11/05
November 2005
TU intern
11/2005 als
pdf-Datei
(937 kb)
 Themenseiten 
Titel
Inhalt
Aktuell
Forschungspolitik
in Europa
Innenansichten
Lehre & Studium
Forschung
Alumni
Internationales
Menschen
Tipps & Termine
Vermischtes
Impressum
TU-Homepage

Zwischen Kultur und Verletzung der Menschenrechte

Neue Strategien zur Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung in Afrika

Traditionelle Zeremonie in Benin/Westafrika
Foto: Touristik Benin

Trotz gesetzlicher Verbote ist in vielen Ländern die traditionell praktizierte weibliche Genitalverstümmelung nicht rückläufig. Es handelt sich dabei um eine äußerst brutale Entfernung der Klitoris sowie mitunter der Schamlippen. An der TU Berlin beschäftigt sich die Arbeitsstelle S. A. C. S. (Structural Analysis of Cultural Systems) mit den kulturpsychologischen Gründen für dieses Ritual sowie mit Möglichkeiten, diese sich derzeit weltweit immer weiter verbreitenden Praktiken einzudämmen.

"Wir arbeiten dabei insbesondere mit afrikanischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen zusammen und haben über die UNO regelmäßigen Kontakt zu Indigenenrepräsentanten", erklärt Psychologe Dr. Arnold Groh, der die Forschungen leitet.

Der Ursprung dieses grausamen, für die betroffenen Frauen sehr schmerzhaften und oft lebensgefährlichen Rituals sei bis heute nicht bekannt, erzählt er. Es kommt vermutlich aus Ostafrika und erreichte Westafrika erst spät. Das schloss man daraus, dass die bis ins 19. Jahrhundert als Sklaven nach Amerika verschifften Westafrikaner mit diesen Praktiken nicht vertraut waren. Derzeit breitet sich diese Tradition bis nach Indonesien aus. Ältere Schätzungen gehen von zwei Millionen verstümmelter Mädchen jährlich aus, heute dürfte die Zahl erheblich höher sein. Genaue Daten gibt es nicht. "Das ist ein Dilemma", erläutert Groh, "einerseits ist es wichtig, kulturelle Eigenheiten zu schützen. Dem stehen hier aber fundamentale Menschenrechtsverletzungen entgegen." Heute sucht man Möglichkeiten, die Menschen zur Unterlassung zu bewegen. Gesetzliche Verbote waren bislang wenig effektiv und haben das Problem sogar verschärft, wie das Beispiel Ägypten zeigt. Dort wurde das tief in der Kultur verwurzelte Ritual sogar in Krankenhäusern durchgeführt und schließlich 1996 verboten. Nun griffen wieder Barbiere und Kurpfuscher zur rostigen Rasierklinge. Um die international als "Female Genital Mutilation" (FGM) bezeichnete Praxis zu bekämpfen, mussten also andere Wege beschritten werden. "Da die Traditionen sich als äußerst stabil erwiesen, wurde nun als erster Schritt ein Leitfaden erarbeitet, der zwar die kulturellen Erfordernisse respektiert, der aber darauf abzielt, das Ritual so weit zu modifizieren, dass die Mädchen keine Schäden mehr davontragen. Dieser Leitfaden ist bereits in mehrere Sprachen übersetzt und den zuständigen Ministerien der betroffenen Länder zugeleitet worden. Nun muss er weite Verbreitung in den indigenen Dörfern finden."

Wertvolle Daten sammelte Arnold Groh zusammen mit seiner Frau, Dr. Gunhild Langenbeck-Groh, bei einem von der Humboldt-Stiftung unterstützten Gastaufenthalt am Department of Psychology der University of Ibadan in Nigeria sowie in Benin und Togo. "Die nigerianischen Kollegen arbeiten allerdings unter widrigen Bedingungen", erzählt der TU-Psychologe Groh. "Die vor Jahrzehnten aufgebaute Infrastruktur zerfällt. Straßen und Gebäude sind erheblich beschädigt. Stromausfälle und eine unterbrochene Wasserversorgung sind an der Tagesordnung, ein funktionsfähiges Telefonnetz ist nicht mehr vorhanden und Internetanschluss gibt es meist nur für Minuten und extrem langsam. Wissenschaftler haben kaum Zugang zu Literatur und Fachzeitschriften." Dennoch werde dort so effektiv wie möglich zu Themen wie "Die Psychologie der Korruption", "Intelligenzminderung durch Schadstoffbelastung" oder zu HIV- und Aids-Themen geforscht. Einen besonderen Schwerpunkt bilden neue Strategien gegen die weibliche Beschneidung.

Patricia Pätzold

Arnold.Groh@tu-berlin.de
http://no-fgm.at.gs

S. A. C. S. (Structural Analysis of Cultural Systems) ist eine institutsübergreifende Arbeitsstelle, die im Januar 2004 an der Fakultät I, Geisteswissenschaften, von den Professoren Roland Posner und Monika Walter eingerichtet wurde. Sie führt Forschungen fort, die an das EU-Projekt CULTOS anknüpfen. Dazu gehören die Einrichtung einer Gerichtsgutachtenstelle, die Forschung und der akademische Austausch in Westafrika. Neben der Strategie gegen Genitalverstümmelung werden zum Beispiel Studien zur Handynutzung erstellt, zur Tsunami-Früherkennung, zu Farbkonzepten in archaischen Gesellschaften, zur interkulturellen Gesteninterpretation, zu Gefahren für die kulturellen Varietäten durch Tourismus oder zum Zeitmanagement in verschiedenen Gesellschaften. Die Arbeitsstelle S. A. C. S. betreut Diplomarbeiten in Kulturpsychologie und Forensik und vermittelt Praktika - auch fächerübergreifend - in universitären und außeruniversitären Einrichtungen in Übersee. Es bestehen unter anderem enge Kontakte zu Nigeria, Namibia und Benin.
© TU-Pressestelle 11/2005 | TU intern | Impressum | Leserbriefe