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April 2005
 
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"Die Provokation mit Nazi-Symbolen hat Methode"

Wie die deutschen Medien auf den Einzug der rechtsextremen NPD in den Sächsischen Landtag reagierten

 
  Peter Widmann
Foto: TU-Pressestelle

Seit den Landtagswahlen im September 2004 sitzen zwölf Vertreter der rechtsextremen NPD im sächsischen Parlament. Dr. Peter Widmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin untersuchte, wie die Medien darauf reagierten.

Zu welchen Ergebnissen haben Ihre Untersuchungen geführt?

Es haben sich seit den 90er-Jahren eine Reihe von Stereotypen in der medialen Darstellung eingeschlichen. Ein Teil der Journalisten ergreift Partei für die Demokraten gegen die Extremisten. Das Urteil, das sich der Leser oder Zuschauer bilden soll, wird in Beiträgen oft vorweggenommen. Das Prinzip der journalistischen Objektivität wird verletzt. Dies geschieht nicht unreflektiert. Viele Redaktionen meinen, dass die Berichterstattung ein Teil des Kampfes gegen den Rechtsextremismus ist. Moralisch ist das nicht zu beanstanden, nutzt aber letztlich den Rechtsextremen. Sie können sich leicht als Märtyrer in einer vermeintlich gleichgeschalteten Medienlandschaft inszenieren. Etwas mehr Zurückhaltung würde der NPD die Provokation wahrscheinlich erschweren. Die Medien sind zudem fixiert auf die nationalsozialistischen Bezüge in Reden, Aufmärschen und in der Symbolik der NPD, sodass wesentlich grundsätzlichere Themen nicht angesprochen werden.

Welche Themen sind das?

Die Ursache für die Empörung sind zwei Reden von NPD-Abgeordneten im Sächsischen Landtag. Darin ging es um den unsäglichen Begriff des Bomben-Holocaust. Dies löste einen Skandal in der Öffentlichkeit aus. Die symbolische Provokation durch die NPD bestimmte daraufhin die gesamte Berichterstattung. Aber wesentlich grundsätzlichere Fragen wie der Zustand der Jugendarbeit in Sachsen und der der politischen Bildung in den Schulen sowie die Tatsache, dass sich die sächsische Landesregierung viele Jahre kaum um das Problem Rechtsextremismus gekümmert hat, traten fast völlig in den Hintergrund.

Was sagt Ihre Medienanalyse über den Zustand der Gesellschaft bezüglich der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus aus?

... dass Teile der Gesellschaft sich der demokratischen Grundlagen nicht so sicher sind. Die NPD ist keine ernsthafte Gefahr für die Stabilität des demokratischen Systems in der Bundesrepublik. Die Medien aber vermitteln mitunter das Bild, als stünde die Entscheidungsschlacht an. Das entspricht jedoch eher den Machtfantasien der Rechtsextremen, nicht aber den realen Kräfteverhältnissen im Land. Es gibt einen Mangel an sachlichem, selbstbewusstem Entgegentreten und leider eine hohe Bereitschaft, in Panik zu verfallen.

Versteckt sich hinter dem Hang zur Panik ein Argumentationsdefizit?

Ja. In den Medien wird zum Teil versäumt, sich mit der NPD auf der Ebene auseinander zu setzen, auf der sie schwach ist, nämlich auf der Sachebene. Es wird zum Beispiel nicht über das Wirtschaftsprogramm der NPD gesprochen. Sie vertritt die Idee einer raumorientierten Volkswirtschaft, ein sehr isolationistisches Konzept. Wirtschaftsexperten würden bei einer Analyse vermutlich zu dem Ergebnis kommen, dass dieses Konzept relativ schnell zu einer Massenverarmung führen würde. Oder nehmen wir die Migrationspolitik der NPD, die letztendlich zu einer ethnischen Säuberung führen würde.

Wie transportieren Provokationen die Ideologie der NPD?

Die Provokation ist eine Hauptmethode rechtsextremer Öffentlichkeitsarbeit. Damit transportieren die Rechtsextremen ihre Ideologie und überdecken, dass sie auf viele politische Fragen keine Antworten haben. Das funktioniert, weil die Medien auf die Provokationen mit NS-Symbolik immer reagieren.

Das Gespräch führte Sybille Nitsche.

Was geschah im Sächsischen Landtag?

Am 21. Januar 2005 hatten zwei NPD-Abgeordnete im Sächsischen Landtag die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 durch die Alliierten als "Bomben-Holocaust" und "kaltblütig geplanten industriellen Massenmord" bezeichnet. Zuvor hatte die NPD-Fraktion die Gedenkminute des Parlaments für die Opfer der NS-Herrschaft verweigert und geschlossen den Sitzungssaal verlassen.

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