Wie viele Master braucht das Land?
Eine Diskussion um die Verteilung von Lehrkapazitäten im
Bologna-Prozess
In die Diskussion, wie viel der universitären Lehrkapazität
den Bachelor- und den Masterstudiengängen zur Verfügung
stehen soll, war Bewegung gekommen, als Nordrhein-Westfalen einen
Erlass herausgab, nach dem 80 Prozent der Lehrkapazitäten auf
die Bachelorausbildung entfallen sollte. Der Zusammenschluss der
technischen Hochschulen (TU
9) aber hatte herausgefunden, dass die Studierenden zwischen
45 und 65 Prozent des Lehrbedarfs in den letzten drei Semestern
des Diplomstudienganges benötigen. Sie sehen daher in dem Erlass
eine Quoteneinführung für den Zugang zum Master durch
die Hintertür sowie eine Gefährdung der Masterabsolventenzahlen.
Sie befürchten außerdem, dass andere Länder sich
dem Modell Nordrhein-Westfalen anschließen. Nach dem Regierungswechsel
am Rhein ist allerdings der Bestand des Erlasses nicht mehr gesichert.
Niedersachsen wiederum hat mit seinen Hochschulen so genannte Zielgrößen
vereinbart und baut darauf, dass ohnehin nur die Hälfte der
Bachelorabsolventen unmittelbar einen Master "draufsatteln"
wollen. Hier nehmen drei Experten aus Berlin, aus Karlsruhe und
aus Hannover zu dem Problem Stellung.
Der Universitätsmaster - bald ein
Kandidat für das Artenschutzabkommen?
|
Leeren sich die Hörsäle,
leeren sich auch bald die Büros, Labore und Werkstätten,
wo Deutschland innovativ ist
Foto: TU-Pressestelle, Collage: dtf |
Die neueste Untersuchung der Kultusministerkonferenz
(KMK) stellte fest, dass sich die Einführung der gestuften
Studiengänge in Deutschland zu einer Erfolgsstory entwickelt.
Die Zahl der Studienanfänger, die sich in einem Bachelor- oder
Masterstudiengang immatrikuliert haben, stieg von 2002 auf 2003
um 47 Prozent. Die meisten dieser Studierenden haben sich in Bachelorstudiengänge
eingeschrieben, und sie sehen in diesem ersten Abschluss auch ihr
Studienziel. Diese Einstellung deckt sich mit dem Anliegen der Politik,
den Bachelor als Einstieg in das Berufsleben zu präferieren.
Die Masterausbildung spielte in den politischen Diskussionen um
die Einführung der gestuften Studiengänge bislang eine
eher untergeordnete Rolle. So sieht zum Beispiel das neue Berliner
Hochschulzulassungsgesetz keine abschließende Regelung für
den Master vor. KMK und Hochschulrektorenkonferenz
(HRK) haben sich Ende 2004 auf eine eher vage Formulierung verständigt:
Die Höhe des Masterbereichs solle sich an den Bedürfnissen
aus Wirtschaft und Wissenschaft orientieren. Die Hochschulen wurden
aufgefordert, Studienplätze im Rahmen ihrer Gesamtkapazität
zur Verfügung zu stellen. Von einer Quote war keine Rede mehr.
Wenig beeindruckt von diesen Vorgaben zeigte sich im Februar 2005
das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium, als es
in einem Erlass zum ersten Mal konkrete Zahlen im Hinblick auf die
Verteilung der Lehrkapazitäten für die beiden Zyklen nannte.
Die Universitäten wurden aufgefordert, 80 Prozent ihrer Kapazitäten
für die Bachelorphase und 20 Prozent für die Masterausbildung
vorzuhalten. Die Folgen einer solchen Aufteilung sind absehbar:
Die Anzahl der Masterabsolventen würde sich - unter Berücksichtigung
der Vorgaben der Kapazitäten-Verordnung und im Gegensatz zu
den Berechnungen aus Düsseldorf - im Vergleich zu den aktuellen
Diplomabsolventenzahlen um 75 Prozent reduzieren. Der Mangel an
Ingenieuren auf universitärem Diplomniveau - schon heute ein
Problem - würde sich noch einmal dramatisch verschärfen.
Die Universitäten verlören ihren wissenschaftlichen Nachwuchs
und müssten ihre Forschungstätigkeit und Drittmitteleinwerbung
weitgehend einstellen. Die Studierenden müssten sich nicht
nur mit Studienbedingungen ohne Forschungsanbindung abfinden, der
Masse würde auch die Option eines Masterabschlusses verwehrt
bleiben.
