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Freude über den Diebstahl der Gedanken

Orte der Erinnerung: Karl Weierstraß

Auf dem Alten Domfriedhof St. Hedwig in Berlin-Mitte fand Karl Weierstraß seine letzte Ruhe
Foto: Förster

Seine mathematische Begabung zeigte sich früh. Ein akademisches Amt aber erhielt Karl Weierstraß erst mit 41 Jahren: eine ordentliche Mathematikprofessur, 1856 von der Berliner Gewerbeakademie neu eingerichtet. Bald darauf berief ihn, auch auf Betreiben Alexander von Humboldts, die Berliner Universität als außerordentlichen Professor. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Mathematiker des 19. Jahrhunderts. Die "Weierstraßsche Stenge" des Beweises ist noch heute ein Markenzeichen.

Die Lehrmethode des Analysis-Experten, dessen Geburtstag sich am 31. Oktober zum 190. Mal jährte, galt als vorbildlich, doch sein Leben verlief keineswegs geradlinig. Der Sohn eines Beamten aus dem Münsterland wuchs mutterlos in einer kinderreichen, unvermögenden Familie auf. Trotzdem besuchte er ab 1829 das Gymnasium in Paderborn. 1834 bestand er das Abitur als "Primus omnium". In Bonn studierte er Kameralistik. Als er, der sich für höhere Mathematik, besonders für die elliptischen Funktionen interessierte, 1838 sein Studium abbrach, war das eine Katastrophe für die Familie. Doch sein Vater ermöglichte ihm den Besuch eines Lehrerseminars an der Akademie in Münster. Hier traf Weierstraß auf Christoph Gundermann, bei dem er erstmals Mathematikvorlesungen hörte und der bald sein mathematisches Genie erkannte. In einem unbeachteten Gutachten empfahl Gundermann eine akademische Lehrtätigkeit, doch nach seinem Examen 1841 wurde Weierstraß in Münster 1842 Lehrer in Westpreußen und ab 1848 in Braunsberg (Ostpreußen). Sein Schicksal schien besiegelt. Er absolvierte tagsüber ein 30-Wochenstunden-Pensum und in der Nacht brütete er über mathematischen Studien. Erst nach 14 Jahren Schultätigkeit erfuhr er den vollen Wortlaut des Gundermann'schen Gutachtens.

Da setzte er alles auf eine Karte und publizierte diese Studien im Crelleschen Journal, der wichtigsten Mathematikerzeitschrift der Zeit. Es wurde die mathematische Sensation des Jahres 1854. Fachleute pilgerten zu ihm, die Universität Königsberg verlieh ihm die Ehrenpromotion mit den Worten: "Wir alle haben in Weierstraß unseren Meister gefunden." Der Durchbruch war erreicht, auch das ferne Wien zeigte Interesse. Im Juni 1856 bekam er den Ruf an die Berliner Gewerbeakademie, im Oktober wurde er Extraordinarius an der Universität, im November Akademiemitglied. An der Gewerbeakademie, seinem Hauptbetätigungsfeld, hielt er neun Semester lang mathematische Vorlesungen. Seine anfängliche Befangenheit im Vortrag wurde bald von didaktisch-rhetorischer Brillanz abgelöst. Plötzlich, 1861 - der Zusammenbruch am Katheder. Die jahrzehntelange Tag-und- Nachtarbeit hatte seine Gesundheit ruiniert. Später gründete er das "Mathematische Seminar" für Begabte. Über 200 Studenten besuchten seine einfallsreichen und anregenden Vorlesungen. Seine Schüler sagten scherzhaft von ihm, er freue sich über jeden Diebstahl, der an seinen Gedanken begangen werde. Viele seiner Studenten kennen wir heute als berühmte Mathematiker. Karl Weierstraß starb - geehrt und vielfach ausgezeichnet - am 19. 2. 1897 im 82. Lebensjahr in Berlin. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Alten Domfriedhof St. Hedwig in der Liesenstraße, Berlin-Mitte.

Hans Christian Förster

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