestaltungsprozess
eingebunden werden?, fragte die Soziologieprofessorin. Gleichermaßen
Männer müssten teilnehmen wie Frauen, die als Nutzerinnen
und Konsumentinnen bedient werden wollen und deshalb auch als Entwicklerinnen
und Gestalterinnen beteiligt sein müssten. Forschende seien
keine neutralen, weltabgewandten Wesen, die objektiv forschen. Sie
seien Teil der Gesamtgesellschaft und trügen Erwartungshaltungen
und implizites Wissen in den Gestaltungsprozess hinein. Und mehr
noch: Technikentwicklung sei durch den Wandel des Arbeitsmarktes
und der Arbeitsprozesse auf dem Weltmarkt, den damit erhöhten
Wettbewerb und die Individualisierung der Kundenbedürfnisse
so komplex geworden, dass es nicht mehr ausreicht, bei einem gegebenen
Input zuverlässig einen bestimmten Output zu produzieren. Soll
das sozio-technische System funktionieren, dann müssten die
menschlichen und die maschinellen Aktivitäten an ihrer Schnittstelle
zusammenpassen.
Entsprechend, so Christiane Funken, ließen sich unterschiedliche
Erwartungen und Bedürfnisse an Technik festmachen, die je nach
Geschlecht, Lebenssituation, Alter oder entwickelter Kompetenz variieren
könnten. Durch die Integration der unterschiedlichen Sichtweisen
(Diversity) könnten Produkte entwickelt werden, die möglichst
keine negativen sozialen, ökonomischen oder ökologischen
Nebenfolgen haben. Eine Hochschulpolitik, die den Standort Deutschland
und insbesondere Berlin stark machen wolle, bekräftigte die
Soziologin, dürfe weder die Ingelligenzreserve der Frauen missachten
noch die gesellschaftlichen Ansprüche ignorieren.
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