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April 2005
 
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Dem Zweifel und der Skepsis getrotzt

Gründer des Zentrums für Antisemitismusforschung Herbert A. Strauss starb in New York

 
  Herbert A. Strauss
Foto: Kundel-Saro

Herbert A. Strauss, der das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin ab 1982 aufgebaut und bis 1990 geleitet hat, ist nach kurzer Krankheit am 11. März in New York gestorben.

Als er 1982 als Gründungsdirektor des Zentrums aus New York nach Berlin berufen wurde, bezweifelten skeptische Stimmen, dass ein solches, in Europa einmaliges Institut fundierte wissenschaftliche Arbeit leisten könnte. Es kennzeichnet die große Aufbauleistung von Herbert Strauss, dass er dem Zentrum durch innovative, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der VW-Stiftung geförderte Forschungsprojekte schnell breite wissenschaftliche Anerkennung im In- und Ausland verschaffte und dass es ihm durch zahlreiche Veranstaltungen wie Ringvorlesungen und Lerntage zugleich gelang, die universitäre wie die Berliner Öffentlichkeit zu erreichen.

Im Wirken von Herbert Strauss verbanden sich wissenschaftliche Rationalität und Moralität mit der Verpflichtung auf liberale Werte. Dies ist nicht zuletzt Resultat seines besonderen Lebensweges gewesen, den er in seiner Autobiografie "Über dem Abgrund. Eine jüdische Jugend in Deutschland 1918-1943" eindrücklich beschrieben hat. 1918 in Würzburg geboren, ging er angesichts des immer stärker werdenden nationalsozialistischen Drucks auf die Juden 1936 in die Großstadt Berlin, wo er bis 1942 Judaistik und Geisteswissenschaften an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums studierte und wo er noch die geistigen und politischen Häupter des deutschen Judentums, etwa Leo Baeck, kennen gelernt hat. Als Hilfsrabbiner und Zwangsarbeiter musste er die Zerstörung des Judentums durch die nationalsozialistische Verfolgungspolitik mit ansehen, der er und seine spätere Frau Lotte sich nur durch ein Leben im Untergrund und eine abenteuerliche Flucht in die Schweiz im Juni 1943 entziehen konnten. Dort studierte er Geschichte und promovierte 1946 bei Werner Naef in Bern mit einer Arbeit über die Grundrechtsdebatte der Deutschen Nationalversammlung 1848/49. Im Jahre 1946 emigrierte Strauss in die USA, wo er schließlich in New York eine Professur für Geschichte am City College bekam. Seine akademischen Interessen waren von diesem Lebensschicksal geprägt. Er leistete wichtige Beiträge zur jüdischen Emigrations- und Wissenschaftsgeschichte, zur Geschichte der Judenemanzipation in Preußen und der Judenverfolgung im Nationalsozialismus. Diese Forschungsschwerpunkte bestimmten auch sein Forschungsprogramm am Zentrum für Antisemitismusforschung, das Projekte zum Antisemitismus in der deutschen Volkskultur des Vormärz, zur Wissenschaftsemigration nach 1933, für die er selbst in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte in München in seinem "Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933" eine wichtige Quellengrundlage geschaffen hatte, und zur gegenwartsbezogenen empirischen soziologischen Antisemitismusforschung umfasste. Dieses breit angelegte Programm ließ sich nur in interdisziplinärem Zugriff realisieren, und so holte er neben Historikern auch Soziologen, Politikwissenschaftler, Germanisten, Religionswissenschaftler und Kunsthistoriker ans Zentrum. Neben der Interdisziplinarität prägt auch der von Herbert A. Strauss ausgehende Ansatz, den Antisemitismus im allgemeineren Kontext der Vorurteils- und Konfliktforschung zu sehen, bis heute die Arbeit des Instituts.

Nach acht erfolgreichen Jahren der Aufbauarbeit kehrte Herbert Strauss mit seiner Frau 1990 wieder nach New York zurück, wo er sich der Arbeit an seiner Autobiografie widmete, deren zweiter Teil, die Jahre in der Schweiz und in den USA, nun unvollendet bleiben wird.

Wie sehr seine Arbeit und seine Person über das Zentrum hinaus in die TU Berlin und die Berliner Wissenschaftspolitik und Öffentlichkeit hineinwirkten, belegen nicht nur die guten Beziehungen, die Herbert Strauss dort anknüpfte und die bis zu seinem Tode fortdauerten, sondern auch die Tatsache, dass ihm die TU Berlin 1991 die akademische Würde eines "Ehrenmitgliedes der Technischen Universität" verliehen hat. Das Zentrum für Antisemitismusforschung und die TU Berlin sind ihm, der sich mit Engagement und Geschick an die Aufbauarbeit des Instituts in Berlin machte, zu großem Dank verpflichtet, und sie werden sich seiner Verdienste stets mit größter Hochachtung erinnern.

Prof. Dr. Kurt Kutzler,
Präsident der TU Berlin

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