Vom geistlosen Prunk zum intellektuellen Zentrum Europas
Wie Sophie Charlotte und Leibniz den Geist Berlins revolutionierten
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Die brandenburgische
Kurfürstin Sophie Charlotte war für Leibniz nicht
nur Schülerin, sondern ernst zu nehmende Gesprächspartnerin
Quelle: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten |
Im Herbst 1697 erfuhr Leibniz, dass Sophie Charlotte in Berlin
die Einrichtung eines Observatoriums nach Pariser Vorbild vorgeschlagen
hatte. Er griff dies in einem Brief auf, deutete seine Pläne
für eine Akademie an und verband beides mit Gedanken zur Reunion
der Konfessionen. Bald erhielt er eine Einladung nach Berlin. Sophie
Charlotte wollte dem geistlosen Prunk des Berliner Hofes etwas Eigenes
entgegensetzen: Sie wollte ernsthaften Gedankenaustausch, literarische
Begegnung und gehaltvolle Musik.
Dies zu verwirklichen, sollte das Landschloss Lützenburg entstehen,
das heutige Charlottenburg, um einen Rahmen fern von höfischen
Zwängen zu finden. Ein kontinuierlicher Briefwechsel und viele,
teils monatelange Besuche des Philosophen bei der Preußenkönigin
folgten. Zu dieser Zeit schickte Berlin sich an, die führende
Rolle unter den protestantischen Höfen in Deutschland zu übernehmen:
Das rege geistige Klima am Berliner Hof, das allein Sophie Charlotte
zu danken war, die Umwandlung des Kurfürstentums in ein Königreich
und die Gründung der ersten deutschen Akademie sind äußere
Zeichen dieses Prozesses.
Im Wirken Leibnizens in Berlin kreuzen sich daher die Wege Preußens
zur einflussreichsten Macht Norddeutschlands und des Denkers und
Organisators der frühen Aufklärung.
Um 1700 hatte Leibniz längst europäische Bedeutung erlangt.
Die Infinitesimalrechnung war von ihm als Erstem veröffentlicht
worden, seine eigene philosophische Grundposition, sein "Neues
System" war kurz zuvor erschienen, sein Buch "Das Neueste
über China" war ein Bestseller, seine Rechtsgutachten
hatten Einfluss gezeigt, seine historischen Studien hatten den Beweis
der Verwandtschaft des Welfenhauses mit dem Hause Este bei Ferrara
erbracht, seine Rechenmaschine für alle vier Rechenarten hatte
ihm die Mitgliedschaft in der Royal Society eingetragen, die in
der Académie des Sciences stand unmittelbar bevor, sein weltweiter
Briefwechsel - am Ende waren es 15000 Briefe an über 1100 Korrespondenten
- verband ihn mit den Gelehrten in den entferntesten Enden der Welt.
Die brandenburgische Kurfürstin schreibt 1699 an Leibniz: "Was
mich angeht, so können Sie mich von jetzt ab für eine
von Ihren Schülerinnen zählen ..." Doch schon bald
ist Sophie Charlotte eine philosophisch ernst zu nehmende Gesprächspartnerin.
Als Leibniz im Mai 1700 endlich seine Antrittsvisite am Hof in
Lützenburg macht, erlebt er den Hof in seinem Pomp. Er hat
Umgang mit Kurfürst und Kurfürstin sowie ausländischen
Diplomaten. Er ist glücklich und wird im Juli sogar zum "Geheimen
Justizrat gnädigst declarirt". Aufbau von Observatorium
und Akademie sind seine wichtigsten Aufgaben. Er schlägt diverse
Steuern zur Finanzierung vor, einschließlich des Seidenraupenzuchtprivilegs,
das allerdings bekanntlich wenig Gewinn abwarf. So bleiben viele
der großen Projekte Theorie. Umso intensiver ist dagegen die
erhoffte geistige Auseinandersetzung.
Aufs Tiefste erschüttert erfährt Leibniz am 2. Februar
1705 vom plötzlichen Ableben seiner geistigen Freundin. Der
Stern ist erloschen; doch Berlin ist darüber zu einem der intellektuellen
und musischen Zentren Europas, Charlottenburg zum Musentempel geworden
- dank des Universalgelehrten und dank Sophie Charlotte, der "reine
philosophique de Charlottenburg".
Prof. Dr. Hans Poser
Seit Jahrzehnten ist das Institut
für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wissenschafts-
und Technikgeschichte der TU Berlin ein Zentrum der Leibnizforschung:
Professor Eberhard Knobloch wirkte im Rahmen der Akademie-Ausgabe
nicht nur an der kritischen Edition der Leibniz'schen mathematischen
Schriften mit, sondern leitet auch die Editionsreihe der Schriften
zur Naturwissenschaft, Medizin und Technik. Professor Hans
Poser ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats und
Vizepräsident der Leibniz-Gesellschaft
Hannover, in deren Namen er 2001 den VII. Internationalen
Leibniz-Kongress mit Teilnehmern aus 36 Ländern an der
TU Berlin ausrichtete. Beide haben zahlreiche Arbeiten über
Leibniz veröffentlicht und vielfältige Forschungsarbeiten
betreut.
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