Anmaßung von Wissen
Bleibt eine alternde Gesellschaft innovationsfähig? - Arbeitsgruppe
zur Politikberatung gebildet
Der Autor ist
TU-Professor für Empirische Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik
sowie gleichzeitig Forschungsdirektor am Deutschen Institut
für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wo er die interdisziplinäre
Längsschnittstudie Sozio-ökonomisches Panel (SOEP)
leitet. Er wurde 1984 mit einer Arbeit zur Zukunft der Rentenversicherung
an der TU Berlin promoviert. Neben vielen anderen Aktivitäten
ist Gert G. Wagner Mitglied der Arbeitsgruppe "Chancen
und Probleme einer alternden Gesellschaft" der Deutschen
Akademie der Naturforscher Leopoldina und der Technikakademie
"acatech" sowie Vorsitzender des Rates für Sozial-
und Wirtschaftsdaten des Bundesbildungsministeriums. Im akademischen
Jahr 2005/2006 ist er während der deutschen Semesterferien
Gastprofessor an der Cornell University in Ithaca, New York. |
Foto: privat |
Die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft im erwarteten
Alterungsprozess ist sehr schwer prognostizierbar. Daher haben die
Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina und die Technikakademie
"acatech" eine Arbeitsgruppe berufen, die sich mit dem
Thema "Chancen und Probleme einer alternden Gesellschaft"
auseinander setzen wird. Die Ergebnisse dieser AG sollen im Frühjahr
2008 vorgestellt werden.
Die massive demografische Alterung wurde in modernen Zeiten weltweit
nirgendwo beobachtet. Die populären Prognosen, die zum Beispiel
einen kaum finanzierbaren "Rentenberg" vorhersagen, sind
wenig aussagekräftig. Zwar ist in der Tat ein Anstieg alter
Menschen zu erwarten (da diese heute schon leben und altern werden)
und dadurch wird auch die Finanzierung der Renten nicht leichter.
Aber Detailprognosen, wie zum Beispiel "Generationenbilanzen",
sind eine Anmaßung von Wissen.
Eine erstaunlicherweise wenig untersuchte Frage der gesellschaftlichen
Alterung sind die Zusammenhänge von Alterung und Innovationsfähigkeit
einerseits und andererseits die Möglichkeiten, mit technischen
Hilfsmitteln Probleme der Alterung zu mindern. Zum Beispiel die
zentrale Frage, ob Forschung und Entwicklung in einer alternden
Gesellschaft weniger dynamisch verlaufen werden. Auf den ersten
Blick spricht die Alltagsbeobachtung für eine mit dem Alter
nachlassende Innovationsfähigkeit. Aber was würde passieren,
wenn etwa das Rentenzugangsalter deutlich hochgesetzt wird, im Zuge
modularisierter Studiengänge die Weiterbildung im mittleren
Lebensalter normal wird und ältere Menschen mithilfe neuartiger
Computersoftware ihr Erfahrungswissen effektiver als bislang in
innovative Konzepte umsetzen können? Solche Fragen werden in
der AG bearbeitet.
Diese Arbeitsgruppe ist im Reigen der Akademie-Projekte etwas Besonderes,
denn es geht hier ausdrücklich nicht um ein Langzeitvorhaben
- etwa die Edition der Feuerbach-Werke - noch um einen rein innerakademischen
Diskurs - wie etwa die interdisziplinäre Aufarbeitung der Geschichte
der Akademien in Berlin -, sondern um eine ausdrücklich der
Politikberatung gewidmeten Aufgabenstellung.
Das Bestreben der beiden Akademien, sich in die Politikberatung
einzuschalten, ist gerade für Universitäten von großer
Bedeutung. Sie tun sich ja nach wie vor oft schwer damit, die in
ihren Mauern erarbeiteten Ergebnisse der breiten Öffentlichkeit
und der Politik wirksam zu kommunizieren. Die Arbeitsgruppe wird
insofern auch ein Sprachrohr der durch ihre Hochschullehrer beteiligten
Universitäten sein. Es sind die International University Bremen
(IUB) und die University of Virginia, die Universitäten in
Aachen, Würzburg, Zürich, Mannheim, Wien, Tübingen,
Münster, Innsbruck und in Berlin-Brandenburg die BTU Cottbus,
die HU und die TU Berlin. Aus der Praxis sind hochrangige Vertreter
der Deutschen Bahn AG, der Schering AG und der Telekom AG als assoziierte
Mitglieder dabei.
Prof. Dr. Gert G. Wagner
|
|