Bachelor im Verkehrswesen - beim kritischen Vergleich nicht unangreifbar
Bachelor und Master - ehrenwerte Ziele zur Modernisierung des Ingenieurstudiums.
Das Maximalziel, der wissenschaftliche Master, wird von einer guten
deutschen Technischen Universität erreicht werden können.
Das Teilziel Bachelor scheint mir jedoch in seiner Problematik noch
nicht hinreichend erkannt.
Der Anspruch, in deutlich kürzerer Zeit einen berufsqualifizierenden
Abschluss zu erreichen, ist äußerst kritisch. Immerhin
muss eine hinreichende Qualifikation für verantwortliche Ingenieurtätigkeiten
in etablierten Branchen erworben werden: im Verkehrswesen sind das
Fahrzeugbau, Verkehrswegeplanung, Flugzeugbau, Schiffstechnik und
Verkehrssystemplanung. Das sind sowohl verkehrsträgerspezifische
als auch systemübergreifende, die gesamte Verkehrsproblematik
betreffende Tätigkeiten.
Für das Diplom im Verkehrswesen hat sich die Strukturierung
nach vier Studienrichtungen (Land, Luft, Wasser, verkehrsträgerübergreifend)
bewährt. Auf diese Untergliederung könnte man für
ein viel kürzeres Bachelor-Studium verzichten und eine allgemeine
ingenieurwissenschaftliche und verkehrstechnische Grundlage bieten,
vielleicht mit Schwerpunktbildung. Doch mit Blick auf die Akzeptanz
in der Praxis, die bei einem Universitätsabschluss eine entsprechende
Konkretisierung erwartet, ist dies unrealistisch. Nach vielen Praxiskontakten
bin ich sicher, dass die ohnehin zu erwartenden Akzeptanzprobleme
eines TU-Bachelors noch weiter erheblich zunehmen würden.
Eine spezielle Fachrichtung müsste also sehr früh gewählt
werden, ein späterer Richtungswechsel wäre immer mit Zeitverlust
verbunden. Das wäre der Preis für die Chance, zuverlässig
in kurzer Zeit einen auch für die Praxis attraktiven ersten
Abschluss zu erreichen.
Beim kritischen Vergleich zwischen einem FH-Abschluss und einem
TU-Bachelor wären die Universitäten stärker als bisher
mit dem Wettbewerb der Fachhochschulen konfrontiert, und ihre Position
ist dabei keineswegs sicher und unangreifbar. Der TU-Absolvent wird
zwar nach wie vor häufig, angesichts zunehmender Komplexität
zu lösender Aufgaben, als geeigneter und zukunftsfähiger
betrachtet. Das gilt allerdings im Zweifelsfall für den Masterabschluss.
Die Chancen eines TU-Bachelor in der Industrie sind meines Erachtens
nur gegeben, wenn er sich deutlich vom FH-Abschluss abhebt. Darüber
sollte mit der Praxis noch intensiv gesprochen werden.
Ein möglicher spezieller Pluspunkt für den TU-Bachelor
könnte zum Beispiel das Angebot sein, aus der Berufstätigkeit
heraus das Masterstudium weiter zu betreiben, sowohl als Präsenz-
als auch als Fernstudium. Dazu müssten Universität und
Unternehmen sehr eng zusammenarbeiten.
(Beitrag gekürzt)
Prof. Dipl.-Ing. Horst Linde,
Institut für Land- und Seeverkehr,
Fachgebiet Seeverkehr
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