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Juni 2004
 
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Neues Fenster zum Rest der Welt

Internationaler Semiotik-Kongress in Peking zeigte kulturelle Unterschiede der Wissenschaftsstile von West und Ost

Nur ein "Dialog auf gleicher Augenhöhe" war geplant, doch es öffnete sich für beide Seiten ein neues Fenster zum Rest der Welt. Auf dem Kongress "Semiotics and the Humanities" in Peking, zu dem die International Association for Semiotic Studies (IASS) und die chinesische Akademie für Gesellschaftswissenschaften (CASS) geladen hatten, finanziell unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS), stellten sich wichtige Vertreter der Philosophie, der historischen und der kunstbezogenen Wissenschaften in China und im Westen erstmalig einander vor. Sie wollten klären, was sich in der Forschungspraxis der wichtigsten geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen ändert, wenn man ihre Gegenstände konsequent als Zeichen und Zeichenprozesse versteht, und was die so neu konzipierten Disziplinen zum Verständnis eigener und fremder Kulturen beitragen können.

Die Überwindung von kulturellen Barrieren sei eines der Hauptanliegen der IASS seit ihrer Gründung 1969, darauf wies ihr Präsident, der TU-Semiotiker Professor Dr. Roland Posner, bei der Eröffnung hin: Barrieren, die die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen voneinander trennen und zu Missverständnissen führen: die Naturwissenschaften von den Geisteswissenschaften und beide von den Gesellschaftswissenschaften; und Barrieren, die die vielen kulturspezifischen Stile der Wissensaneignung voneinander trennen.

Der Mensch, so führte ein chinesischer Kongressteilnehmer aus, wurde sowohl im Konfuzianismus als auch im Taoismus bereits als "symbolic animal" verstanden. Kulturspezifische Symbole verliehen auch jeder Gesellschaft eine eigene Identität. Die neuen Wirtschaftsformen im heutigen China hätten allerdings zu beträchtlichen Veränderungen der symbolischen Formen geführt, und das sei ein zukunftsträchtiger Untersuchungsgegenstand für die Kulturwissenschaften. Im Westen, so erklärte Roland Posner, habe die Geschichte der Geisteswissenschaften in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Zeichenprozesse gestanden: von der Spaltung der natürlichen Kommunikationssituation durch die Einführung des Schreibens und Lesens im vorklassischen Griechenland über die Kommunikation mit multiplen Adressaten durch die Redner auf dem Forum Romanum, die Verdoppelung und Verschmelzung zweier Kommunikationsvorgänge bei der Übersetzung der Heiligen Schriften im Mittelalter und weitere Vorgänge bis hin zu dem modernen Versuch, ganze Kulturen als Systeme von Zeichen zu verstehen und wissenschaftlich zu vergleichen. In den übrigen Vorträgen wurde auf die reiche Wissenschaftstradition Chinas im Bereich von Mathematik, Medizin, Geografie, Architektur, Theater und Mythologie eingegangen und geprüft, wie sich diese Auffassungen mit denen des Westens verbinden lassen.

Aufgrund der Erfahrungen dieses Kongresses will China nun eine allchinesische Semiotik-Gesellschaft gründen, und die Chinesische Akademie für Gesellschaftswissenschaften erhält ein Institut für Semiotik. Die chinesischen Semiotiker wollen von der Erfahrung des Westens profitieren und vergangene Fehler der Entwicklung der westlichen Semiotik vermeiden. Insbesondere war man sich einig, durch Sommerschulen und Ferienuniversitäten den Austausch weiter zu fördern. Die Vorträge und Diskussionen werden vollständig demnächst sowohl auf Chinesisch als auch auf Englisch veröffentlicht.

Die Semiotik, das war das Fazit der Veranstaltung, setze sich deshalb weltweit durch, weil sie für die Selbstreflexion des Menschen in den Wissenschaften und für die Analyse des Alltags gleichermaßen nützlich sei.

tui

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