Gegen den Prunk der Historie
Orte der Erinnerung: Hermann Muthesius als Vorreiter der Moderne
in Architektur und Kunstgewerbe
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Muthesius' Ehrengrab in Nikolassee
Foto: Förster |
Muthesius wollte, wie einst Schinkel, einen neuen Stil in Architektur
und Design prägen - für das industrielle Zeitalter. Aber
die Formenrevolution der Moderne verdrängte bald die großartige
Pioniertat des Absolventen der neu gegründeten TH Berlin. In
der Erinnerung bleibt Muthesius' Mut zum Neubeginn.
Der 1861 in Thüringen geborene Maurer Muthesius nahm Privatunterricht,
studierte dann Kunstgeschichte und Philosophie an der Berliner Universität,
wechselte 1883 zum Architekturstudium an die TH, wo er 1887 die
Bauprüfung machte. Er sammelte Erfahrungen als Praktikant bei
Paul Wallot. Als junger Mitarbeiter der Berliner Architekten Ende
& Böckmann leitete er den Bau von Regierungsgebäuden
in Tokio. Fasziniert vom kultivierten Lebensstil der japanischen
Elite, kehrte Muthesius 1891 über China, Siam, Indien und Oberägypten
nach Deutschland zurück, projektierte als Architekt im preußischen
Arbeitsministerium öffentliche Bauten und leitete die Redaktion
deutscher Bauzeitschriften. Nach einer Studienreise nach Italien
1895 erteilte er allen Formen des Historismus in der Architektur
eine Absage. Er heiratete und ging für sieben Jahre als "technischer
Beobachter" der Tendenzen in Technik, Wirtschaft und Kultur
an die deutsche Botschaft nach London. Sein Interesse für die
Gartenstadt-Bewegung und das von William Morris und John Ruskin
initiierte "art-and-crafts-movement", eine neue Synthese
von Kunsthandwerk und Industrie bewirkte einen Ideentransfer, der
für Deutschland einen kulturellen Innovationsschub brachte.
Ab 1902 begann Hermann Muthesius, zum Dr. Ing. promoviert, die Kunstgewerbeschulen
zu reformieren. 1904 gründete er ein privates Architekturbüro
und baute neben seiner Beamtenlaufbahn mehr als siebzig Häuser,
darunter viele Villen im englischen Landhausstil für das reiche
Berliner Bürgertum. Gegen den Prunk, die Gefälligkeit
und Imitation des Historischen - der Mode der Gründerjahre
- setzte er stilvolle Gediegenheit, Wahrhaftigkeit und Einfachheit.
Das forderte er auch für das Kunstgewerbe. Einen Skandal mit
heilsamer Wirkung provozierte er 1907 mit einer Vorlesung über
die Zukunft des deutschen Kunstgewerbes an der Berliner Handelshochschule:
Das nationale Kunsthandwerk sei deutsch und geschmacklos, ohne Originalität.
Doch 1914 rebellierte die junge Avantgarde (Gropius, Van de Velde)
im Namen der künstlerischen Individualität gegen die fabrikfreundliche
Typisierungsforderungen des Älteren. Am 26. 10. 1927 verunglückte
er tödlich auf dem Weg zu einer Baustelle. Muthesius ruht auf
dem Evangelischen Kirchhof in Nikolassee in einem Berliner Ehrengrab.
Hans Christian Förster
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