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Juni 2004
 
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Trendumkehr nicht in Sicht

Interview mit Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung

 
  Werner Bergmann forscht zu Antisemitismus nach 1945, Theorie sozialer Bewegungen, Soziologie und Psychologie des Vorurteils

Herr Professor Bergmann, im Zentrum für Antisemitismusforschung beschäftigen Sie sich nicht nur mit der Entstehung des Judenhasses, sondern mit der Diskriminierung auch anderer gesellschaftlicher Gruppen. Gibt es Gemeinsamkeiten bei der Entstehung von Vorurteilen?

Typisch für Vorurteile jeglicher Couleur ist das Herausgreifen von in irgendeiner Hinsicht abweichenden Personengruppen, die man für bestimmte Probleme verantwortlich macht, auch wenn diese strukturell bedingt sind. Wir kennen die Diskussion bei der Ausländer- und Asylbewerberthematik. Ausländer und Asylbewerber werden für fehlende Arbeitsplätze, fehlende Wohnungen verantwortlich gemacht, obwohl jeder Ökonom nachweisen kann, dass das nicht stimmen kann. Asylbewerber dürfen ja zum Beispiel bei uns zumeist gar nicht arbeiten. Doch das Erklärungsmuster bleibt seit 30 Jahren stabil. Es kann sogar politisch genutzt werden, wie jetzt bei der Zuwanderungsdiskussion: Es ist ein Mechanismus, die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme auf bestimmte Gruppen umzulenken.

Welche Wurzeln haben Vorurteile gegenüber Homosexualität?

Eine große Rolle spielen Normalitätsvorstellungen. Wenn Heterosexualität die Norm ist, so ist der Homosexuelle Außenseiter, da er geschlechtsspezifische Rollenmuster verletzt. Dies wird von manchen als verunsichernd oder bedrohlich empfunden. In der Vorurteilsforschung nennt man das "perceived threat", eine wahrgenommene Bedrohung, die nicht real sein muss, aber so erlebt wird. Sie wird besonders von Personen oder Gruppen mit wenig Selbstwertgefühl empfunden. Von instabilen Persönlichkeiten wird ihre Ich-Schwäche durch die Herabsetzung anderer ausgeglichen, innere Konflikte werden nach außen verschoben. Ebenso reagieren Gruppen, die in Schwierigkeiten sind und sich verunsichert und bedroht fühlen. Krise und Überforderung, zum Beispiel durch die wachsenden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt, können Auslöser von Vorurteilen sein. Durch antischwule Vorurteile wird dann die eigene Männlichkeit und Heterosexualität aufgewertet.

Ist die Toleranz unserer Gesellschaft Schwulen und Lesben gegenüber rückläufig, wie es neueste Umfragen mit Tendenz nach unten glauben machen?

Mit der Abschaffung des Paragrafen 175, die in Deutschland im Gegensatz zu unseren Nachbarländern erst sehr spät geschah, sind die rechtlichen Schranken gefallen. Homosexuelle können sich heute outen ohne Angst vor Strafverfolgung. Durch Aids gab es einen Rückschlag in der öffentlichen Meinung. Man musste zunächst befürchten, dass das erworbene Terrain wieder verloren ginge, was dank vieler Aufklärungskampagnen dann doch zurückgedrängt wurde. Es gibt aber eine "generalisierte Vorurteilsbereitschaft", die abhängig ist von der sozialen Lage. Da sich diese in letzter Zeit für viele verschlechtert hat, ist auch die Tendenz zu Vorurteilen wieder etwas gewachsen, sowohl der Antisemitismus als auch die Ausländerfeindlichkeit und die negative Einstellung zur Homosexualität. Doch sehe ich hier eher eine vorübergehende Stagnation. Von einer Trendumkehr kann keine Rede sein.

Das Gespräch führte Patricia Pätzold

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