Frauen erobern die Hochschule
Wie Studentinnen sich Naturwissenschaften und Technik erkämpften
Um die Jahrhundertwende war das Charlottenburger "Knie",
der heutige Ernst-Reuter-Platz, Kulminationspunkt der Naturwissenschaften
geworden. Mittelpunkt war die Königliche Technische Hochschule,
hervorgegangen aus Bauakademie, Berg- und Gewerbeakademie. Studenten,
Bildungsbürgertum und Intellektuelle ließen sich im so
genannten "Hochschulviertel" nieder. Die Berliner Universität
war überfüllt, die Neugründungen in Charlottenburg
wurden zunehmend auch für Studentinnen attraktiv. 1915 wurde
das Viktoria-Studienhaus, ein Studentinnen-Wohnheim, das erste dieser
Art in Europa, an der heutigen Otto-Suhr-Allee errichtet - von der
ersten selbstständigen Architektin Deutschlands: Emilie Winckelmann.
Ab dem Sommersemester 1909 hatte die Technische Hochschule Frauen
offiziell zum Studium zugelassen, obwohl auch schon in den Jahren
davor einige Frauen als Gasthörerinnen in den Hörsälen
gesichtet worden waren. 1920 promovierte die erste Frau, Leonida
Herovici, an der TH in Chemie, nachdem schon mehrere Damen ihre
Dissertation davor an der TH geschrieben hatten, dann aber woanders
promovieren mussten.
Langsam, auch während der Kriegsjahre, nahm die Anzahl der
Studentinnen zu. Zwischen 1909 und 1918 immatrikulierten sich insgesamt
55 Frauen an der Technischen Hochschule, darunter 21 Ausländerinnen.
29 studierten Architektur, 15 Chemie, fünf Elektrotechnik,
drei Bauingenieurwesen, eine Bergbau, eine Mathematik, eine Physik.
Acht Diplome wurden vergeben, alle in Architektur und Chemie. Die
ersten Frauen promovierten 1920 und 1921, alle in Chemie. Zum Beispiel
Ida Tacke, Tochter eines Lackfabrikanten, die mit ihrem späteren
Ehemann Walter Noddack das chemische Element "Rhenium"
entdeckte. Mehrmals ist sie für einen Nobelpreis vorgeschlagen
worden, erhielt aber nie einen. Die Studentinnen blieben weiter
eine winzige Minderheit. Noch im Wintersemester 1926/1927 waren
es nur 0,8 Prozent aller Studierenden. Elisabeth von Knobelsdorff,
Clara von Simson oder Herta Hammerbacher sind weitere große
Namen von Frauen, die sich sowohl wissenschaftlich als auch politisch
betätigten. Heute haben die Frauen die Hochschule erobert.
Bundesweit übersteigt ihr Anteil an den Erstimmatrikulierten
seit 2004 sogar den Anteil männlicher Studenten. An den Technischen
Universitäten sind die Studentinnen zwar noch in der Minderzahl,
an der TU Berlin sind es heute jedoch bereits fast 38 Prozent. Seit
1996 gibt es an der TU Berlin das Zentrum
für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung,
Frauenförderpläne, spezielle Förderprogramme sowie
Projekte wie den Techno-Club,
der bereits Schülerinnen für Technik begeistern will.
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