Trendumkehr nicht in Sicht
Interview mit Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung
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Werner Bergmann
forscht zu Antisemitismus nach 1945, Theorie sozialer Bewegungen,
Soziologie und Psychologie des Vorurteils |
Herr Professor Bergmann, im Zentrum
für Antisemitismusforschung beschäftigen Sie sich
nicht nur mit der Entstehung des Judenhasses, sondern mit der Diskriminierung
auch anderer gesellschaftlicher Gruppen. Gibt es Gemeinsamkeiten
bei der Entstehung von Vorurteilen?
Typisch für Vorurteile jeglicher Couleur ist das Herausgreifen
von in irgendeiner Hinsicht abweichenden Personengruppen, die man
für bestimmte Probleme verantwortlich macht, auch wenn diese
strukturell bedingt sind. Wir kennen die Diskussion bei der Ausländer-
und Asylbewerberthematik. Ausländer und Asylbewerber werden
für fehlende Arbeitsplätze, fehlende Wohnungen verantwortlich
gemacht, obwohl jeder Ökonom nachweisen kann, dass das nicht
stimmen kann. Asylbewerber dürfen ja zum Beispiel bei uns zumeist
gar nicht arbeiten. Doch das Erklärungsmuster bleibt seit 30
Jahren stabil. Es kann sogar politisch genutzt werden, wie jetzt
bei der Zuwanderungsdiskussion: Es ist ein Mechanismus, die Verantwortung
für gesellschaftliche Probleme auf bestimmte Gruppen umzulenken.
Welche Wurzeln haben Vorurteile gegenüber Homosexualität?
Eine große Rolle spielen Normalitätsvorstellungen. Wenn
Heterosexualität die Norm ist, so ist der Homosexuelle Außenseiter,
da er geschlechtsspezifische Rollenmuster verletzt. Dies wird von
manchen als verunsichernd oder bedrohlich empfunden. In der Vorurteilsforschung
nennt man das "perceived threat", eine wahrgenommene Bedrohung,
die nicht real sein muss, aber so erlebt wird. Sie wird besonders
von Personen oder Gruppen mit wenig Selbstwertgefühl empfunden.
Von instabilen Persönlichkeiten wird ihre Ich-Schwäche
durch die Herabsetzung anderer ausgeglichen, innere Konflikte werden
nach außen verschoben. Ebenso reagieren Gruppen, die in Schwierigkeiten
sind und sich verunsichert und bedroht fühlen. Krise und Überforderung,
zum Beispiel durch die wachsenden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt,
können Auslöser von Vorurteilen sein. Durch antischwule
Vorurteile wird dann die eigene Männlichkeit und Heterosexualität
aufgewertet.
Ist die Toleranz unserer Gesellschaft Schwulen und Lesben gegenüber
rückläufig, wie es neueste Umfragen mit Tendenz nach unten
glauben machen?
Mit der Abschaffung des Paragrafen 175, die in Deutschland im Gegensatz
zu unseren Nachbarländern erst sehr spät geschah, sind
die rechtlichen Schranken gefallen. Homosexuelle können sich
heute outen ohne Angst vor Strafverfolgung. Durch Aids gab es einen
Rückschlag in der öffentlichen Meinung. Man musste zunächst
befürchten, dass das erworbene Terrain wieder verloren ginge,
was dank vieler Aufklärungskampagnen dann doch zurückgedrängt
wurde. Es gibt aber eine "generalisierte Vorurteilsbereitschaft",
die abhängig ist von der sozialen Lage. Da sich diese in letzter
Zeit für viele verschlechtert hat, ist auch die Tendenz zu
Vorurteilen wieder etwas gewachsen, sowohl der Antisemitismus als
auch die Ausländerfeindlichkeit und die negative Einstellung
zur Homosexualität. Doch sehe ich hier eher eine vorübergehende
Stagnation. Von einer Trendumkehr kann keine Rede sein.
Das Gespräch führte Patricia Pätzold
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