Zwischen Kultur und Verletzung der Menschenrechte
Neue Strategien zur Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung
in Afrika
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Traditionelle Zeremonie in
Benin/Westafrika
Foto: Touristik Benin |
Trotz gesetzlicher Verbote ist in vielen Ländern die traditionell
praktizierte weibliche Genitalverstümmelung nicht rückläufig.
Es handelt sich dabei um eine äußerst brutale Entfernung
der Klitoris sowie mitunter der Schamlippen. An der TU Berlin beschäftigt
sich die Arbeitsstelle S. A. C. S. (Structural Analysis of Cultural
Systems) mit den kulturpsychologischen Gründen für dieses
Ritual sowie mit Möglichkeiten, diese sich derzeit weltweit
immer weiter verbreitenden Praktiken einzudämmen.
"Wir arbeiten dabei insbesondere mit afrikanischen universitären
und außeruniversitären Einrichtungen zusammen und haben
über die UNO regelmäßigen Kontakt zu Indigenenrepräsentanten",
erklärt Psychologe Dr. Arnold Groh, der die Forschungen leitet.
Der Ursprung dieses grausamen, für die betroffenen Frauen
sehr schmerzhaften und oft lebensgefährlichen Rituals sei bis
heute nicht bekannt, erzählt er. Es kommt vermutlich aus Ostafrika
und erreichte Westafrika erst spät. Das schloss man daraus,
dass die bis ins 19. Jahrhundert als Sklaven nach Amerika verschifften
Westafrikaner mit diesen Praktiken nicht vertraut waren. Derzeit
breitet sich diese Tradition bis nach Indonesien aus. Ältere
Schätzungen gehen von zwei Millionen verstümmelter Mädchen
jährlich aus, heute dürfte die Zahl erheblich höher
sein. Genaue Daten gibt es nicht. "Das ist ein Dilemma",
erläutert Groh, "einerseits ist es wichtig, kulturelle
Eigenheiten zu schützen. Dem stehen hier aber fundamentale
Menschenrechtsverletzungen entgegen." Heute sucht man Möglichkeiten,
die Menschen zur Unterlassung zu bewegen. Gesetzliche Verbote waren
bislang wenig effektiv und haben das Problem sogar verschärft,
wie das Beispiel Ägypten zeigt. Dort wurde das tief in der
Kultur verwurzelte Ritual sogar in Krankenhäusern durchgeführt
und schließlich 1996 verboten. Nun griffen wieder Barbiere
und Kurpfuscher zur rostigen Rasierklinge. Um die international
als "Female Genital Mutilation" (FGM) bezeichnete Praxis
zu bekämpfen, mussten also andere Wege beschritten werden.
"Da die Traditionen sich als äußerst stabil erwiesen,
wurde nun als erster Schritt ein Leitfaden erarbeitet, der zwar
die kulturellen Erfordernisse respektiert, der aber darauf abzielt,
das Ritual so weit zu modifizieren, dass die Mädchen keine
Schäden mehr davontragen. Dieser Leitfaden ist bereits in mehrere
Sprachen übersetzt und den zuständigen Ministerien der
betroffenen Länder zugeleitet worden. Nun muss er weite Verbreitung
in den indigenen Dörfern finden."
Wertvolle Daten sammelte Arnold Groh zusammen mit seiner Frau,
Dr. Gunhild Langenbeck-Groh, bei einem von der Humboldt-Stiftung
unterstützten Gastaufenthalt am Department of Psychology der
University of Ibadan
in Nigeria sowie in Benin und Togo. "Die nigerianischen Kollegen
arbeiten allerdings unter widrigen Bedingungen", erzählt
der TU-Psychologe Groh. "Die vor Jahrzehnten aufgebaute Infrastruktur
zerfällt. Straßen und Gebäude sind erheblich beschädigt.
Stromausfälle und eine unterbrochene Wasserversorgung sind
an der Tagesordnung, ein funktionsfähiges Telefonnetz ist nicht
mehr vorhanden und Internetanschluss gibt es meist nur für
Minuten und extrem langsam. Wissenschaftler haben kaum Zugang zu
Literatur und Fachzeitschriften." Dennoch werde dort so effektiv
wie möglich zu Themen wie "Die Psychologie der Korruption",
"Intelligenzminderung durch Schadstoffbelastung" oder
zu HIV- und Aids-Themen geforscht. Einen besonderen Schwerpunkt
bilden neue Strategien gegen die weibliche Beschneidung.
Patricia Pätzold
Arnold.Groh@tu-berlin.de
http://no-fgm.at.gs
S. A. C. S. (Structural Analysis of Cultural
Systems) ist eine institutsübergreifende Arbeitsstelle,
die im Januar 2004 an der Fakultät
I, Geisteswissenschaften, von den Professoren Roland Posner
und Monika Walter eingerichtet wurde. Sie führt Forschungen
fort, die an das EU-Projekt CULTOS anknüpfen. Dazu gehören
die Einrichtung einer Gerichtsgutachtenstelle, die Forschung
und der akademische Austausch in Westafrika. Neben der Strategie
gegen Genitalverstümmelung werden zum Beispiel Studien
zur Handynutzung erstellt, zur Tsunami-Früherkennung, zu
Farbkonzepten in archaischen Gesellschaften, zur interkulturellen
Gesteninterpretation, zu Gefahren für die kulturellen Varietäten
durch Tourismus oder zum Zeitmanagement in verschiedenen Gesellschaften.
Die Arbeitsstelle S. A. C. S. betreut Diplomarbeiten in Kulturpsychologie
und Forensik und vermittelt Praktika - auch fächerübergreifend
- in universitären und außeruniversitären Einrichtungen
in Übersee. Es bestehen unter anderem enge Kontakte zu
Nigeria, Namibia und Benin. |
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