Universität als Wirtschaftsunternehmen
Deutsche Hochschulen im Kampf um Autonomie und eine sinnvolle
Organisation
|
Über den richtigen Weg
zu mehr Autonomie in hochschulpolitischen Fragen wird auch an
der TU Berlin diskutiert. Blick auf den Franz-Fischer-Bau (Technische
Chemie)
Foto: TU-Pressestelle |
Alles ist relativ. Der Kalauer, mit dem in diesem Einstein-Jahr
die moderne Physik bedacht wird - auf ein Problem wie die "Hochschulautonomie"
trifft er wörtlich zu. Alle Welt ist dafür, aber von welchen
Kompetenzen genau die Rede ist und wie weit die Freiheit gehen soll,
das bleibt offen.
Der Normalfall staatlicher Hochschulen in Deutschland sieht so
aus: Über die große Masse von finanziellen und personellen
Detailfragen wird faktisch innerhalb der Hochschule entschieden;
nur wenn es strittig, also eigentlich interessant wird, dann liegt
das letzte Wort doch wieder beim Staat. Die Zahl der Studienplätze
ist durch eine Verordnung an die Menge des wissenschaftlichen Personals
gekoppelt, die Vergabe haben die Länder zu einem Teil der Zentralstelle
in Dortmund übertragen, die staatlichen Studienabschlüsse
werden ohnehin per Gesetz geregelt, Studiengebühren dürfen
die Hochschulen vorläufig nicht erheben, die Berufung von Professoren
haben die Minister sich selbst vorbehalten.
Ende letzten Jahres hat der Hessische Landtag eine Ausnahme von
seinem eigenen Hochschulgesetz beschlossen: Die Technische Universität
Darmstadt praktiziert einen Modellversuch mit "Hochschulautonomie".
Das bedeutet nicht nur, dass die Verantwortung für Personal,
Finanzen, Immobilien, Numerus clausus vom Ministerium an die Hochschule
übergeht, in Zukunft werden auch die Professoren vom Präsidenten
ernannt. Eine mittelgroße Revolution im deutschen Hochschulwesen:
Als Wilhelm von Humboldt vor fast zwei Jahrhunderten das klassische
Zeitalter der deutschen Universität einläutete, ging er
noch ganz selbstverständlich davon aus, dass es der Staat ist,
der "durch die Wahl der zu versammelnden Männer"
- an Frauen war noch nicht gedacht - "für Reichtum an
geistiger Kraft" zu sorgen hat.
Hintergrund des Darmstädter Modells ist die Überlegung,
dass nur "unabhängige" Universitäten zur internationalen
Spitze vorstoßen könnten. Autonomie als "Standortvorteil".
In knapp einem Jahr wird die TU Darmstadt dem Landtag ihren ersten
Evaluationsbericht vorlegen. Die Nagelprobe wäre jedoch erst
in einem Konfliktfall gegeben: Was geschieht, wenn Regierung oder
Parlamentsmehrheit zu dem Eindruck kommen, dass die Universität
gerade jenen Ausbildungs- oder Forschungsaufgaben, die politisch
gewollt sind, nicht nachkommt? Mindestens solange der Steuerzahler
der wichtigste Financier bleibt, liegt die Budgetverantwortung am
Ende beim Parlament.
Innerhalb der TU Darmstadt hat das Modell bereits im Vorfeld zum
Streit geführt: "Entdemokratisierung", schelten die
Studierendenvertreter. Das kann man im Präsidium nicht nachvollziehen,
da die Kompetenzen ja nicht innerhalb der Hochschule, sondern gerade
zwischen Staat und Hochschule verschoben worden sind. Aber zweifellos
ist es das Präsidium der Hochschule, das Management, wenn man
so will, das an Macht gewonnen hat. Vielleicht deutet sich in Darmstadt
ja ein Paradigmenwechsel an: Die klassische deutsche Ordinarienuniversität
konnte spätestens seit der Vervielfachung der Studierendenzahlen
in den 60er-Jahren nicht mehr funktionieren, an der Funktionsfähigkeit
der Gremienhochschule in den folgenden Jahrzehnten sind die Zweifel
niemals verstummt. Demnächst also die staatliche Hochschule
als eine Art Wirtschaftsunternehmen? Da wären - Stichwort:
Kundenmacht - manche Fragen der Wissenschaftsorganisation ganz anders
zu diskutieren, als Wilhelm von Humboldt das voraussehen konnte.
Josef Tutsch
|
|