Vergangen, aber nicht vergessen
Über die erstaunliche Aktualität eines "Unzeitgemäßen"
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Henning Reuleaux, Urenkel
von Franz
Foto: Förster |
Franz Reuleaux (1829-1905) entstammte einer Technikerfamilie
und erlernte den Maschinenbauberuf von der Pike auf. Er absolvierte
1850-52 das Karlsruher Polytechnikum. Seine Ausbildung ergänzte
er mit philosophischen und anderen Studien an den Universitäten
Berlin und Bonn. 1856 erhielt er eine Professur am Züricher
Polytechnikum. Hier lehrte er Maschinenbau und schrieb sein Buch
"Der Konstrukteur". Sein Ziel war, eine exakte Maschinenwissenschaft
zu entwickeln. 1864 ging er nach Berlin, wo er 32 Jahre als Lehrer
an der Gewerbeakademie, dann als deren Direktor und ab 1879 als
Professor an der TH zu Berlin tätig war. Er verband Lehre mit
Forschung und ermutigte die Studenten, Spezialwissen durch breite
Bildung zu ergänzen. Als sein Hauptwerk gilt die "Theoretische
Kinematik". In Wort und Schrift fiel er durch Kreativität
und Sprachfantasie auf. Wichtige Technikbegriffe kommen aus seiner
Feder. Er war kritischer Begleiter der Industrieentwicklung. Er
forderte Qualitätsproduktion, denn sie sei ein Beschäftigungsprogramm
für junge Ingenieure. 1896 schied er im Streit aus der TH aus,
er galt als "unzeitgemäß". Doch 1912 wurde
ihm ein Denkmal gesetzt, das noch heute auf dem Südgelände
hinter dem Hauptgebäude zu finden ist. Dr. Henning Reuleaux,
Frauenarzt a. D. in Berlin, beschäftigt sich seit einigen Jahren
mit seinem Vorfahren.
Dr. Reuleaux, wie sind Sie mit Franz Reuleaux verwandt?
Franz Reuleaux ist mein Urgroßvater. Er hatte mit seiner
Frau Charlotte fünf Kinder, drei Töchter und zwei Söhne.
Von den Söhnen wanderte Eugen 1894 in die USA aus, der andere,
Oskar, ist mein Großvater. Er war technischer Offizier in
der preußischen Armee. Ich selbst wurde 1938 in Berlin geboren
und bin einer von 16 Urenkeln, die in Deutschland, der Schweiz,
den USA und Australien leben.
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Franz Reuleaux,
Urgroßvater von Henning
aus: Carl Weiher Franz Reuleaux und seine Kinematik,
Berlin, Springer 1925 |
Der Name Reuleaux ist in Berlin relativ selten. Wurden Sie und
werden Sie häufig wegen Ihres Urgroßvaters angesprochen?
Ja natürlich, während des Studiums fragte mich mein Anatomie-Professor,
ob ich ein so guter Mathematiker wie mein Urahn wäre? Ich antwortete,
wäre ich es, so hätte ich mich nicht für Medizin
entschieden. Ein Dozent der Kunsthochschule Weißensee erklärte
mir die Aktualität der Ideen meines Urgroßvaters über
Zusammenhang von Technik und Design. Nicht zuletzt wurde ich 1979
von der TU Berlin zur Feier des 150. Geburtstages von Franz eingeladen.
Doch obwohl der alte Engels meinen Urgroßvater "einen
Wissenschaftler von europäischem Ruf" nannte, durfte ich
nicht von Ost- nach Westberlin reisen.
Haben Sie Zugriff auf den Nachlass?
Heute bekomme ich viele Anfragen aus aller Welt auch zum Privatleben
von Franz. Sein Nachlass liegt im Deutschen Museum. Aber er enthält
leider wenig aus dem Familienleben. Beeindruckt haben mich die Anfragen
von Professor Francis C. Moon, Cornell University in Ithaca, New
York. Dort sind die Schriften Reuleauxs Lehrgegenstand. Professor
Moon, der sich mit moderner Chaostheorie und zugleich mit der Kinematikgeschichte
beschäftigt, ist Kurator der Reuleaux'schen Modellsammlung
an der Cornell-Universität. Moons Publikationsliste weist aus,
dass er plant, eine internationale Digitalbibliothek zur Kinematikgeschichte
anzulegen.
Was könnte uns Franz Reuleaux als Mensch heute noch bedeuten?
Wir stehen auf den Schultern der Vorväter und sollten ehren,
was sie dachten, aber es auch weiterdenken. Mein Urgroßvater
reflektierte ohne Scheuklappen, deshalb bleiben vieler seiner Texte
heute noch lesenswert und sogar aktuell.
Das Gespräch führte
Hans Christian Förster
Fest-Kolloquium
"Theorie vs. Praxis: 100 Jahre nach Reuleaux?, heißt
die Veranstaltung, die den 100sten Todestag von Franz Reuleaux
im Rahmen des Wolfgang-Beitz-Gedenkkolloquiums würdigt.
Fachvorträge zur Kinematik Franz Reuleaux', zu den Technikwissenschaften
im 20. Jahrhundert und zu heutiger Forschung und Lehre erwarten
die Teilnehmer. Außerdem eine Podiumsdiskussion zum
Thema der Veranstaltung.
Um 17 Uhr folgt die zweite feierliche Verleihung des Wolfgang-Beitz-Preises
für ein innovatives Produkt, das auf die erfolgreiche
Umsetzung der methodischen Produktentwicklung zurückzuführen
ist.
Ort: TU Berlin Hauptgebäude, Raum H 3027
Zeit: Freitag, 2. Dezember 2005, 10.00-19.30 Uhr
www.ktem.tu-berlin.de
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