In der KMK werden die für die Bundesrepublik Deutschland im
Bildungsbereich verbindlichen zwischenstaatlichen Vereinbarungen
getroffen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum sich die Landesregierung
von Nordrhein-Westfalen in dieser Art und Weise von der KMK-HRK-Erklärung
vom Dezember 2004 distanziert. Es ist zu befürchten, dass andere
Länder sich dem Modell anschließen. Die Folgen für
den Wissenschafts- und Technologiestandort Deutschland wären
katastrophal.
Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach,
1. Vizepräsident der TU Berlin
Studienplatzkapazitäten und Bologna-Prozess
Um die Studienplatzkapazität einer Hochschule zu errechnen,
wird das vorhandene Lehrangebot dem Lehrbedarf aus den zugeordneten
Studiengängen gegenübergestellt. Die Lehrdeputate
der Dozenten stehen dabei dem so genannten Curricularnormwert
(CNW) gegenüber, der den Lehrbedarf bestimmt. Er setzt
sich aus den jeweiligen Werten für die unterschiedlichen
Veranstaltungsformen und aus festen Werten für Studienabschlussarbeiten
zusammen und ist dadurch variabel. Ein wichtiges Ziel des
Bologna-Prozesses ist die Qualitätssteigerung in der
Lehre, die durch eine bessere Betreuung und alternative Studienformen
erreicht werden soll. Dafür muss der CNW angepasst werden,
weil eine bessere Betreuung die Werte der Veranstaltungen
verändert: je weniger Studierende in einem Kurs, desto
höher der CNW. Eine Erhöhung des Gesamt-CNW um etwa
20 Prozent ist deshalb geplant. Diese dann etwa 120 Prozent
Kapazität - verglichen mit 100 Prozent für einen
Diplomstudiengang - müsste man, wenn man sich an den
Absolventenzahlen des heutigen Diploms als Äquivalent
für den Master orientiert, etwa zur Hälfte auf beide
Studienabschlüsse verteilen. Der Master benötigt
aufgrund der kleineren, weil spezialisierten Seminare einen
höheren CNW, obwohl der Zyklus kürzer ist. Eine
nicht zweigeteilte Verteilung hätte ein Ungleichgewicht
in dem einen oder anderen Zyklus zur Folge.
tui
|
Problemlöser der Zukunft in Gefahr
|
|
|
Horst Hippler
Foto: Universität Karlsruhe (TH) |
Der Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern gefährdet
den deutschen Industriestandort - so warnt die Industrie schon seit
Jahren. Doch ihre Rufe verhallen offensichtlich ungehört, denn
nun plant die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, die Anzahl
wissenschaftlich ausgebildeter Ingenieure auf ein Minimum zu reduzieren.
Wir haben an der Universität
Karlsruhe berechnet, wie viele Masterabsolventen die Fakultät
für Elektrotechnik unter den Bedingungen des nordrhein-westfälischen
Erlasses ausbilden könnte - das Ergebnis ist schockierend:
Die Zahl der Absolventen mit der derzeitigen Qualifikation eines
deutschen universitären Diplomingenieurs würde auf ein
Viertel reduziert! Die Mitgliedshochschulen der TU 9 sehen darin
eine eklatante Gefährdung des Industrie- und Technologiestandortes
Deutschland. Dieser Kahlschlag wird die Innovationskraft der deutschen
Industrie dramatisch schwächen. Um dies zu verhindern, müssen
wir sowohl Qualität als auch Quantität der Absolventen
Technischer Universitäten in den Natur- und Ingenieurwissenschaften
erhalten.
Nur Universitäten, die eine hochwertige universitäre
Lehre bieten, können exzellente Forschung betreiben - eine
der Voraussetzungen, um hervorragend ausgebildete Absolventen ins
Berufsleben zu entlassen. Universitäten bilden die Problemlöser
der Zukunft aus. In den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen
der Unternehmen bilden sie den Grundpfeiler des Wirtschaftsstandortes
Deutschland, der sich in der globalen Konkurrenz nur dann behaupten
kann, wenn er weiterhin innovationsstark bleibt. Die Anzahl der
Absolventen, die eine grundlegende wissenschaftliche Ausbildung
erhalten haben, darf auf keinen Fall sinken. Denn: Vor allem in
den Ingenieur- und den Naturwissenschaften wächst der Bedarf
der Industrie an hoch qualifizierten Absolventinnen und Absolventen
der Universitäten. Die TU 9 fordert die Politik mit Nachdruck
auf, den Masterabschluss für ingenieur- und naturwissenschaftliche
Studiengänge an Universitäten als Regelabschluss zu akzeptieren.
