"Es gibt keinen Platz auf der Erde, wo wir Obdach finden"
Internierungslager am Ende der Welt - eine pazifische Lösung
Schiffbrüchige Flüchtlinge vor der Küste Italiens,
gerettet von der Hilfsorganisation Cap Anamur. Das waren die beherrschenden
Schlagzeilen im Sommer 2004. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD)
nutzte den Anlass, um ein Konzept der britischen Regierung aufzugreifen
und voranzutreiben: die Errichtung von Flüchtlingslagern in
Afrika, um Asylbewerber erst gar nicht auf das Territorium der EU
zu lassen. Wie solche Lager aussehen könnten, davon überzeugte
sich Professor Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums
für Antisemitismusforschung der TU Berlin - in Australien.
Auf einer Vortragsreise im November 2004 konnte Wolfgang Benz eines
von sechs Internierungslagern für Asylsuchende in Australien
besuchen: das Villawood Immigration Detention Centre, südwestlich
von Sydney. Die australische Regierung hatte den Besuchswunsch des
renommierten Forschers zwar ausdrücklich abgelehnt, doch es
fanden sich andere Wege, in den streng bewachten Komplex zu gelangen.
Durch die Sicherheitseinrichtungen war das Lager für Professor
Benz schon von weitem zu erkennen: "Zwei Metallzäune,
dazwischen ein Verhau aus jenem rasiermesserscharfen gerollten Sägeblatt,
das den einstigen Stacheldraht als harmlose Spielerei erscheinen
lässt. Ein Menschenkäfig, der Beobachtung in beide Richtungen
zulässt", so beschrieb er das Gesehene. Dass diese Einrichtungen
nicht nur einer kurzzeitigen Internierung dienen, zeigt der Fall
eines Sudanesen, der seit sieben Jahren interniert ist.
Neben den sechs Lagern auf australischem Gebiet existieren zwei
weitere auf fremden Territorien: auf Manus Island (Papua-Neuguinea)
und auf dem rund 21 Quadratmeter großen Inselchen Nauru im
Westpazifik. Auf diese kleine Insel wurden die afghanischen und
irakischen Bootsflüchtlinge deportiert, die der norwegische
Frachter "Tampa" im August 2001 aus Seenot gerettet hat.
Für den Unterhalt des Lagers bezahlt die australische Regierung
den kleinen Staat, der auf diese Art und Weise sein Bruttosozialprodukt
erheblich verbessert. Darüber hinaus fühlt sich die australische
Regierung für die Vorgänge im 2000 Kilometer entfernten
Internierungslager jedoch nicht verantwortlich. Die Internierten
auf Nauru traten im Dezember 2003 in den Hungerstreik und nähten
sich aus Protest teilweise sogar die Lippen zu. Ihr Wortführer
versuchte die Hoffnungslosigkeit zu erklären: "Wir flohen
aus Afghanistan, um Zuflucht in Australien zu finden, aber die australische
Regierung wies uns zurück. Wir hätten nicht bewiesen,
dass wir Verfolgte sind. Die afghanische Regierung sagt, dass wir
keine Afghanen sind. Wenn wir nach Pakistan oder in den Iran auswandern
wollen, sagen die Leute dort, ihr verfluchten dummen Afghanen! Warum
seid ihr gekommen? Sie sagen, wir hätten unser Land zerstört
und jetzt wollten wir ihres zerstören. Es gibt keinen Platz
auf der Erde, wo wir Obdach finden."
"Die Pazifikinsel am Ende der Welt wäre der Prototyp
einer europäischen Lösung, wie sie von Schily propagiert
wird: Internierungslager fern der eigenen Küsten", so
Wolfgang Benz. Das sei jedoch nur eine Scheinlösung, die von
der lebensgefährlichen Reise auf Seelenverkäufern übers
Mittelmeer nach Italien oder Spanien abhalten soll, um den Europäern
die schrecklichen Bilder von Seenot und Untergang zu ersparen.
Carina Baganz
Aus dem Zentrum für Antisemitismusforschung
Verweigertes Asyl
/tui/ Am 7. und 8. April 2005 findet die Konferenz "Verweigertes
Asyl. Die Abwehr von Flüchtlingen - zur Aktualität
und Geschichte eines humanitären Problems" statt.
Zu den Referentinnen und Referenten gehören unter anderem
Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur,
Rita Süßmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin
und Vorsitzende des Ausschusses zur Beratung des Zuwanderungsgesetzes,
sowie Edzard Reuter, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der
Daimler-Benz AG und einst jugendlicher Asylbewerber in der
Türkei.
Fit für Demokratie und Toleranz
/tui/ Schülerinnen und Schüler an fünf Schulen
in Berlin, Brandenburg und Sachsen werden in dem neuen Projekt
"Fit machen - für Demokratie und Toleranz"
mit dem Thema Antisemitismus vertraut gemacht werden und ihr
Wissen an Gleichaltrige weitergeben. So soll Bewusstsein für
subtile Formen des Antisemitismus, mobilisiert unter anderem
durch den Nahost-Konflikt, geweckt werden.
Tel.: 314-2 13 97
wetz0154@gmx.de
Der Ort des Terrors
/caba/
Sechzig Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager haben
der Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums
für Antisemitismusforschung, und Dr. h.c. Barbara Distel,
Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, den ersten Band
von sieben Bänden einer Gesamtdarstellung der Geschichte
der nationalsozialistischen Konzentrationslager vorgelegt.
Grundlegende Artikel informieren unter anderem über die
Organisationsstruktur, Häftlingskennzeichnungen, Häftlingsgesellschaft,
Bewachung, die Entwicklung des KZ-Systems, Todesmärsche
und Befreiung. Selbst die justizielle Ahndung der Verbrechen
und die literarische Thematisierung nach 1945 fanden Eingang.
Der abschließende Band thematisiert Lager außerhalb
des offiziellen Konzentrationslager-Systems, wie Arbeitserziehungslager
oder Ghettos.
Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.)
Der Ort des Terrors - Geschichte der nationalsozialistischen
Konzentrationslager
Band 1: Die Organisation des Terrors
C. H. Beck-Verlag, München 2005
ISBN 3-406-52961-5
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