Dem Zweifel und der Skepsis getrotzt
Gründer des Zentrums für Antisemitismusforschung Herbert
A. Strauss starb in New York
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Herbert A. Strauss
Foto: Kundel-Saro |
Herbert A. Strauss, der das Zentrum
für Antisemitismusforschung an der TU Berlin ab 1982 aufgebaut
und bis 1990 geleitet hat, ist nach kurzer Krankheit am 11. März
in New York gestorben.
Als er 1982 als Gründungsdirektor des Zentrums aus New York
nach Berlin berufen wurde, bezweifelten skeptische Stimmen, dass
ein solches, in Europa einmaliges Institut fundierte wissenschaftliche
Arbeit leisten könnte. Es kennzeichnet die große Aufbauleistung
von Herbert Strauss, dass er dem Zentrum durch innovative, von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft
und der VW-Stiftung
geförderte Forschungsprojekte schnell breite wissenschaftliche
Anerkennung im In- und Ausland verschaffte und dass es ihm durch
zahlreiche Veranstaltungen wie Ringvorlesungen und Lerntage zugleich
gelang, die universitäre wie die Berliner Öffentlichkeit
zu erreichen.
Im Wirken von Herbert Strauss verbanden sich wissenschaftliche
Rationalität und Moralität mit der Verpflichtung auf liberale
Werte. Dies ist nicht zuletzt Resultat seines besonderen Lebensweges
gewesen, den er in seiner Autobiografie "Über dem Abgrund.
Eine jüdische Jugend in Deutschland 1918-1943" eindrücklich
beschrieben hat. 1918 in Würzburg geboren, ging er angesichts
des immer stärker werdenden nationalsozialistischen Drucks
auf die Juden 1936 in die Großstadt Berlin, wo er bis 1942
Judaistik und Geisteswissenschaften an der Hochschule für die
Wissenschaft des Judentums studierte und wo er noch die geistigen
und politischen Häupter des deutschen Judentums, etwa Leo Baeck,
kennen gelernt hat. Als Hilfsrabbiner und Zwangsarbeiter musste
er die Zerstörung des Judentums durch die nationalsozialistische
Verfolgungspolitik mit ansehen, der er und seine spätere Frau
Lotte sich nur durch ein Leben im Untergrund und eine abenteuerliche
Flucht in die Schweiz im Juni 1943 entziehen konnten. Dort studierte
er Geschichte und promovierte 1946 bei Werner Naef in Bern mit einer
Arbeit über die Grundrechtsdebatte der Deutschen Nationalversammlung
1848/49. Im Jahre 1946 emigrierte Strauss in die USA, wo er schließlich
in New York eine Professur für Geschichte am City College bekam.
Seine akademischen Interessen waren von diesem Lebensschicksal geprägt.
Er leistete wichtige Beiträge zur jüdischen Emigrations-
und Wissenschaftsgeschichte, zur Geschichte der Judenemanzipation
in Preußen und der Judenverfolgung im Nationalsozialismus.
Diese Forschungsschwerpunkte bestimmten auch sein Forschungsprogramm
am Zentrum für Antisemitismusforschung, das Projekte zum Antisemitismus
in der deutschen Volkskultur des Vormärz, zur Wissenschaftsemigration
nach 1933, für die er selbst in Kooperation mit dem Institut
für Zeitgeschichte in München in seinem "Biographischen
Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933" eine wichtige
Quellengrundlage geschaffen hatte, und zur gegenwartsbezogenen empirischen
soziologischen Antisemitismusforschung umfasste. Dieses breit angelegte
Programm ließ sich nur in interdisziplinärem Zugriff
realisieren, und so holte er neben Historikern auch Soziologen,
Politikwissenschaftler, Germanisten, Religionswissenschaftler und
Kunsthistoriker ans Zentrum. Neben der Interdisziplinarität
prägt auch der von Herbert A. Strauss ausgehende Ansatz, den
Antisemitismus im allgemeineren Kontext der Vorurteils- und Konfliktforschung
zu sehen, bis heute die Arbeit des Instituts.
Nach acht erfolgreichen Jahren der Aufbauarbeit kehrte Herbert
Strauss mit seiner Frau 1990 wieder nach New York zurück, wo
er sich der Arbeit an seiner Autobiografie widmete, deren zweiter
Teil, die Jahre in der Schweiz und in den USA, nun unvollendet bleiben
wird.
Wie sehr seine Arbeit und seine Person über das Zentrum hinaus
in die TU Berlin und die Berliner Wissenschaftspolitik und Öffentlichkeit
hineinwirkten, belegen nicht nur die guten Beziehungen, die Herbert
Strauss dort anknüpfte und die bis zu seinem Tode fortdauerten,
sondern auch die Tatsache, dass ihm die TU Berlin 1991 die akademische
Würde eines "Ehrenmitgliedes der Technischen Universität"
verliehen hat. Das Zentrum für Antisemitismusforschung und
die TU Berlin sind ihm, der sich mit Engagement und Geschick an
die Aufbauarbeit des Instituts in Berlin machte, zu großem
Dank verpflichtet, und sie werden sich seiner Verdienste stets mit
größter Hochachtung erinnern.
Prof. Dr. Kurt Kutzler,
Präsident der TU Berlin
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