Der Bachelorabschluss kann als Drehscheibe fungieren, wenn Studierende
sich verändern möchten, sei es durch einen Wechsel an
eine andere Universität oder ins Ausland, sei es durch einen
Wechsel des Studienfachs. Das Ziel jedoch bleibt der Master, denn
nur diese Ausbildungsstufe kommt qualitativ dem Abschluss "Diplomingenieur"
gleich.
Auf den direkten Berufseinstieg nach dem Bachelor bereiten die
Fachhochschulen ihre Studierenden sehr gut vor, das Ziel der Technischen
Universitäten jedoch wird immer die wissenschaftlich fundierte
Ausbildung sein.
Professor Dr. sc. tech. Horst Hippler,
Rektor der Universität Karlsruhe (TH), Sprecher der TU 9
Wirtschaft braucht vor allem Bachelor
|
|
Lutz Stratmann
Foto: Wissenschaftsministerium Niedersachsen |
|
Die niedersächsischen Hochschulen stellen ihre Studiengänge
sehr zügig auf Bachelor- und Masterabschlüsse um. Bereits
zum Wintersemester 2006/2007 haben einige Hochschulen ihr Studienangebot
vollständig auf Bachelor- und Masterabschlüsse umgestellt.
In Niedersachsen werden die Bachelor- und Masterstudien durch Zielvereinbarungen
mit den Hochschulen geregelt. Die dabei angestrebten Zielgrößen
für die Aufnahmekapazitäten sind Planungsgrößen
der Hochschulen, starre Übertrittsquoten vom Bachelor zum Master
sind in Niedersachsen nicht vorgegeben.
Die Umstellung ist aber nur dann erfolgreich, wenn tatsächlich
die Mehrzahl der Studierenden bereits mit dem Bachelorabschluss
eine Berufstätigkeit aufnimmt und - zunächst - nicht in
ein Masterstudium eintritt. Über die Akkreditierung wird bereits
bei der Zulassung der Studiengänge sichergestellt, dass die
Bachelorabschlüsse berufsqualifizierend sind. Deshalb sieht
die Kultusministerkonferenz
(KMK) den Bachelorabschluss als "Regelabschluss eines Hochschulstudiums"
an. Dies ist in den Strukturvorgaben der KMK vom Oktober 2003 geregelt
worden. Das Niedersächsische
Ministerium für Wissenschaft und Kultur hat in seinem Eckwerte-Papier
zum Bologna-Prozess vom 18. Mai 2004 außerdem darauf hingewiesen,
dass sich "die Kapazität für konsekutive Masterstudiengänge
... grundsätzlich auf höchstens 50 Prozent der Bachelor-Absolventenzahl
bemessen" soll. Dies ist eine Planungsgröße, die
auf der Annahme beruht, dass rund die Hälfte der Bachelorabsolventen
unmittelbar in die Masterphase eintreten möchten. Auf begründete
Ausnahmen von dieser Größenordnung wird bereits im Eckpunkte-Papier
hingewiesen, zum Beispiel, wenn es darum geht, die Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses zu sichern. Dies ist vor allem
für die Ingenieurwissenschaften bedeutsam. Bereits seit vielen
Jahren kommen, entsprechend den Erwartungen der Unternehmen als
Arbeitgeber, rund zwei Drittel der Ingenieure von Fachhochschulen,
ein Drittel von Universitäten und werden von den Unternehmen
auch eingestellt. Diese Relation soll auch künftig im Wesentlichen
erhalten bleiben und niemand in Niedersachsen denkt daran, dies
grundlegend zu ändern.
In dem Zusammenhang begrüße ich die Initiative "Bachelor
welcome!" der Bundesvereinigung
der Deutschen Arbeitgeberverbände, der sich zahlreiche
deutsche Unternehmen angeschlossen haben. Ich bin sicher, dass der
Bachelorabschluss mittelfristig auf hohe Zustimmung auf dem Arbeitsmarkt
stößt und damit die Diskussionen über Übertrittsquoten
überflüssig werden.
Lutz Stratmann,
Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur
(CDU)
|
|