Die ausgestreckte Hand ergreifen
Der Architekten- und Ingenieur-Verein unterstützt junge
Berufseinsteiger mit einem Patenschaftsmodell
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Manfred Semmer (rechts) mit
seinem Schützling Stephan Kulle auf der Dachterrasse des
Vereins
Foto: TU-Pressestelle/Pätzold |
Als Wilma Glücklich 1978 ihr Diplom in Landschaftsplanung
und -entwicklung an der TU Berlin ablegte, stieß sie mit ihrem
Interesse für den Schutz und die Hege des öffentlichen
Grüns auf offene Ohren. Umweltthemen boomten und jeder Grashalm
wurde zweimal begutachtet. Für Daniela Fleig, die 2002 ihr
Diplom in Landschaftsarchitektur und Umweltplanung absolvierte,
sieht die Sache mittlerweile anders aus. Jobs sind rar, Geld ist
nicht vorhanden und auch die Themen haben sich verändert. Abriss,
brachliegende Flächen und der Umbau der schrumpfenden Stadt
beschäftigen die Menschen heute.
Um junge Kollegen wie Daniela Fleig zu unterstützen, entwickelte
der traditionsreiche Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin
(AIV) e.V. ein Patenschaftsmodell, in dem erfahrene Experten den
Berufseinsteigern helfen.
Seit 35 Jahren gehört Manfred Semmer dem AIV an, inzwischen
ist er Vorsitzender des Vereins. Der Betriebswirtschaftler und promovierte
Architekt hat Theater und Krankenhäuser entworfen, restauriert
und neu gebaut, Mietskasernen modernisiert und saniert, ist öffentlich
bestellter und vereidigter, nach Euronorm zertifizierter Sachverständiger
und führt zwei eigene Büros - kurz: Er kann auf eine beeindruckende
Karriere zurückblicken. In Stephan Kulle, der nach einer Lehre
als Versicherungskaufmann im Dezember 2004 das Studium der Landschaftsplanung
an der TU Berlin abschloss, fand Manfred Semmer das geeignete "Patenkind".
Stephan Kulles beruflicher Traum liegt im Corporate Design für
Außenräume. Er entwirft Gärten, Plätze oder
Parkräume für Firmen, die zum Gesamterscheinungsbild des
Unternehmens passen sollen. "Das ist ein noch relativ unerschlossenes
Gebiet, doch es hat ein großes Zukunftspotenzial", hofft
Stephan Kulle, der sich in Kürze an seine Dissertation begeben
will. Manfred Semmer bringt sein "Patenkind" unterdessen
schon einmal mit wichtigen Leuten zusammen und berät ihn, wie
man am besten durch das Gestrüpp öffentlicher Anforderungen
kommt.
Zurzeit kümmert sich Stephan Kulle um den Arbeitskreis "Freiräume
- Grünräume". Mit Daniela Fleig hatte er 2003 eine
Diskussionsreihe besucht und so den AIV kennen gelernt. Bald übernahmen
sie die Arbeitsgruppe, die auf die Missstände der Berliner
Freiflächen aufmerksam macht und Lösungsansätze erarbeitet.
"Die frischen Ideen und der unverstellte Blick der jungen
Leute sind für den Verein ein großer Gewinn. Dafür
bieten wir ihnen unser Know-how und die Möglichkeit zu vielfältigen
beruflichen Kontakten", sagt Wilma Glücklich, die bei
der Berliner Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung an einem Projekt arbeitet, das die
Bürger zum Engagement für ihr Umfeld ermutigen soll. Sie
hatte schon immer großes Interesse für den öffentlichen
Bereich und war einige Jahre als Bundestagsabgeordnete tätig.
Junge Leute schlössen sich heute schwerer einem Verein an,
hat Manfred Semmer festgestellt. "Sie sind auf sicherem sozialem
Boden aufgewachsen und hatten es lange nicht nötig, sich Netzwerke
zu schaffen." Und tatsächlich: "Man will individuell
bleiben, sich nicht verbiegen lassen", sagt Daniela Fleig.
"Auch ich hatte eine gewisse Scheu Berufsnetzwerken gegenüber.
Doch heute weiß ich, wie wichtig so eine Vertrauensplattform
ist." Die Vereinsaktivitäten und insbesondere die Patenschaft
boten ihr die Chance, die aktuellen beruflichen Diskussionen zu
verfolgen und sich selbst einzubringen. So konnte sie den Kontakt
zur Berufswelt halten in einer Zeit, als Mutterpflichten gegenüber
den beiden kleinen Töchtern Johanna und Charlotte, fünf
und drei Jahre alt, es schwierig machten, zu arbeiten.
Der 180 Jahre alte Verein, in dem bereits Karl Friedrich Schinkel,
Friedrich August Stüler und andere große Berliner Architekten
Mitglied waren und der jährlich den renommierten Schinkelwettbewerb
mit hoch dotierten Preisen veranstaltet, hält ein vielfältiges
geselliges und fachliches Programm bereit. Besonders junge Leute
sind willkommen. Sie müssen nur den Mut haben, so Manfred Semmer,
die ausgestreckte Hand zu ergreifen.
Patricia Pätzold
Mentorenprogramm des Architekten- und Ingenieur-Vereins
zu Berlin e.V.
Anfang November stellte der Architekten- und Ingenieur-Verein
zu Berlin e.V. (AIV) sein neues Mentorenprogramm vor. Der
Verein will damit jungen Architekten, Landschaftsarchitekten
und Ingenieuren, Diplomanden und Studierenden höherer
Semester berufserfahrene Mentoren an die Seite stellen. Der
Verein organisiert Kontaktabende, damit sich Spezialisten
kennen lernen und zusammen finden können. Es können
Räumlichkeiten, Fachliteratur und weitere Beratung zur
Verfügung gestellt werden, um eigene Themen zu bearbeiten
oder in den bestehenden Arbeitskreisen - Schinkelausschuss,
Stadtentwicklung, Freiräume/Grünräume, Bauen
im Bestand - mitzuarbeiten, sowie Jobs, Praktika oder Wettbewerbe
vermittelt werden. Nicht unwichtig: Auch Beratung zu Existenzgründung,
Recht und Steuer wird geboten.
pp
www.aiv-berlin.de
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